Benedikt Kauertz, Themenleiter „Umweltbewertung von Verpackungen“ am unabhängigen ifeu-Institut, zu einer faktengestützten Diskussion über Getränkeverpackungen mittels Ökobilanzen.
Kunststoff ist der Buhmann unter den Verpackungsmaterialien. Auch PET-Flaschen stehen immer wieder in der Kritik. Doch wie sehen eigentlich unabhängige Experten diese Diskussion? Warum sich Argumente für die scheinbar schlechte Ökobilanz aus wissenschaftlicher Sicht nicht halten lassen, erklärt Benedikt Kauertz, Fachbereichsleiter Industrie und Produkte am unabhängigen Heidelberger ifeu-Institut, im Interview.
Kunststoff steht öffentlich unter Druck. Teilweise wird er als Grund zahlreicher Umweltbelastungen ausgemacht. Wie erleben Sie die Diskussion?
In der Öffentlichkeit nehmen wir stellenweise eine enorme Vereinfachung der Sachverhalte wahr. Zugegeben, Ökobilanzen zur neutralen Bewertung von Verpackungsarten sind sehr komplex. Materialbedarf, Energieaufwand in Produktion und beim Recycling, der Anteil von recyceltem PET-Material in neuen Flaschen und vieles mehr spielen eine Rolle. Welche Verpackungsart sich für ein bestimmtes Produkt eignet, hängt von mehreren Faktoren ab. Deshalb sollte man eine bestimmte Verpackungsart nicht pauschal verteufeln.
Wie schneiden PET-Getränkeverpackungen aktuell aus ökobilanzieller Sicht ab?
PET-Flaschen stehen ökobilanziell vergleichsweise gut dar. Das liegt insbesondere an dem leichten Gewicht und den damit verbundenen CO2-Einsparungen beim Transport gegenüber zum Beispiel schwererem Glas. In diesem Bereich hat sich sehr viel getan. Diese positiven Eigenschaften von PET-Flaschen gelten für Limonade sowie stilles und karbonisiertes Wasser. Das sind natürlich die relevantesten Getränkearten am deutschen Markt, für die Kunststoff als Verpackungsmaterial eine Rolle spielt. Außerdem wirkt das Einwegpfand hier positiv. Die Wertstoffkreisläufe sind nahezu geschlossen. Das begünstigt wiederum eine positive Ökobilanz. Entgegen der landläufigen Meinung beinhalten PET-Flaschen zudem keine Weichmacher.
Sie sprechen positiv über PET. Woher kommt aus Ihrer Sicht die negative Grundhaltung in der Öffentlichkeit?
Obwohl sich die Einführung des Einwegpfands 2003 positiv auf die Meinung der Bevölkerung niederschlug, hat die Kritik an PET-Flaschen, die sich bis heute hält, in dieser Zeit ihren Ursprung. Die ersten Ökobilanzen des Umweltbundesamtes 2000 und 2004 waren eigentlich bereits vergleichsweise gut. 2008 kam die nächste Ökobilanz zu dem Schluss, insbesondere PET-Einwegflaschen seien nachteilig.
Woran lag das?
Nach der Einführung des Einwegpfandes 2003 hatten zuerst viele Discounter Getränke aus PET-Einwegflaschen aus dem Sortiment genommen. In Folge dessen konsolidierte sich der Markt. Die Abfüllung von PET-Flaschen konzentrierte sich bei nur wenigen Herstellern. Als die Discounter PET-Einwegflaschen nach und nach wieder ins Sortiment nahmen, mussten die verbliebenen Mineralbrunnen über weite Strecken liefern. Zu diesem negativen Faktor kamen damals noch vergleichsweise schwere Flaschen sowie ein Einsatz von recyceltem PET-Material, der nahezu bei null lag, hinzu. Es gab zudem auch kaum Recyclingkapazitäten in Deutschland. All dies floss in die Ökobilanz 2008 ein. Seitdem heißt es in der Öffentlichkeit: Vorfahrt für Mehrweg – bis heute. Diese generalisierte Aussage hält heutigen Erkenntnissen aber nicht mehr stand.
Wie ging es ökobilanziell weiter?
Schon bei der Veröffentlichung der Ökobilanz 2008 war klar, dass sich die Ökobilanzen für PET-Verpackungen verbessern würden. 2010 erstellten wir im Auftrag der IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen die bisher letzte ISO-konforme Ökobilanz hinsichtlich Getränkeverpackungen. Darin kamen wir zu folgenden Ergebnissen: PET-Mehrweg- sind vorteilhafter als Glas-Mehrwegflaschen. Und in bestimmten Segmenten sind PET-Einwegflaschen ökobilanziell sogar gleichwertig zu Glas-Mehrwegflaschen. Sicherlich spielt dabei eine Rolle, dass für drei Liter Mineralwasser vier 0,75-Liter-Glas-Mehrwegflaschen und nur zwei 1,5-Liter-PET-Einwegflaschen nötig sind. Die Ökobilanz berücksichtigt diesen Effekt, indem sie alle Ergebnisse auf eine vergleichbare Ebene, nämlich 1.000 Liter Getränk, skaliert. Alleine das schlug sich natürlich positiv für PET-Einwegflaschen nieder. Hinzu kamen Gewichtseinsparungen und bessere Recyclingkapazitäten.
Demnach müsste PET als Verpackungsmaterial doch viel positiver wahrgenommen werden.
Bis heute werden von den Kunststoff-Kritikern tatsächlich eher die Argumente aus der Ökobilanz von 2008 weiter verbreitet. Das steht neuen Erkenntnissen entgegen.
…und das, obwohl die Flaschen im aktuellen Jahrzehnt weiter optimiert worden sind.
Das ist richtig. Insbesondere die PET-Einwegverpackungen wurden immer weiter optimiert. Früher galten 40 Gramm als Gardemaß für die 1,5-Liter-PET-Einwegflasche. Heute gibt es 1,5-Liter-Flaschen für stilles Wasser, die nur noch wenig mehr als 20 Gramm wiegen – ein enormer Fortschritt.
Ist es vor diesem Hintergrund nicht wieder Zeit für eine neue Ökobilanz?
Sinnvoll wäre eine erneute Betrachtung sicherlich. Dies scheitert aber am Mangel an Vergleichszahlen der Glas-Abfüller. Und auch die PET-Industrie dürfte nach den Erfahrungen im Jahr 2010 im Zuge der zum Teil doch auch voreingenommenen öffentlichen Diskussion erst einmal wenig Interesse daran haben – so gut die neuen Zahlen auch wären.
Also gehen Sie davon aus, dass die Ökobilanz heute noch vorteilhafter für die PET-Verpackungen ausfallen würde?
Ja, hier hat sich einfach sehr viel getan. Während PET-Mehrwegverpackungen bisher eigentlich als vorteilhafteste Getränkeverpackung galten, haben hoch optimierte PET-Einwegverpackungen sie heute schon eingeholt. Diese Flaschen sind sehr leicht und haben einen Anteil an recyceltem PET-Material von mehr als 50 Prozent. Und ein zweiter Umstand auf der anderen Seite kommt hinzu.
Nämlicher welcher?
Das Glas-Mehrwegsystem steht mehr und mehr unter Druck. Markengetränke kommen zunehmend in individuell gestalteten Mehrwegflaschen auf den Markt. Diese können wiederum nicht von anderen Getränkeabfüllern genutzt werden, wie es das Mehrweg-System eigentlich vorsieht. Eine Deloitte-Studie bescheinigt den tatsächlich einheitlichen Mehrwegflaschen eine höhere Anzahl an Wiederbefüllungen als den individuellen Glas-Mehrwegflaschen. Deren Anstieg wirkt sich möglicherweise negativ auf die Mehrweg-Ökobilanz aus.
Höhere Mehrwegquoten werden gefordert. Ist diese Mehrweg-/Einweg-Diskussion vor dem gerade geschilderten Hintergrund noch zeitgemäß?
Aus unserer Sicht ein klares Nein. Wir halten eine festgeschriebene Mehrwegquote für nicht zielführend hinsichtlich der Umweltziele. Aktuell schreibt das Verpackungsgesetz eine solche Quote von 70 Prozent vor. Es findet aber keinerlei Differenzierung statt. Dieser Quote liegen pauschale Bewertungen zu Grunde, die den Ergebnissen der Ökobilanzen der vergangenen Jahre zum Teil wiedersprechen oder Teilergebnisse als allgemeingültig darstellen. Wir schlagen daher statt einer pauschalen Mehrwegquote festgeschriebene Zielwerte sowohl für Mehrweg als auch für Einweg vor.
Wie könnten diese aussehen?
Bei Mehrweg sollte beispielsweise langfristig eine Festlegung auf die einheitlichen Mehrwegflaschen gegenüber den individuellen erfolgen. Dabei sollte eine Mindestumlaufanzahl verankert werden. Bei den PET-Einwegflaschen könnte ein bestimmter Anteil an recyceltem PET-Material oder ein bestimmtes Verhältnis zwischen Füllvolumina und Verpackungsgewicht festgeschrieben werden. Ein Anteil von recyceltem PET-Material von 50 Prozent in neuen PET-Flaschen sollte keine Ausnahme bleiben, sondern Standard werden. Auch der verstärkte Einsatz von biobasierten Kunststoffen könnte die Ökobilanz von Einwegflaschen weiter verbessern. Diese müssen dann aber auf jeden Fall im Rahmen des aktuellen Kreislaufsystems recycelbar sein.
Getränkehersteller suchen bei Ihnen regelmäßig Rat bei der Auswahl für die Verpackungsart. Was geben Sie diesen mit auf den Weg?
So viel steht fest: Es gibt nicht die universelle Verpackungslösung. Sollte zum Beispiel ein Safthersteller regional an den Handel liefern, ist Glas-Mehrweg aus ökobilanzieller Sicht eine gute Wahl. Kunststoffverpackungen für Säfte bestehen aufgrund der notwendigen Barriereeigenschaften neben PET zum Teil aus Polyamid. Daher können sie nicht einfach in den PET-Wertstoffkreislauf aufgenommen werden, was sich wiederum negativ auf die Ökobilanz auswirkt. PET-Einweg bietet dagegen sicherlich Vorteile bei der Lieferung an den Discount über weite Transportstrecken und bei großen Abfüllmengen.
Neben diesen ökobilanziellen Themen spielen bei der Wahl des Verpackungsmaterials aber noch ganz viele Parameter hinein – zum Beispiel die Höhe der Investition in neue Maschinentechnik oder die Eigenschaften des Verpackungsmaterials, die für Hersteller und Handel sehr wichtig sind. Hier haben PET-Einwegverpackungen durch die Unzerbrechlichkeit, die Leichtigkeit für den Endverbraucher und individuelle Gestaltungsmöglichkeiten Vorteile.
Wohin bewegt sich aus Ihrer Sicht der Getränkemarkt?
Solange sich der gesetzliche Rahmen nicht drastisch ändert, wird es sicherlich nicht die großen Umwälzungen geben. Wir erwarten einen weiteren Anstieg von PET-Verpackungen bei Milch- und Milchmixgetränken. PET-Einwegflaschen werden dabei sicherlich auch weiter optimiert. Durch spezielle, bereits heute verfügbare Glasinnenbeschichtungen sind PET-Flaschen für Saft eine Alternative, um auch Saftflaschen zu bepfanden und mit sortenreinem PET-Material zu recyceln. Aktuell dreht sich viel um weitere Materialeinsparungen. Dass der Handel das Thema für sich entdeckt hat, ist sicherlich positiv für die gesamte Verbesserung von PET-Ökobilanzen. Wenn größere Player am Markt vorangehen – auch bei den Getränkeherstellern – werden andere nachziehen.
Zur Person:
Benedikt Kauertz ist Experte auf dem Feld der Ökobilanzierung von Verpackungen. Seit seinem Eintritt in das ifeu-Institut in Heidelberg beschäftigt er sich mit ihren Umweltauswirkungen aus verschiedenen Blickwinkeln. Heute ist er Fachbereichsleiter Industrie und Produkte. Im Fokus liegen alle Verpackungsarten von Folien über Papier bis hin zu Glas. Das ifeu-Institut forscht und berät weltweit zu allen wichtigen Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen. Es zählt mit seiner fast 40-jährigen Erfahrung zu den bedeutenden ökologisch ausgerichteten Forschungsinstituten in Deutschland. Unter anderem kooperierte es im Bereich Verpackungs-Bilanzierung bereits oftmals mit dem Umweltbundesamt.