Podiumsdiskussion der IK-Jahrestagung 2022 – Teil 1
Die Kunststoffindustrie steht vor einer gewaltigen Herausforderung: Die Transformation zu einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft. Ende November wird die EU-Kommission im Rahmen ihres Entwurfs für eine europäische Verpackungsverordnung wahrscheinlich konkrete Vorschläge für Mindest-Rezyklatgehalte in Höhe von 25 bis 50 Prozent in Kunststoffverpackungen ab dem Jahr 2030 vorschlagen, auch für Lebensmittelverpackungen. Wer die Quote nicht erfüllen kann, darf seine Verpackungen dann nicht mehr auf den Markt bringen. Doch dafür werden allein im Bereich der Polyolefine rund eine Millionen Tonnen Post-Consumer-Rezyklate zusätzlich benötigt. Wie lassen sich die fehlenden Rezyklate bereitstellen? Und wie können die Versorgungsrisiken für die Verpackungshersteller gemindert werden? Über diese und weitere Fragen diskutierte Dr. Isabell Schmidt, IK-Geschäftsführerin für Kreislaufwirtschaft, auf der Podiumsdiskussion der IK-Jahrestagung 2022 mit Verpackungsherstellern sowie Kunststofferzeugern und Recyclern.
Verarbeiter befürchten dramatische Versorgungsengpässe und steigende Preise
Auf die Frage, ob sie die Quotenvorgaben der EU voraussichtlich erfüllen könnten, äußerten sich die Hersteller von Kunststoffverpackungen sehr besorgt. In der Verfügbarkeit der Rohstoffe sieht Dr. Ing. Michael Heyde, Head of Recycling Technology bei ALPLA Werke Lehner, die größte Einschränkung für den Rezyklateinsatz. Wenn die Preise für Ballenware bereits heutzutage auf Werte rund um 1.000 Euro pro Tonne für verschiedene Polymerarten stiegen, wie im Sommer geschehen, lasse dies mit Blick auf die hohen Einsatzquoten dramatische Versorgungsengpässe erwarten. Es fehle europa- und auch weltweit an geeigneten Infrastrukturen im Bereich der Abfallsammlung. Hier sieht er vor allem die Politik in der Pflicht. Johannes Wedi, Technical Director R&D bei Bischof + Klein, gab an, dass sie derzeit von der Entwicklung her in der Lage seien, 20 bis 25 % Post-Consumer-Rezyklate in Folien einzuarbeiten, wenn sie die Rohstoffe erhielten. Dies sei jedoch nicht so. Auch würden die Kunden den Mehrpreis aktuell nicht zahlen wollen. Durch das chemische Recycling würden die Preise nochmal steigen. Wo preislich interessantere Alternativen existieren, sieht er daher die Gefahr der Abwanderung zu anderen Materialarten. Auf die Besonderheiten von Gefahrgutverpackungen machte Klaus-Peter Schmidt, Head of R&D and Sustainability Management bei Mauser International Packaging, aufmerksam. Diese müssten internationalen Vorschriften genügen, weswegen nur sehr bestimmte Rezyklattypen eingesetzt werden könnten – Ware aus dem Gelben Sack käme dafür nicht in Frage. Die Verfügbarkeit sei auch in diesem Bereich sehr limitiert. Im Moment schafften sie durchschnittlich knapp 15% Rezyklate einzusetzen, obwohl technisch wesentlich mehr möglich sei.
Kunststofferzeuger halten Marktsignale der EU für notwendig
Befürwortet wird die hohe Einsatzquote von Rezyklaten für Lebensmittelverpackungen hingegen vom Verband der Kunststofferzeuger PlasticsEurope, um mehr Investitionssicherheit für das chemische Recycling zu erlangen. Dr. Peter Sandkuehler, Director Substainability EMEA für Packaging & Speciality Plastics bei Dow, hält die Quoten für notwendig, um eine zirkulare Kreislaufwirtschaft zu erreichen. Es bedürfe eines klaren Marktsignals der EU, dass in der gesamten Wertschöpfungskette investiert werden müsse, um die Quoten erfüllen zu können. In Europa seien Investitionen in Höhe von mehreren Milliarden Euro in die Infrastruktur notwendig, um größere zirkulare Ströme bereitzustellen. Derzeit würden in Europa noch etwa sieben Millionen Tonnen polyolefinische Kunststoffabfälle verbrannt. Die Infrastruktur, um diese zurück zu nehmen, müsse aufgebaut werden. Das passiere jedoch nur, wenn entsprechende Marktsignale vorhanden seien. Matthias Stechhan, Vertriebsleiter Zentraleuropa für Polyofine, LyondellBasell, ergänzte, dass die Rezyklatvorgaben nur zum Teil durch weitere Investitionen in das mechanische Recycling und Design for Recycling leistbar seien. Ohne das chemische Recycling könne man das Problem nicht lösen, es sei ein Teil der zirkulären Kreislaufwirtschaft.
Quote ja, aber nicht so
Dr.-Ing. Herbert Snell, Vizepräsident des bvse-Bundesverbands Sekundärrohstoffe und Entsorgung, begrüßte zwar grundsätzlich Quoten, übte jedoch klare Kritik an deren Höhe, die auf unrealistischen Annahmen beruhe. Denn die EU tue zu wenig für den Vollzug der Recyclingvorgaben in Europa. Auch kritisierte er die Vorgabe, dass der Einsatz von Rezyklaten in Lebensmittelverpackungen und anderen kontaktsensiblen Anwendungen zu erfolgen habe. Durch den Einsatz von Rezyklat spare man eine Menge CO2 – ganz unerheblich davon, in welchen Anwendungsbereichen. Daher dürfe es auch keine Vorgaben dafür geben, wofür das Rezyklat eingesetzt werde. Drittens sei auch ein Umdenken bei den Markenherstellern notwendig, wenn es um das Design for Recycling geht. Dieser wesentliche Aspekt würde jedoch nicht ausreichend angegangen, weil falsche Hoffnungen in die chemische Verwertung gesetzt würden.
Über eine Millionen Tonnen PCR fehlen
Auf die Frage, wo die zusätzlich benötigten Rezyklatmengen zur Erfüllung der Quoten – allein am Bereich Polyethylen schätzungsweise rund 700 Tausend Tonnen – herkommen sollten, führte Stechhan ungenutzte Potenziale bei der Verwertung von Kunststoffabfällen an, die heute noch in vielen europäischen Ländern deponiert würden. Es brauche ein Zusammenwirken von mechanischem und chemischem Recycling, so könnten beispielsweise die Verarbeitungsabfälle aus dem mechanischen Recycling für das chemische Recycling genutzt werden. LyondellBasell verfolge das Ziel bis 2030 weltweit zwei Millionen Tonnen Rezyklate anzubieten. 2026 solle die erste Anlage gebaut werden. Sandkühler ergänzte, Dow habe gerade den Bau einer chemischen Recyclinganlage mit einer Kapazität von 100.000 Tonnen in Sachsen bekannt gegeben, die im Jahr 2025 in Betrieb gehen solle.
Verwertung gemischter Kunststoffabfälle noch in der Entwicklung
Heyde stellte indes das harmonische Miteinander von mechanischem und chemischem Recycling in Frage. Wenn die Aufbereitungsabfälle aus dem mechanischen Recycling für chemische Recyclingverfahren genutzt werden sollten, müssten sie von Wasser, Dreck und anderen Materialen befreit werden. Am Ende verbliebe ein sehr kleiner Rest an verwertbaren Polyolefinen, die ebenso gut eine Abnahme im mechanischen Recycling finden würden. Stechhan räumte ein, dass die chemische Verwertung von gemischten Kunststoffabfällen mit Hilfe von Katalysatoren im Moment noch in der Entwicklung sei. Es sei aber klar, dass sie in Zukunft keine sortenreinen Kunststofffraktionen verarbeiten würden, dies würde nicht auf Akzeptanz stoßen. Ergänzend zeigte Sandkühler die Notwendigkeit auf, neue Materialströme außerhalb des Gelben Sacks zu erschließen. Es sei das Ziel, den Plastikanteil aus dem Restmüll und Gewerbeabfällen aufzubereiten. Für die Weiterverarbeitung der Pyrolyseprodukte in den aktuell existierenden Crackern seien sie jedoch auf hohe Polyolefinanteile im Abfall angewiesen.
Wie Kannibalisierung des mechanischen Recyclings vermieden werden kann, wo zusätzliche Kunststoffabfälle als Input für das Recycling herkommen sollten, wie sich Vermarktungsverbote vermeiden lassen, dies und mehr erfahren Sie im zweiten Teil der Podiumsdiskussion.