Ein Interview des Newsroom.Kunststoffverpackungen aus der Reihe “Im Dialog” über Verbote, Einweg-Getränkebecher und “Papier statt Plastik” mit Kurt Schüler, Geschäftsführer der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung.
Die GVM hat sich bereits intensiv mit dem Markt für Einweg-Kunststoffprodukte beschäftigt. Uns interessiert heute, welche Auswirkungen die Umsetzung der EU-Einweg-Kunststoffprodukte-Richtlinie (Single-Use-Plastics, SUP) durch die Einwegkunststoff-Verbotsverordnung auf den deutschen Verpackungsmarkt haben wird.
Bis zum 3. Juli 2021 soll u.a. das europaweite Verbot von bestimmten Einweg-Lebensmittelbehältern aus expandiertem Polystyrol durchgesetzt werden. Können Sie uns sagen, um welche Art von Verpackung es sich hier handelt, woher sie kommt und in welchen Mengen sie in Deutschland genutzt wird?
Geschäumtes Polystyrol wird im SUP-relevanten Markt v.a. als Verpackung der To-Go-Gastronomie eingesetzt. In der aktuellen Viruskrise waren auch konventionelle Restaurants und Kantinen in diesem Marktsegment unterwegs. Insgesamt liegt der Verbrauch bei Lebensmittelbehältern aus geschäumtem Polystyrol im Jahr insgesamt bei 25.000 bis 30.000 Tonnen.
Allerdings gibt es im Markt neben den in Zukunft verbotenen Verpackungen aus expandiertem Polystyrol noch andere Schaumkunststoff-Verpackungen, die vom Verbot nicht betroffen sind. Der Vorteil von Schaumkunststoffen besteht im Take-away-Bereich darin, dass verzehrfertige Gerichte gut warmgehalten werden. Außerdem können die Behälter entweder mit integriertem Klappdeckel oder Alu-Siegelfolie bedarfsgerecht verschlossen werden, und sie sind im Vergleich zu anderen Materialien sehr leicht.
Kurt Schüler studierte Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Frankfurt und Freie Universität Berlin mit den Schwerpunkten Außenwirtschaft und Statistik. Anschließend war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bergischen Universität / Gesamthochschule Wuppertal am Lehrstuhl für Makroökonomik der offenen Volkswirtschaft.
Dort führte er verschiedene Forschungsprojekte in der empirischen Industrie- und Außenhandelsforschung durch. Berufsbegleitend absolvierte Schüler den Aufbaustudiengang Wirtschafts- und Arbeitsrecht (mit Schwerpunkt Wettbewerbsrecht) an der Fernuniversität Hagen. 1995 wechselte er zur GVM Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung mbH in Mainz.
Seit Anfang 2004 ist er geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens. Zugleich ist er Projektleiter mit den Schwerpunkten Verpackungsverbrauch, Kunststoffverpackungen, Verwertung / Entsorgung von Verpackungen, Verpackungsverordnung sowie Duale Systeme.
Das europaweite Verbot gilt auch für Einweg-Getränkebecher aus expandiertem Polystyrol. Haben Sie dazu auch Zahlen?
Der Verbrauch von Getränkebechern aus expandiertem Polystyrol ist im Vergleich zum Lebensmittelbereich eher gering. Solche Becher kennt man eher in Nordamerika. Wir schätzen den Verbrauch in Deutschland auf eine Größenordnung zwischen 100 und 200 Tonnen. Zum Vergleich: Jährlich werden in Deutschland etwa 20.000 Tonnen To-Go-Becher für Heißgetränke aus beschichtetem Papier verbraucht.
Auch Einweg-Besteck, -Teller und -Trinkhalme aus Kunststoff oder mit Kunststoffanteil sollen verboten werden. Wie groß ist der Markt für diese Produkte und woher kommen sie?
Der Markt für Einwegprodukte im Außer-Haus- und Party-Bereich ist sehr heterogen. Die Herstellung von Serviceverpackungen ist in der Regel nicht sehr komplex. Es handelt sich um Massenprodukte, die für einen sehr preisgetriebenen Markt gefertigt werden. Daher werden diese Verpackungen zu mehr als zwei Dritteln aus dem Ausland importiert. Allein die Marktmenge der Trinkhalme und des Einwegbestecks aus Kunststoff beziffern wir auf 22.000 Tonnen.
Die SUP-Richtlinie gilt ja nicht für sämtliche dieser Produkte, sondern nur für solche, die anhand der Kriterien als Einweg-Kunststoffprodukt identifiziert werden. Können Sie uns Beispiele geben für Produkte, die gerade nicht von der Richtlinie oder der Verbotsverordnung erfasst werden?
Die EU hat mit der SUP-Richtlinie ein viel zu komplexes Regelwerk geschaffen, zu dem noch keine endgültigen Leitlinien vorliegen. Daher sind viele Auslegungsfragen noch offen und ich befürchte, sie werden auch noch lange Anlass zu Rechtsunsicherheit und endlosen Streitigkeiten bieten. Ein Beispiel für Verpackungen, die nicht von der Verbotsverordnung betroffen sind, sind Portionsverpackungen für Fertiggerichte, die vor dem Verzehr noch erhitzt werden müssen. Ebenfalls nicht vom Verbot betroffen sind so genannte Multipacks, die mehre Portionen in einer Verkaufseinheit beinhalten.
Kaum bekannt ist, dass nach der Richtlinie auch mit Kunststoff beschichtete Papierverpackungen als Einweg-Kunststoffverpackungen gelten, wenn die Beschichtung eine Funktion hat, beispielsweise um Wasser oder Fett abzuweisen. Gibt es Untersuchungen darüber, wie groß der Markt für die von der Richtlinie betroffenen Papierverpackungen ist?
Aufgrund der nach wie vor fehlenden endgültigen Leitlinien können wir die Marktmenge der betroffenen Papierverbundverpackungen noch nicht abschließend beziffern. Wir arbeiten gerade intensiv an dem Thema. Klar ist aber, dass dieser Markt aktuell stark wächst und auch in den kommenden Jahren weiter stark wachsen wird.
Welche Substitutionseffekte machen Sie aufgrund der Plastik-Diskussion und speziell der Diskussion um Einweg-Kunststoffverpackungen aus?
In den vergangenen Jahren gab es ja bereits viele Veränderungen im Markt, die mit der Zuspitzung der Diskussion um Einweg-Kunststoffverpackungen immer mehr Dynamik bekommen. Ein gutes Beispiel für Substitutionseffekte stellen die Kunststofftragetaschen dar. Nach der Selbstverpflichtungserklärung des Handels, die Kunststofftragetaschen nicht mehr umsonst an die Kunden auszugeben, konnte kontinuierlich ein Rückgang festgestellt werden. Stattdessen greifen die Händler und Endverbraucher nun zu Papier- und Permanenttragetaschen oder bringen eigene Beutel oder Rucksäcke zum Einkaufen mit.
Aber auch bei den Serviceverpackungen sehen wir einen klaren Trend zu papierbasierten Verpackungen: mit Barrieren aus Kunststoff, biobasierten Lösungen und – wo es geht – auch ganz ohne Barriere. Ich habe aber den Eindruck, dass hier im Moment noch viel mit verdeckten Karten gespielt wird. Denn bereits im Zusammenhang mit dem Verpackungsgesetz wissen wir, dass viele dieser nicht oder nur schwer recycelbaren Papierverbunde einfach als Monoverpackungen deklariert werden. Das werden wir so auch im Zusammenhang mit der SUP-Umsetzung sehen, da bin ich sicher.
B2B-Marktforschung mit Schwerpunkt Verpackung
Seit über 30 Jahren beobachtet die GVM Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung mbH, Mainz die Verpackungswelt und liefert ihren Kunden Analysen und Prognosen und damit wertvolle Entscheidungshilfen. Mit verschiedenen Recherchemethoden werden Informationen und Daten erhoben und aufbereitet.
Mit Hilfe einer umfassenden Datenbank zum Einsatz und Verbrauch von Verpackungen in Deutschland werden vielfältige Beschreibungen des Marktes durchgeführt, auch zu den Themen Entsorgung und Verwertung.Die Kombination aus langfristigen Beobachtungen und Blick auf das aktuelle Marktgeschehen lässt Trends frühzeitig erkennen und ist die Grundlage von Prognosen.
Die GVM steht für Unabhängigkeit von Politik und Wirtschaft, was auch die Vielfalt ihrer Auftraggeber zeigt: Unternehmen und Organisationen der Packstoff- und Packmittelindustrie, der Entsorgungswirtschaft, des Maschinenbaus, des Handels und der abfüllenden Industrie sowie das Umweltbundesamt.
Am vergangenen Freitag nahm die Industrievereinigung Kunststoffverpackungen bereits Stellung zur Entscheidung im Bundesrat über Einwegkunststoff-Verpackungen und wies darauf hin, dass To-Go-Verpackungen nie wichtiger waren als heute und das Kunststoff ökologisch oftmals die beste Wahl ist.
Im Dialog – Unser Magazin zur Interviewreihe um Kunststoff Recycling Klima- und Umweltschutz.