Ein Beitrag von Dr. Martin Engelmann, Hauptgeschäftsführer der IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen
Produktverbote, Quoten für den Einsatz recycelter Kunststoffe, Taxonomie-Berichtspflichten, Plastiksteuern, Sonderabgaben – die Zahl der oftmals gut gemeinten Vorschläge, wie man die vermeintliche “Plastikflut” eindämmen könnte, wächst beständig. Dabei gerät in den Hintergrund, dass die größte Hebelwirkung durch finanzielle Anreize für ökologische Verpackungen erreicht werden kann. Sechs EU-Mitgliedstaaten haben solche finanziellen Anreizsysteme bereits eingeführt. Bis Ende 2024 müssen die übrigen Länder nachziehen, so verlange es die EU-Vorgaben. Warum funktioniert das in Deutschland bisher nicht und wie kann man das ändern?
Eigentlich ist die Sache klar: Im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung festgelegt:
„Mit einem gesetzlich verankerten Fondsmodell belohnen wir ressourcen-schonendes und recyclingfreundliches Verpackungsdesign sowie den Rezyklateinsatz.“
Übersetzt bedeutet das, dass der § 21 Absatz 1 Verpackungsgesetz reformiert werden soll. Darin werden die Dualen Systeme, die im Rahmen der Erweiterten Herstellerverantwortung (Extended Producer Responsibility – EPR) die Sammlung und Verwertung von Verpackungen organisieren, verpflichtet, “im Rahmen der Bemessung der Beteiligungsentgelte Anreize zu schaffen, um bei der Herstellung von systembeteiligungspflichtigen Verpackungen
1. die Verwendung von Materialien und Materialkombinationen zu fördern, die unter Berücksichtigung der Praxis der Sortierung und Verwertung zu einem möglichst hohen Prozentsatz recycelt werden können, und
2. die Verwendung von Rezyklaten sowie von nachwachsenden Rohstoffen zu fördern.”
Wettbewerb der Dualen Systeme verhindert Anreizwirkung
Es ist allgemein anerkannt, dass diese Anreizwirkung bisher nicht funktioniert. Der Grund dafür liegt einfach darin, dass die Dualen Systeme in Deutschland, anders als in vielen anderen Ländern, in einem intensiven Wettbewerb miteinander stehen. In diesem Wettbewerb ist eine nennenswerte Spreizung der Lizenzentgelte nicht möglich, weil ein Bonus z.B. für besonders gut recycelbare Verpackungen die eigenen Einnahmen verringern würde, die Kosten für das System jedoch gleichblieben. Das ist keine nachhaltige Geschäftsstrategie. Ein Malus für schlecht recycelbare Verpackungen ist wiederum nicht durchsetzbar, weil die Kunden mit ihren Verpackungen dann zu einem anderen System ohne einen solchen Malus wechseln würden. Darüber, dass sich die Systeme diesbezüglich nicht absprechen, wacht das Bundeskartellamt mit Argusaugen. Soweit, so schwierig.
Ein Blick auf die Situation in anderen Ländern zeigt, dass Deutschland mit diesem Problem nicht allein ist. Auch in anderen Ländern, in denen die EPR-Systeme im Wettbewerb stehen, funktioniert die finanzielle Anreizwirkung für ökologische Verpackungen bisher nicht.
Tatsächlich haben bisher lediglich sechs EU-Mitgliedstaaten (Frankreich, Spanien, Italien, Belgien, die Niederlande und Schweden) finanzielle Anreizsysteme im Rahmen der Verpackungslizensierung eingeführt. In diesen Ländern gibt es entweder nur ein einziges nationales EPR-System oder es gibt zwar zwei Systeme, der Wettbewerb ist jedoch gering.
EU-Vorgaben für finanzielle Anreizsysteme fehlen
Länder wie Deutschland, Österreich, Polen und andere, die bisher keine Anreizsysteme haben, müssen sich Gedanken machen, wie sie entsprechende Systeme einführen. Dabei drängt die Zeit, denn nach EU-Vorgaben sollten solche Systeme eigentlich „nach Möglichkeit“ für alle Verpackungen bis Ende 2024 eingeführt sein (siehe Artikel 7 Absatz 2 EU-Verpackungsrichtlinie in Verbindung mit Artikel 8a Abs. 4 b) Abfallrahmen-Richtlinie).
Insofern kommt der Entschluss der Bundesregierung zur richtigen Zeit. Nur wie gelingt es, in einem Wettbewerbssystem eine solche Anreizwirkung herzustellen? Vorbilder dafür gibt es nicht. Auch ist keine Hilfestellung von Seiten der EU-Kommission zu erwarten: Schon seit 2018 hat die Kommission eigentlich die Aufgabe, Leitlinien für die Gestaltung der finanziellen Beiträge im Rahmen der Verpackungslizensierung zu erlassen (siehe Artikel 8 Abs. 5 Abfallrahmenrichtlinie). Bisher hat sie damit jedoch noch nicht einmal angefangen. In dem Ende November erwarteten Vorschlag für neue Verpackungsregeln wird die EU-Kommission aller Voraussicht nach lediglich dieses Mandat erneuern. Konkrete EU-weit einheitliche Vorgaben: Fehlanzeige!
Staatliche Steuern oder Abgaben sind der falsche Weg
Eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA), in der Vorschläge für eine Revision des § 21 Verpackungsgesetz entwickelt werden sollte, ist zwar seit April abgeschlossen, aber noch nicht veröffentlicht. Dem Vernehmen nach werden darin eine Sonderabgabe oder eine Verbrauchssteuer auf nicht hochwertig recycelbare Verpackungen vorgeschlagen.
Gegen beide Modelle haben Wirtschaftsvertreter erhebliche praktische und rechtliche Bedenken vorgebracht: Das Modell einer Verbrauchssteuer ist wenig geeignet, die Kreislaufwirtschaft-Ziele zu fördern, weil damit keine Zweckbindung der Mittel möglich ist, denn die Einnahmen fließen direkt in den Bundeshaushalt. Außerdem widerspricht eine steuerliche Lösung dem im Koalitionsvertrag vereinbarten “Fondsmodell”. Gegen die ebenfalls vorgeschlagene Sonderabgabe bestehen erhebliche rechtliche Bedenken, sowohl in Bezug auf die finanzverfassungsrechtlichen Voraussetzungen als auch mit Blick auf das EU-Beihilferechts, wie die anhaltende Diskussion um die Errichtung eines Einweg-Kunststoff-Fonds zeigt. Schließlich würden solche staatlichen Abgaben auch die im Verpackungsgesetz verankerte Produktverantwortung und das System der privatwirtschaftlichen Abfallsammlung und -verwertung schwächen.
Produktverantwortung durch privatrechtliche Lösung stärken
Die Möglichkeit einer privatrechtlichen Lösung im Rahmen der bestehenden Strukturen wird in der UBA-Studie kaum behandelt. Dabei liegt eine Umsetzung im Rahmen der privatrechtlich organisierten Lizenzentgelte eigentlich auf der Hand: Die privatwirtschaftlich organisierten Dualen Systeme erheben ein Lizenzentgelt von allen Inverkehrbringern von mit Ware befüllten Konsumverpackungen (sog. systembeteiligungspflichtige Verpackungen, ohne Pfandflaschen). Darüber wacht die Zentrale Stelle Verpackungsregister, die als privatrechtliche Stiftung gegründet wurde. Und alle sechs finanziellen Anreizsysteme, die es derzeit in der EU gibt, sind ebenfalls privatwirtschaftlich organisiert.
Daher war es nur folgerichtig, dass die Dualen Systeme im März 2022 während der IFAT-Messe auf dem Forum von IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen e.V. und BDE den ersten konkreten Vorschlag für ein wirksames finanzielles Anreizsystem vorgestellt haben. Kern des Vorschlags ist ein gesetzlich festgelegter, einheitlicher Zuschlag, den Inverkehrbringer von nicht hochgradig recyclingfähigen Verpackungen in einen Fonds zahlen sollen. Dieses Geld wird dann von den Systemen vollständig an einen Fonds weitergeleitet. Aus dem Fonds sollen Projekte zur Förderung der Kreislaufwirtschaft finanziert werden, insbesondere Maßnahmen zur Steigerung des Einsatzes von recycelten Kunststoffen in Verpackungen.
Knackpunkt der Ausgestaltung ist, wer Träger des Fonds ist und damit über die Verwaltung der Gelder (mit-) entscheidet: Der Vorschlag der Systeme ist grundsätzlich offen für verschiedene private Träger, etwa eine rechtsfähige Stiftung durch die betroffenen Industrieverbände, Dualen Systeme und Verbände der Entsorgungswirtschaft. Alternativ könnte auch die Zentrale Stelle Verpackungsregister in ihrer privatrechtlichen Form Träger des Fonds sein. Wichtig ist den Systemen allerdings, dass der Fonds Teil der Herstellerverantwortung ist und damit die Organisation in den Händen der betroffenen Wirtschaftssektoren bleibt. Wichtigere weitere Kriterien für die Industrie sind die Vermeidung von „Trittbrettfahrerei“, die Diskriminierungsfreiheit der Materialfraktionen, die Insolvenzsicherheit des Fonds sowie natürlich die Konformität mit dem Wettbewerbs- und Finanzverfassungsrecht.
Gemeinsam fordern Hersteller und Inverkehrbringer von Verpackungen sowie die Entsorger eine schnelle und effektive Neuregelung. Ein entsprechender Gesetzesvorschlag sollte noch in diesem Jahr ausgearbeitet werden. Weil Kreislaufwirtschaft mit der Produktgestaltung beginnt, sehen die Verbände in einer wirksamen Anreizstruktur einen entscheidenden Hebel zu einer besseren Kreislaufführung von Verpackungen, insbesondere, wenn diese Anreize EU-weit in vergleichbarer Weise ausgestaltet sind. Doch bevor nach dem EU-Gesetzgeber gerufen wird, sollten zunächst einmal die eigenen Hausaufgaben gemacht werden.