“Die Zeit ist vorbei, in der einer auf den anderen zeigt.“
“Die Zeit ist vorbei, in der einer auf den anderen zeigt.“
Wir haben mit Tom Ohlendorf gesprochen, der als Packaging Experte für Verpackungen beim WWF tätig ist. Er erklärt, wie eine funktionierende Kreislaufwirtschaft aussehen kann.
Im Dialog mit Tom Ohlendorf, der beim WWF Packaging Experte ist.
Die Performance von Kunststoffen ist hoch. Warum haben wir ein so schlechtes Bild von Kunststoff?
Insbesondere Kunststoffverpackungen sind zu einem gesellschaftlich, politisch und ökologisch hochrelevanten Thema geworden. Der Diskurs fokussiert dabei u.a. auf die Endlichkeit der petrochemischen Ressource, Toxizitätsaspekte vor allem aber auf die Verschmutzung von Gewässern und der Natur durch Kunststoffabfälle. Gelangen die Verpackungen in die Umwelt, belasten sie Tiere, Menschen und Ökosysteme. Wir alle kennen die alarmierenden Berichte über verschmutzte Strände und riesige Mengen an Kunststoff in den Ozeanen. Daher ist es kaum verwunderlich, dass Kunststoffe mittlerweile eine unrühmliche Sonderstellung einnehmen.
Deutschland verfügt zwar über geeignete Strukturen im Hinblick auf Sammlung, Sortierung und Recycling, dennoch stellen auch hier viele Kunststoffverpackungen und Verbünde eine ökologische Herausforderung dar. Eine vom WWF in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Kunststoffverpackungen zu rund 90 Prozent aus Neukunststoff gefertigt werden, ein Großteil nach Gebrauch überwiegend thermisch verwertet, sprich verbrannt wird. Zudem werden nur 6 Prozent der PCR-Rezyklate wieder zu neuen Verpackungen. Ergo: Trotz hoher Sammel- und Recyclingquoten ist auch das deutsche Kunststoffsystem derzeit linear – von einer Kreislaufwirtschaft für Kunststoff sind wir weit entfernt.
Was können Industrie, Politik, Verbraucher, NGOs tun, um dieses zu ändern, Brücken zu bauen oder Verhaltensweisen anzupassen?
Für eine fachlich fundierte und ökologisch ausgerichtete Diskussion braucht es einen ehrlichen Dialog und eine offene Kommunikation, in denen neben den vielen Vorteilen von Kunststoffen auch deren negative – tatsächlichen und potenziellen – Auswirkungen in Betracht genommen werden.
Den Akteuren im Eco-System Kunststoff werden in der Diskussion zu Klimaschutz und Klimazielen ganz unterschiedliche Verantwortungsbereiche und Themenschwerpunkte zugeordnet. Wie grenzen Sie die Verantwortungsbereiche von Politik, Verbrauchern, der Branche und auch den Recyclern im Themenumfeld Kunststoff gegeneinander ab? Wo gibt es gemeinsame Verantwortungsbereiche?
Vorherrschende Herausforderungen liegen in unser aller Verantwortung und können nur mittels systemischer Veränderungen unseres Wirtschaftens und Konsumierens angegangen werden. Dies kann nur im Zusammenwirken aus Politik, wirtschaftlichen Akteuren entlang ganzer Wertschöpfungsketten und der Zivilgesellschaft formuliert und umgesetzt werden.
Die Politik muss eine ganzheitliche Vision aufzeigen, daraus eine umfassende Strategie ableiten sowie entsprechende verbindliche Rahmenbedingungen schaffen und selbst als Vorbild agieren. Rahmenbedingungen müssen weitsichtig ambitioniert, aber auch realisierbar sein und Planungs- und Investitionssicherheit für die Wirtschaft geben.
Die Branche muss eine noch stärkere Verantwortung für die von ihnen in Verkehr gebrachten Produkte übernehmen und intelligenter und ressourcensparender produzieren, beispielsweise durch den Aufbau zirkulärer Geschäftsmodelle oder durch verbesserte Ansprachen an die Verbraucher:innen.
Auch wir Verbraucher:innen müssen unser Konsumverhalten drastisch ändern. Wir müssen verstehen, dass wir Teil der Lösung sind und es nur gemeinsam mit uns funktioniert. Das bedeutet, dass wir bewusster einkaufen und uns immer wieder hinterfragen, ob wir dieses Produkt oder diese Verpackung wirklich brauchen. Wir müssen verstehen, was es mit zirkulären Produkten auf sich hat, müssen diese verstärkter nutzen und im Zweifel auch einfordern. Denn das beste Mehrwegprodukt führt zu nichts, wenn es schlecht angeboten im Laden steht oder wir es nur über einen kurzen Zeitraum verwenden.
Bei dem Entwurf der Packaging & Packaging Waste Regulation (PPWR) geht es um Reduktionsziele für Kunststoffe und Mehrwegquoten für Kunststoffe. Wie stehen Sie zu den Vorschlägen?
Wir als WWF begrüßen, dass es die PPWR gibt. Die Grundrichtung stimmt. Es ist uns sehr wichtig, dass die Vorgaben jetzt nicht noch weiter verwässert werden.
Die PPWR betrachtet den gesamten europäischen Markt. Laut der EU-Kommission enthalten gerade Kunststoffverpackungen noch einen sehr geringen Anteil an Rezyklaten. Und auch das Vorhandensein von Mehrwegsystemen ist im europäischen Raum und auch in Deutschland noch ausbaufähig. Die PPWR setzt aber ja auch noch andere Anforderungen an Kunststoffverpackungen, wie Recyclingfähigkeit und PCR-Einsatz. Harmonisierte Vorgaben für Kunststoffe sind ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung, um europaweit bspw. Mehrwegsysteme aber auch eine ressourcensparende Gestaltung von Kunststoffverpackungen voranzutreiben. Gleichwohl müssen wir, wo möglich, ungewollte Ausweicheffekte in andere Fraktionen vermeiden, weswegen alle relevanten Materialien in der PPWR berücksichtigt werden müssen. Der Fokus auf einen Packstoff birgt ungewollte Verschiebungseffekte, die es zu vermeiden gilt.
Es ist generell wichtig, alle Verpackungen auf das für den Produktschutz notwendige Minimum zu reduzieren. Hierfür müssen die in der PPWR genannten Vorgaben konkretisiert werden, um möglichst wenig Spielraum für den überflüssigen Verbrauch von Verpackungsmaterial zu haben. Doppelwände und Treppenböden sollten beispielsweise künftig genauso untersagt werden wie Umkartons für Müsli oder Zahnpasta.
Optimierte Mehrwegverpackungen und -systeme leisten einen sinnvollen Beitrag zur Verpackungsreduktion und Verpackungsabfällen. Mehrwegquoten sollten ebenfalls materialübergreifend und ohne Ausnahmen gelten. Zur Stärkung des Mehrwegsystems und zur Skalierung sind europaweite Poollösungen unter den entsprechenden Rahmenbedingungen eines ökologisch optimierten Mehrwegsystems wünschenswert.
Hierzulande verpflichtet das neue Verpackungsgesetz seit 1. Januar 2023 alle Letztvertreibenden, die Essen zum Mitnehmen verkaufen, ihre Produkte auch in Mehrwegverpackungen anzubieten. Wie stehen Sie dazu?
Welche Rolle spielen unterschiedliche Kunststoffe bzw. welche Verpackungsformen? In welchen (Anwendungs-)fällen können wir aus Ihrer Sicht gänzlich auf Kunststoffverpackungen verzichten? Und wie steht es mit den anderen Verpackungsmaterialien wie Glas und Papier?
Wichtig ist die Verwendung von Standardpolymeren, für welche auch tatsächlich Stoffströme existieren. Neben PET sind dies vor allem die Polyolefine PE und PP. Unabhängig von den Verpackungsformen, müssen alle Materialien in der Sortierung erkannt und eindeutig dem entsprechenden mechanischen Verwertungsprozess zuordbar sein. Zu präferieren sind hierbei Einstofflösungen, da diese den Sortier- und anschließenden Recyclingprozess nicht behindern. Die Erfahrung zeigt, dass es oftmals nicht die Grundmaterialien sind, die eine hochwertige Kreislauffähigkeit erschweren, sondern die Fülle an Hilfs- und Zusatzstoffen. Daher ist es wichtig, das Produkt und Materialdesign von Beginn an konsequent auch in diesen Bereichen so auszulegen, sodass keine recyclingseinschränkenden oder toxischen Wirkungen entlang der Wertschöpfungskette auftreten und die Folgenutzung negativ beeinträchtig wird.
Den gänzlichen Verzicht von Kunststoffverpackungen würde ich ausweiten auf die Frage, wo ein kompletter Verpackungsverzicht möglich ist. Beispiel Wasser: Die Trinkwasserqualität in Deutschland ist so gut, dass dieses in Form von Leitungswasser direkt aus der Leitung getrunken werden kann. Eine Reduktion des Ein- und Verkaufs von abgefülltem Wasser, unabhängig von Ein- oder Mehrweggebinden, hätte wirklich einen positiven Effekt auf die Umwelt.
Die Begriffe „Cirular Economy“ und „Kreislaufwirtschaft“ sind wichtige Begriffe im Themenumfeld von Klimaschutz, Ressourceneffizienz und Abfallreduktion – das eine mehr Prinzip, das andere mehr Lösung. Wie definieren Sie diese Begriffe und wie grenzen Sie diese gegeneinander ab?
Die Kreislaufwirtschaft wird in Deutschland sehr vom Abfall her definiert. Wir trösten uns damit, dass wir unseren Abfall trennen und sammeln, aus dem dann schon irgendetwas Neues entsteht. Mit diesem Verständnis von Kreislaufführung kann man zwar Symptome bekämpfen, aber nicht die Ursachen. Es hieß immer „weiter so – höher, schneller, weiter“. Das ist nicht der Deal. Über die planetaren Grenzen haben wir Eckpfeiler gesetzt bekommen innerhalb derer wir uns bewegen müssen. Wir können es uns nicht leisten, dass wir diese Grenzen noch länger überschreiten.
Die Circular Economy ist eine Schlüsselstrategie für den Schutz von Klima- und Biodiversität. Sie folgt einem ganzheitlichen Ansatz, denn sie bedenkt bereits die Rohstofferzeugung, bezieht das Produktdesign stärker ein und geht von einem sorgsamen, intensiven und langlebigen Gebrauch von Produkten bis hin zur Rückführung der Materialien am Nutzungsende aus.
Der WWF definiert eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft als ein regeneratives, von erneuerbaren Energien angetriebenes System, welches das derzeitige lineare Industriemodell “Nehmen, Herstellen, Entsorgen” ersetzt und innerhalb der planetaren Grenzen funktioniert. Der Wert an Materialien bleibt möglichst lange erhalten, Ressourcen werden gemeinsam genutzt, während Abfälle und negative Auswirkungen vermieden werden. Zudem schafft sie Vorteile für die Umwelt und die gesamte Gesellschaft und unterstützt durch alternative Wachstums- und Verbrauchsmuster.
Wo wurden bis heute die größten Fortschritte in der Kreislaufwirtschaft / Circular Economy erzielt und wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Hemmnisse?
In den letzten Jahrzehnten wurden Verpackungen hinsichtlich Funktionalität und Effizienz bezüglich Materialien, Hilfsstoffen, Energie und Herstellungsverfahren optimiert. Dennoch gebrauchen wir zu viele Verpackungen, verursachen wir zu viele Verpackungsabfälle und verwerten werkstofflich zu wenig. Jeder Deutsche verursacht über 225 Kilogramm Verpackungsmüll. Dieser Zustand ist nicht länger hinnehmbar.
Deshalb brauchen wir weniger und bessere Verpackungen! Oberstes Ziel muss nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis die Vermeidung besitzen. Hier sehe ich ein noch immer ein enormes Potential, welches es zu heben gibt. Nachholbedarf sehe ich auch in der konsequenten Anwendung optimierter Mehrwegverpackungen und -systeme, die zu einer starken Verringerung des Verpackungs- und Verpackungsabfallaufkommens beitragen können. Eine kürzlich vom WWF veröffentlichten Studie kommt u.a. zu dem Ergebnis, dass der Verpackungsverbrauch durch verschiedene Maßnahmen um 5,5 Mio. t auf 13,3 Mio. t in Deutschland verringert werden kann. Das größte Potenzial bietet die Umstellung auf Mehrwegverpackungen bzw. deren Ausweitung auf weitere Bereiche, wie Transport, Versand oder Lebensmittel.
Nachdem gut designte Produkte möglichst lange genutzt wurden, müssen Materialien quantitativ und qualitativ hochwertig in Wertstoffkreisläufen geführt werden. Zentral hierbei bleibt die Auslegung des Produktdesigns, sodass Materialien sicher sind und weder Nutzung noch Nachgebrauchsphase negativ beeinträchtigt werden.
Bei der Sammlung, Sortierung und mechanischen Verwertung von gebrauchten Verpackungen ist viel erreicht worden. Dennoch müssen auch an dieser Stelle weitere Anstrengungen und Modernisierungen unternommen werden. Die Digitalisierung wird hierbei die Transparenz und Nachverfolgbarkeit von Verpackungen erleichtern, u.a. zu Materialflüssen und -zusammensetzung und Toxikologie.
Wenn es aber darum geht, recyceltes PCR-Material erneut einzusetzen, sind wir noch nicht gut genug. Durch den Einsatz von Recyclingmaterial werden nicht nur weniger Primärmaterialien verwendet, sondern in fast allen Fällen sinken auch die CO₂-Emissionen. Ein wichtiger Baustein hierbei liegt in der Reduktion und Harmonisierung von Verpackungsmaterialien und deren Zusammensetzung. Zudem braucht es die Schaffung von Mechanismen und Standards, für die Zulassung weiterer Sekundärrohstoffe für den Lebensmittelkontakt. Auch müssen Aufklärungskampagnen weiter forciert werden, beispielsweise zur Mehrfachnutzung oder sachgerechten Vorsortierung durch uns Verbraucher:innen
„Kunststoffabfall ist zukünftig auch eine notwendige Ressource in einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft“ – wie bewerten Sie diese Aussage?
Können Bio-Kunststoffe eine Lösung sein?
Grundsätzlich gilt: Kunststoff – auch Bio-Kunststoff – darf niemals in der Umwelt landen. Die Vermeidung und Reduzierung von Kunststoffen sollten in allen Industrien und Haushalten an erster Stelle stehen. Sinnvoll eingesetzt können sie aber Vorteile bieten. Denn bestimmte Bio-Kunststoffe ermöglichen Einsparpotenziale für fossile Rohstoffe und stellen damit durchaus eine Alternative dar. Aber auch Biokunststoffe sind nicht automatisch ökologisch vorteilhaft und es bedarf auch hier immer der Einzelfallbetrachtung unter Einbeziehung verschiedener Faktoren.
Und was viele nicht wissen: Der Begriff Bio-Kunststoff ist nicht einheitlich definiert. Als Biokunststoff werden beispielsweise Materialien bezeichnet, die zwar organisch hergestellt werden, aber nicht biologisch abbaubar sind. Ebenfalls als Biokunststoff gelten Materialien, die zwar biologisch abbaubar sind, aber aus Erdöl bestehen.
So ist beispielsweise die biologische Abbaubarkeit bzw. Kompostierbarkeit nicht immer ökologisch vorteilhaft, da Materialien generell möglichst lange genutzt und im Kreislauf geführt werden sollen.
Beim WWF ist uns darüber hinaus eine transparente Kommunikation seitens der Unternehmen wichtig. Eine klare Kennzeichnung und Rohstoffzertifizierung sind für uns unabdingbar. Hinsichtlich der Nachfrage nach biobasierten Kunststoffen sind dann auch Fragen der Landnutzung (mögliche Flächenkonkurrenz zu anderen NaWaros und Biodiversitätsverlusten) verbunden. Zudem ist uns wichtig, dass ausschließlich Neben- bzw. Reststoffe genutzt werden, die GMO-frei (Anmerkung der Redaktion: hergestellt ohne Anwendung gentechnischer Verfahren) sein müssen.
Über Tom Ohlendorf:
Tom Ohlendorf ist als Senior Manager Circular Economy focus on Packaging Experte für Verpackungen bei der Naturschutzorganisation WWF. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die strategische und inhaltliche Betreuung des Themenfeldes Verpackung, das ein wichtiger Sektor im „Wirtschaft- und Märkte-Team“ beim WWF ist. Darüber hinaus ist er zuständig für die strategische Betreuung bzw. transformative Zusammenarbeit mit Unternehmen. Außerdem bearbeitet er inhaltliche Fragen zu produkt- sowie materialrelevanten Fragestellungen und erarbeitet Positionspapiere und begleitet politische Prozesse.
Über den WWF:
Der World Wide Fund For Nature (WWF) gehört zu den weltweit wichtigsten Umweltschutz-Organisationen. Dabei ist der WWF Deutschland selbständiger Teil der internationalen Naturschutzorganisation. Der WWF will die weltweite Zerstörung der Natur und Umwelt stoppen und eine Zukunft gestalten, in der Mensch und Natur in Einklang miteinander leben.