Um die Kreislaufwirtschaft und den Klimaschutz in Europa langfristig voranzubringen, müssen in Zukunft noch deutlich mehr Rezyklate in der Kunststoffverarbeitung eingesetzt werden. Etwa 14 Prozent des Rohstoffbedarfs der kunststoffverarbeitenden Industrie in Deutschland (14.365 kt) werden heute durch Rezyklate gedeckt. Die Einsatzmenge von Rezyklat hat sich im Vergleich zu 2017 um 10,2% erhöht. Das ist ein ermutigender Trend, den es zu stärken gilt.
AGVU und IK im gemeinsamen Dialog mit Ministerium und Politik
Wie es gelingen kann, den Rezyklateinsatz effektiv und zugleich marktgerecht zu steigern, und welche gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Strukturwandel benötigt werden, darüber diskutierten auf dem AGVU-Orientierungstag am 10. September 2020 BMU-Unterabteilungsleiter Dr. Christoph Epping, IK-Geschäftsführerin Dr. Isabell Schmidt sowie die umweltpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen CDU, SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP.
Die von Dr. Carl Dominik Klepper, AGVU, geleitete Diskussion wurde von 150 Veranstaltungsteilnehmern aus der gesamten Kunststoffwertschöpfungskette coronabedingt per Videostream verfolgt.
Diskussion auf Toplevel: Quotenmodelle und Alternativen
Hintergrund der Veranstaltung bildet ein gemeinsames Diskussionspapier von AGVU und IK zu den Rezyklateinsatzquoten. Im Zentrum des Papiers stehen sechs Grundsätze einer wirkungsvollen und marktkonformen Regulierung zur Steigerung des Rezyklateinsatzes in Kunststoffprodukten. Vor diesem Hintergrund werden die Vor- und Nachteile verschiedener Steuerungsinstrumente zur Steigerung des Rezyklateinsatzes diskutiert. Eine Positionierung für ein bestimmtes Modell erfolgt in dem gemeinsamen Papier nicht. Vielmehr leistet es einen Beitrag zur sachlichen Auseinandersetzung über die geeignetsten politischen Instrumente zur effektiven Steigerung des Rezyklateinsatzes am Kunststoffmarkt.
Kommentar von Dr. Isabell Schmidt
Echter Strukturwandel statt kleinteiliger Markteingriffe
Investitionen in den Ausbau der Recyclinginfrastruktur werden europaweit dringend benötigt, wenn die Kunststoffindustrie ihre Ziele zum Rezyklateinsatz im Jahr 2025 erreichen will. Können diese nicht erfolgen, so stellt dies ein Nachhaltigkeitsrisiko für die ohnehin schon stark unter Druck stehenden Kunststoffwertschöpfungsketten
in ganz Europa dar. Doch ist Besonnenheit bei den geforderten Lösungen und eine genaue Analyse der Daten- und Faktenlage gefragt.
Die Einführung eines Mindestrezyklatanteils für bestimmte Produkte, wie sie von der EU-Kommission bereits angekündigt wurde, werden jedenfalls nur kaum Abhilfe für die aktuelle Krise des Recyclingmarkts infolge der Corona-Pandemie schaffen. Denn die Einführung einer solchen Quote benötigt zeitlichen Vorlauf. Auch können Einsatzquoten nichts gegen den Nachfragerückgang aufgrund der zurückgefahrenen Produktion im Kunststoffsektor bewirken. Die Wirtschaftsschwäche aber war der Hauptgrund für den coronabedingten Nachfragerückgang im Verpackungssektor.
Quoten für Rezyklateinsatz auf nationaler Ebene lehnt die IK ab. Dies würde dauerhaft den einheitlichen EU-Binnenmarkt hemmen und Wettbewerbsnachteile für die deutsche Wirtschaft schaffen.
Doch auch auf europäischer Ebene stellen Quotenvorgaben einen starken Markteingriff dar, der mit Risiken für die Produktqualität und -sicherheit einhergeht, wenn nicht sichergestellt werden kann, dass ausreichend Rezyklate in den benötigten Qualitäten am Markt zur Verfügung stehen. Dies muss vor der Festlegung einer verbindlichen Einsatzquote für die verschiedenen Verpackungssegmente gründlich geprüft werden, denn die gesetzlichen und technischen Voraussetzungen für den Rezyklateinsatz sind je nach Segment höchst unterschiedlich. Die höchsten Anforderungen an die Qualität der Rohstoffe bestehen bei Lebensmittelverpackungen, die etwa 44 Prozent des Verpackungsmarkts in Deutschland ausmachen. Wichtige Fragen der Produktsicherheit und Gewährleistung müssen durch definierte Qualitätsanforderungen an die Rohstoffe gelöst werden.
Eine einheitliche Quote „per Gießkanne“ auf alle Verpackungssegmente kann es aufgrund der unterschiedlichen Qualitätsanforderungen an die Rohstoffe nicht geben.
Auch die notwendige Kontrolle Abertausender Inverkehrbringer sollte nicht aus den Augen gelassen werden. Dies dürfte eine nicht zu unterschätzende Herausforderung darstellen, wenn man bedenkt, wie schwerfällig sich bereits der Vollzug bei der Lizenzierungspflicht von Verpackungen gestaltet.
Ohne wirksamen Vollzug der gesetzlichen Anforderungen aber ist am Markt der Ehrliche der Dumme.
Kleinteilige Eingriffe des Gesetzgebers in die Produktgestaltungsfreiheit sind somit mit enormem Aufwand und Risiken für den Gesetzgeber, die Vollzugsbehörden und die Industrie verbunden und bringen für den Gesamtkunststoffmarkt im Endeffekt wenig. Auch weil bloße Umlenkungseffekte des Rezyklateinsatzes von Produkten ohne Quote zu Produkten mit Quote nicht ausgeschlossen werden können.
Wohin führt es, wenn anstelle des Marktes in Zukunft der Staat entscheidet, welcher Rohstoff für welches Produkt zum Einsatz kommt? Märkte sind zu komplex und zu dynamisch, um von Politik und Behörden in jedem Detail gesteuert zu werden. Um funktionierende Sekundarrohstoffmärkte zu entwickeln, die die von den Kunststoffverarbeitern benötigten Mengen und Qualitäten zur Verfügung stellen können, brauchen wir einen echten strukturellen Wandel statt staatlicher Überregulierung. Wir müssen die Dynamik und Innovationskraft von Märkten durch bessere Gesetzgebung für diesen Wandel nutzbar machen statt sie in planwirtschaftlicher Manier im Detail staatlich kontrollieren zu wollen.
Die IK fordert deshalb, alternative gesetzliche Steuerungsinstrumente genauer unter die Lupe zu nehmen. Ein solches stellen zum Beispiel polymerspezifische Substitutionsquoten dar. Sie könnten einen effektiven Strukturwandel in der Rohstoffversorgung herbeiführen, ohne die Kräfte des Marktes lahmzulegen. Auch starke finanzielle Anreize im Rahmen der Erweiterten Produktverantwortung sind aus unserer Sicht ein wirksames Instrument, um die Nachfrage nach Rezyklaten im Preis-Leistungswettbewerb zu Kunststoffneuware zu stärken.
Bezogen auf die Situation in Deutschland halten wir daher eine Weiterentwicklung von §21 VerpackG für dringend geboten, um die finanziellen Anreize im Rahmen der Lizenzentgelte deutlich zu stärken und transparenter für die Entwickler von Kunststoffverpackungen zu machen. Das bereits vor einigen Jahren von Seiten der Dualen Systeme propagierte Fondsmodell könnte, in kartellrechtlich unbedenklicher Ausgestaltung, hierfür eine geeignete Form darstellen. Dringend sollte zudem die europaweite Harmonisierung vorangebracht werden, um unterschiedlich gerichtete Anreize in verschiedenen Ländern zu vermeiden und Skaleneffekte zu erzielen.
Nicht zuletzt muss auch die Marktnachfrage nach Produkten mit Rezyklaten durch die öffentliche Beschaffung und verlässliche Gütesiegel gestärkt werden. Und das nicht nur für einzelne Verpackungssegmente, sondern für alle Kunststoffprodukte.