„Wir brauchen
lebensmittelgeeignete Rezyklate“
lebensmittelgeeignete Rezyklate“
Im Dialog mit Gregor Witt, Gründungsmitglied und Vorsitzender des Unverpackt e.V.
Im April 2018 wurde Unverpackt e.V., der Verband der Unverpackt-Läden, in Nürnberg gegründet. Wir haben mit Gregor Witt, Gründungsmitglied und Vorsitzender von Unverpackt, über die Ziele des Verbandes, seine Einstellung zu Kunststoff sowie seine Forderungen an Politik und Industrie im Hinblick auf Verpackungen gesprochen.
Herr Witt, welche Ziele verfolgen Sie mit Unverpackt e. V.?
Mit dem Berufsverband wollen wir einen gemeinsamen Nenner etablieren. 2016 haben wir darüber nachgedacht, uns institutionell zu vereinen, um voneinander zu profitieren und Wissen auszutauschen.
Daraus ist dann der Gedanke des Berufsverbandes der Unverpackt-Läden mit einem gemeinsamen Gütesiegel „Mitglied im Unverpackt-Verband“ entstanden. Dieses Siegel als Aufkleber sichtbar am Eingang des Ladens sagt dem Verbraucher, dass ein hohes Qualitätsniveau besteht, sowohl im Bereich Hygiene, als auch im Hinblick auf die Lebensmittelqualität. Wir wollen als Verband eine gemeinsame Linie erzielen, um auch Skalierbarkeit zu erreichen.
Auf Ihrer interaktiven Deutschlandkarte im Netz werden es immer mehr Unverpackt-Läden. Wollen Sie ganz Deutschland erobern?
Wir sind alle mit dem Ziel angetreten, Müll und Verschwendung zu vermeiden und den Menschen eine alternative Einkaufsmöglichkeit zu bieten, damit sie ihren Abfall reduzieren. Damit wollen wir die natürliche Lebensgrundlage aller Menschen, Tiere und Pflanzen aktiv fördern und sichern.
Daher: Ja, es ist unser Ziel ganz Deutschland zu erobern. Es wäre toll, wenn alle Menschen hierzulande die Möglichkeit hätten, unverpackt einzukaufen. Im Vergleich zu den vielen Lebensmittelgeschäften in Deutschland sind wir mit etwa 390 Unverpackt-Läden aber sicherlich noch eine Nische.
Allerdings ist „unverpackt“ längst kein Nischenthema mehr. Das Thema ist sowohl beim Bundesumweltministerium als auch beim Umweltbundesamt angekommen. Wir werden immer wieder angeführt als Vorzeigemodell zur Erreichung der Abfallvermeidungsstrategie der Europäischen Union.
Ich sehe es positiv, dass mittlerweile an verschiedenen Stellschrauben gedreht wird. Aber ich würde noch von den Anfängen sprechen. Die Menschen beschäftigen sich zwar zunehmend mit „unverpackt“, doch zwischen Wunsch und Wirklichkeit entsteht eine Lücke. Wenn wir die Verbraucher fragen, „möchten Sie unverpackt einkaufen?“, sagen 80 Prozent „ja“. Es kommen aber keine 80 Prozent in die Läden. Wenn die Konsumenten das tatsächlich machen würden, könnten wir uns vor Kundschaft kaum retten. Wir müssen also daran arbeiten, aus der Nische heraus zu kommen.
Eckdaten für Unverpackt-Läden
Ein Laden, der dem Verein Unverpackt e.V. angehören möchte, muss mindestens 70 Prozent seines Sortiments unverpackt oder in Mehrwegsystemen anbieten und mindestens 50 Prozent seines Umsatzes mit diesen Waren erzielen. Bevorzugt Waren aus kontrolliert biologischer Produktion zu nutzen, ist dabei eine Grundvoraussetzung. Gleichzeitig sollten Gründer auf nachhaltige Verpackungsmaterialien setzen und Verpackungsmüll sowie unnötige Marketing-Materialien in der gesamten Lieferkette so gering wie möglich halten.
Ist unverpackt überhaupt für die breite Masse geeignet?
Es spricht überhaupt nichts dagegen, 83 Millionen Menschen mit Unverpackt-Läden zu versorgen. Voraussetzung ist, dass die Gesellschaft das auch will. Denn wir können nur den Menschen ein Angebot machen, die Müll und Verschwendung vermeiden und umweltbewusst einkaufen möchten. Wem das wichtig ist und wer durch sein eigenes Verhalten etwas verändern möchte, wird im Unverpackt-Laden alles finden, was er benötigt.
Um das unverpackte Einkaufen noch einfacher und attraktiver zu gestalten, arbeiten wir als Verband an der Optimierung der Prozesse und der Implementierung gemeinsamer Standards.
Sie selbst haben in Köln mit „Tante Olga“ den ersten Unverpackt-Laden gegründet. Welche Strategie verfolgen Sie und Ihre Mitstreiter mit Ihren Unverpackt-Läden?
Der Idealismus hat ein großes Gewicht. Insbesondere, wenn wir an die Anfänge denken. Marie Delaperrière hat im Februar 2014 den ersten Unverpackt-Laden in Kiel eröffnet. Sie hat das Konzept aus ihrer Heimat Frankreich mitgebracht.
Bis 2020 war die Bewegung hierzulande sehr von Idealismus getragen. Wir haben viele Quereinsteiger, die allerdings die Wirtschaftlichkeit ihrer Läden aufgrund fehlender betriebswirtschaftlicher Kenntnisse nicht immer im Blick haben. Das wird jedoch stetig wichtiger. Zudem stehen wir in großem Wettbewerb mit den klassischen Lebensmittelmärkten, die Teile ihres Sortiments ebenfalls unverpackt anbieten. Deshalb müssen wir den Idealismus mit betriebswirtschaftlichem Know-how untermauern.
Wir legen in der Verbandsarbeit daher einen großen Schwerpunkt auf betriebswirtschaftliche Aspekte. Dieser spiegelt sich auch in unserem Förderprogramm wider. Dabei stehen Fragen bezüglich des Standortes oder der Immobilie im Raum und natürlich noch viele andere Aspekte.
Als Verband haben wir wenig Einfluss darauf, wie viele neue Läden entstehen. Aber wir haben das Ziel, unser Förderprogramm in den nächsten ein bis zwei Jahren so aufzubauen, dass es jeder Unverpackt-Gründer nutzen und damit gut arbeiten kann – sowohl betriebswirtschaftlich als auch verpackungstechnisch.
Gutes Stichwort. Verpackungen erfüllen verschiedene Funktionen. Sie schützen beispielsweise Lebensmittel, geben Informationen zu Inhalten oder Mindesthaltbarkeit und ermöglichen daher eine Vorratshaltung. Wie lösen Sie das unverpackt?
Das ist eine spannende Frage. Auch im Unverpackt-Laden kommt die Ware ja nicht unverpackt, sondern verpackt an. Auch für uns ist Verpackung essenziell wichtig.
Wir unterliegen denselben Gesetzmäßigkeiten. Auch wir müssen unsere Ware im gesamten Verkaufsprozess schützen und kennzeichnen. Allerdings stehen wir auf dem Standpunkt, nur so viel Verpackung wie nötig und so wenig wie möglich – und natürlich so nachhaltig wie möglich. Das spiegelt sich auch in unserer Verpackungsvision 2025 wider.
Und selbstverständlich müssen auch wir mit Mindesthaltbarkeitsdaten und Chargen arbeiten und dem Verbraucher die Möglichkeit geben, diese Informationen zu erhalten sowie Ware zurückzugeben, wenn dies erforderlich ist.
Sie haben bereits erwähnt, dass das Thema „unverpackt“ durchaus in der Gesellschaft angekommen ist. Wie haben Sie das Jahr 2020 erlebt? Hat Corona das Nachfrageverhalten in den Unverpackt-Läden verändert?
Auch die Unverpackt-Branche leidet unter der Pandemie. Wir haben alle mit Umsatzrückgängen zu kämpfen – insbesondere im Bereich der Non-Food-Artikel. Über die Gründe können wir bisher leider nur mutmaßen.
Gemäß Ihrer Vision 2025 schließen Sie Kunststoff für Einwegverpackungen kategorisch aus. Warum?
Wir lehnen Kunststoff nicht per se ab. Das wäre absurd. Kunststoff ist ein hervorragendes Material.
Nehmen wir die Pandemie: Ohne Kunststoff wäre eine medizinische Versorgung nicht möglich. Kunststoff ist toll und eine wunderbare Ressource. Gemäß unserer Verpackungsvision 2025 wollen wir jedoch zum Beispiel auf Einweg-Verkaufsverpackungen aus Kunststoff verzichten. Diese landen nach unserer Erfahrung oft in der Umwelt. Und wenn der Kunststoff in der Tonne landet, dann oft nicht in der richtigen.
Kunden in Unverpackt-Läden sind aber doch eher nachhaltig denkende und bewusst lebende Menschen.
Ja, selbstverständlich. Wir wollen mit unserer Verpackungsvision aber einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs anstoßen und einen Standard setzen – auch in anderen Bereichen. Littering ist ein großes Thema. Das BMU sagt, dass die Quote bei Kunststoff-Recycling bei 36 Prozent liegt.
Wenn wir von Recycling reden, müssen wir insbesondere schauen, ob das technisch auch umzusetzen ist. Viele Materialien sind überhaupt nicht recycelbar. Sie sind so komplex, dass sie nur verbrannt werden können. Es wäre toll, wenn alle Verpackungen – ob Einweg oder Mehrweg – so designt wären, dass Recycling funktioniert und sie tatsächlich in den Kreislauf zurückfließen würden.
Hinzu kommt, dass der Sekundärkunststoff längst nicht die gleiche Qualität wie Primärkunststoff hat. Gerade im Lebensmittelbereich ist das sehr problematisch. Beim Sekundärrohstoff ist der Anteil von lebensmittelechten Rezyklaten so gering, dass wir das im Jahr 2021 kaum glauben können. Daher sind noch immer nahezu 100 Prozent aller Lebensmittelverpackungen aus Primärkunststoff. Für uns ist es daher extrem wichtig, dass alles dafür getan wird, dass Verkaufsverpackungen für Lebensmittel künftig aus Sekundärrohstoff hergestellt werden. Noch gibt es hier ein riesen Versäumnis.
Welche Wünsche haben Sie diesbezüglich an die Industrie?
Wir wünschen uns, dass die Industrie diese zentrale Forderung mitträgt: Dass Lebensmittel in Sekundärrohstoff verpackt werden und auch nicht alles doppelt und dreifach. Eben nur so viel wie nötig und so wenig wie möglich. Zudem könnte die Industrie mehr in größeren Gebinden verpacken. Denn bei einer kleinen Verpackungseinheit ist im Verhältnis zum Inhalt deutlich mehr Verpackung vorhanden als es bei einer großen Verpackungseinheit der Fall ist.
Und was wünschen Sie sich von der Politik?
Deutlich mehr Anreize. Nehmen wir das Abfallvermeidungsgesetz. Es erfordert Abgaben, wenn Verpackung in Umlauf gebracht wird. Wir verwenden in unserem Online-Shop beispielsweise nur bereits gebrauchte Materialien, wenn wir Ware an unsere Kunden schicken. Dennoch müssen auch wir dafür Abgaben zahlen – obwohl für diese Verpackungsmaterialien ja bereits Abgaben geleistet wurden. Es wäre doch ein viel größerer Anreiz, für gebrauchte Materialien keine Abgaben zahlen zu müssen und für neue Materialien deutlich mehr. Oder die Abgaben für nicht-recyclingfähige Einweg-Verpackungen zu erhöhen, damit mehr recycelbare Verpackungen genutzt werden.
Zudem muss die Politik alles dafür tun, dass künftig Lebensmittel auch in Sekundärrohstoffen verpackt werden können. Daher ist meine zentralste Forderung lebensmittelgeeignetes Rezyklat. Denn es wird immer Bereiche geben, in denen Kunststoffe in Lebensmittelverpackungen nicht wegzudenken sind.
Wir haben beispielsweise Nüsse und Trockenfrüchte in unserem Programm, die aus Burkina Faso nach Deutschland importiert werden müssen. Diese lassen sich nicht in Mehrwegverpackungen transportieren – das wäre ökologisch nicht vorteilhaft. Und zum Schutz vor Schädlingsbefall ist die Verpackung dieser Nüsse und Trockenfrüchte aus Übersee in Kunststoff momentan die einzige Lösung.
Dieses Verpackungsaufkommen lässt sich nur verringern, wenn sich das Verbraucherverhalten verändert. In unseren Unverpackt-Läden setzen wir sehr auf regionale und saisonale Lebensmittel. Wir haben viele Übersee-Produkte nicht mehr im Sortiment, wie beispielsweise Rohrzucker aus Südamerika. Das haben die Verbraucher auch gut angenommen. Bei anderen Produkten, wie Nüssen oder Trockenfrüchten, funktioniert das jedoch nicht so einfach.
Also kaufen Ihre Kunden diese Ware dann, auch wenn sie im „Feind“ Kunststoff verpackt ist?
Wir sind nicht komplett kunststofffrei. Kunststoffverpackungen haben einen nicht wegzudenkenden Vorteil. Aber nur, wenn es sich um Sekundärrohstoff handelt und das Recycling auch tatsächlich funktioniert. Der Prozess wird nachhaltig, wenn das Material immer wieder verwendet wird. Am besten in seiner ursprünglichen Form – ganz unabhängig vom Material.
Unseren Fokus legen wir stark auf die Recyclingfähigkeit – da schneidet Papier derzeit besser ab. Kunststoff ist in dieser Hinsicht eher ein „no-go“. Deshalb ziehen wir Papier dem Kunststoff vor. Sobald wir ein lebensmittelechtes Rezyklat bekommen, wird sich unsere Sichtweise unter Umständen ändern.
Reden wir über Mehrweg-Transportsysteme, lehnen wir Kunststoff nicht ab. Da befürworten wir es. Von Sekundärrohstoffen halten wir jedoch nicht viel, wenn sie nur in irgendwelche Reinigungsflaschen fließen. Denn das Hauptverpackungsaufkommen entsteht durch verpackte Lebensmittel. Wir sind da sehr offen und dankbar für den Diskurs. Denn wir brauchen dringend Lösungen und eine echte Entwicklung.
Herr Witt, vielen Dank für das kurzweilige und interessante Gespräch!
Über Gregor Witt
Gregor Witt ist Gründungsmitglied und Vorsitzender des Unverpackt e.V. Im November 2016 hat er gemeinsam mit seiner Frau Olga den ersten Unverpackt-Laden in Köln gegründet. Mittlerweile ist ein zweiter „Tante Olga“-Laden in Köln dazu gekommen. Als Vater von vier Kindern liegt ihm unsere Erde noch mehr am Herzen. Er kämpft für ein Leben ohne Müll und Verschwendung, den ökologischen Landbau, die Energiewende und für mehr Frieden und Achtsamkeit auf dieser Welt.
Über Unverpackt e. V.
Der Unverpackt e.V. ist der Berufsverband der Unverpackt-Läden in Deutschland und der deutschsprachigen EU. Er wurde am 21. April 2018 in Nürnberg gegründet. Zweck des Vereins ist unter anderem die Förderung der Interessen seiner Mitglieder und eines fairen und gemeinwohlorientierten Wirtschaftens. Der Unverpackt e.V. stärkt die Zero-Waste-Philosophie und das Bewusstsein für Umweltprobleme sowie müllvermeidende Wege des Konsumierens und Wirtschaftens. Er verfolgt seine Ziele insbesondere durch den Ausdruck der gemeinsamen Positionen und Interessen seiner Mitglieder gegenüber Politik, Wirtschaft und Gesellschaft durch Öffentlichkeitsarbeit sowie Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen den Mitgliedern.