von Alice Natter – veröffentlicht in der „Main-Post“ am 04. Dezember 2020:

Immer mehr Verpackungen, immer mehr Abfall, immer mehr Tüten im Meer. Was tun? Dr. Sabine Amberg-Schwab vom Fraunhofer ISC  hat eine Folie entwickelt, die sich abbauen lässt.

Kunststofffolie Amberg Schwab

Dr. Sabine Amberg-Schwab (links) – Foto: M. Kern für Fraunhofer ISC

Am Handlungsbedarf besteht kein Zweifel: In Deutschland kommt so viel Verpackungsmüll zusammen wie noch nie. 19 Millionen Tonnen waren es laut den neuesten Zahlen des Umweltbundesamtes im Jahr 2018, umgerechnet 227,5 Kilogramm pro Bundesbürger. Mehr als vier Kilo also pro Kopf pro Woche! Allein durch Kunststoffverpackungen kommen 3,2 Millionen Tonnen Abfall zusammen. Und während von Aluminium immerhin rund 90 Prozent recycelt werden, von Papier und Karton 88 Prozent und von Glas immerhin noch 83 Prozent, sind es bei Plastik nur mickrige 47 Prozent.

Das Problem: Kunststoffverpackungen sind leicht herzustellen, aber nur wenige sind recyclingfähig. Was tun? Am Würzburger Fraunhofer-Institut für Silicatforschung (ISC) arbeitet die Chemikerin Dr. Sabine Amberg-Schwab daran, sortenreine Kunststoffe verpackungstauglich zu machen. Der Trick: eine sehr dünne sogenannte Barriereschicht, die wie ein Lack auf eine Folie aufgetragen wird.

Das Ziel der Forscherin: Verpackungsmaterial soll recyclingfähig oder kompostierbar werden! In diesem Jahr wurde Sabine Amberg-Schwab mit dem Deutschen Verpackungspreis 2020 in Gold sowie in der Kategorie Nachhaltigkeit ausgezeichnet – und zuletzt mit dem Sustainability Award 2020 von Packaging Europe.  Ein Gespräch über die Tücken der Verbundfolie, die Entwicklung des “bioORMOCER®” – und die Chancen der Bio-Verpackung im Supermarktregal.


Was war zuerst – das interessante Material oder das Problem? Haben Sie sich überlegt, für was Ihr Material einsetzbar wäre? Oder ging es um das Thema „Zu viel Verpackungsmüll“?

Dr. Sabine Amberg-Schwab: In dem Fall ging es tatsächlich zunächst einmal um das Material. Seit fast 50 Jahren werden mit sogenannten Ormoceren nun schon Produkte am Fraunhofer ISC entwickelt, vom Kratzschutz für Brillengläser bis zur Zahnfüllung. Diese Materialklasse ist ein Spezialgebiet des ISC. Als ich 1989 ans Institut kam, haben wir dann angefangen zu untersuchen, ob diese Beschichtungsmaterialien prinzipiell auch Barriere-Eigenschaften haben können.

Kunststofffolie Transparent - Die Lösung gegen Plastkmüll

Monofolie mit bioORMOCER® – Foto: K. Dobberke für Fraunhofer ISC

Barriere-Eigenschaften, das heißt?

Amberg-Schwab: Barrieren gegenüber Wasserdampf und Sauerstoff oder Aroma-Barrieren. Barrieren also, die man für gute Lebensmittelverpackungen braucht. Kartoffelchips oder Plätzchen sollen schließlich knusprig bleiben in ihrer Verpackung. Generell muss man bei trockenen Produkten dafür sorgen, dass die Verpackung Luftfeuchtigkeit, also Wasserdampf, abhält. Bei Produkten mit Fettanteil darf kein Sauerstoff in die Verpackung gelangen, sonst wird der Inhalt ranzig. Und bei sehr aromatischen Produkten wie Kaffee darf das Aroma nicht verloren gehen. Solche Verpackungen sind deshalb oft sehr kompliziert aufgebaut.

“Wenn man weiß, wie Verpackungen aufgebaut sind, erkennt man, wie wertvoll sie eigentlich sind.” – Chemikerin Dr. Sabine Amberg-Schwab über das Wegwerfprodukt

Kompliziert heißt: vielschichtig?

Amberg-Schwab: Ja, so eine Lebensmittelverpackung besteht oft aus vielen verschiedenen Schichten mit individuellen Funktionen. Für uns ist ein Verpackungsmaterial ja eigentlich ein Wegwerfprodukt. Aber wenn man an die wichtige Funktion für die Haltbarkeit von Lebensmitteln denkt und weiß, wie die Verpackungen aufgebaut sind und welches Know-how in den Materialien und in der Verpackungsherstellung steckt, dann erkennt man, wie wertvoll sie eigentlich sind.

Verpackungen müssten viel teurer sein?

Amberg-Schwab:Nicht teurer, das würden die Verbraucher auch nicht bezahlen. Aber mehr Aufklärung und Wertschätzung wäre schön. Es geht dabei auch um die umweltgerechte Entsorgung der Verpackungsmaterialien. Insgesamt können bis jetzt nur wenige Materialien recycelt und nur ein unbedeutender Anteil kompostiert werden. Da ist es wichtig, zu wissen, welche Verpackungen ich als Verbraucher in der Hand habe, damit ich sie richtig entsorgen kann. Das zu vereinfachen, auch daran arbeiten wir mit unseren Beschichtungen.

Also, was sind Ormocere?

Amberg-Schwab:Spezielle Kunststoffe, die aus anorganischen, glasartigen und aus organischen Anteilen bestehen. Aus beiden Materialbereichen nehmen wir die besten Eigenschaften und kombinieren sie zu einem neuen Werkstoff.

Das Beste heißt?

Amberg-Schwab:Bei Glas und Keramik: hohe Härte, hohe Temperaturbeständigkeit, hohe chemische Beständigkeit, gute Barriereeigenschaften. Was stört: Sie sind spröde und zerbrechlich. Die organischen Bestandteile dagegen sind leicht und flexibel. Sie lassen sich gut verarbeiten und bei ihnen kann man mehrere Funktionen kombinieren. Das Ganze muss man sich wie einen molekularen Baukasten vorstellen, das macht es so interessant. Wir können planen, welche Eigenschaften das Beschichtungsmaterial haben soll und diese ganz gezielt einstellen.

Wie schwierig ist die Herstellung?

Monofolie BioOrmocer Kunststoff - Plastikmüll mit Biokunststoff bekämpfen

Monofolien-Verpackung mit bioORMOCER® – Foto: K. Selsam, Fraunhofer ISC

Amberg-Schwab:Man muss sein Material gut verstehen. Es ist wichtig zu wissen, welche chemischen Reaktionen ablaufen, wie schnell sie sind, wie viel Wasser man braucht, bei welchen Temperaturen und bei welchem pH-Wert die Reaktionen stattfinden. Dabei ist Qualitätskontrolle sehr wichtig. Wir verstehen diese Materialklasse so gut, dass wir die Eigenschaften neuer Materialformulierungen sehr genau vorab bestimmen können. Was bei den Ormoceren wirklich fantastisch ist: Wir können nicht nur eine Funktionseigenschaft im Material einstellen, sondern gleich mehrere. Deshalb ist diese Werkstoffklasse überaus vielseitig einsetzbar.

Also nicht nur als Sauerstoff-Barriere bei ranzig werdenden Nüssen. Was kann die Beschichtung noch?

Amberg-Schwab:Zum Beispiel auch vor Abrieb schützen oder dafür sorgen, dass die Verpackung eingefärbt, bedruckt und beklebt werden kann. Was man sonst nur in Kombination mit mehreren Schichten oder Folien aus verschiedenen Kunststoffen erreicht, setzen wir mit einem Beschichtungsmaterial um und können so die üblichen nicht recycelbaren Verbundfolien vermeiden.

Wenn es so ein tolles Material ist – warum sind nicht schon alle Lebensmittel damit verpackt?

Amberg-Schwab:Die Verbundfolien, gerade die Lebensmittelverpackungen, sind seit vielen Jahrzehnten im Hinblick auf Eigenschaften, Verarbeitung und Preis optimiert. Sie sind in der Leistung perfekt und von den Kosten unschlagbar günstig. Aber sie sind ein Umweltproblem: Diese Art von Verpackungen kann nicht recycelt werden. Man kann sie nur verbrennen oder deponieren, was in Zukunft nicht mehr akzeptabel ist. Das hat auch die Politik erkannt. Seit 1. Januar 2019 ist im neuen Verpackungsgesetz festgeschrieben, dass die Recyclingquoten deutlich erhöht werden müssen. Mit unseren leistungsfähigen Barrieren können wir sogenannte Monofolien realisieren. Die bestehen nur noch aus einer Trägerfolie und unserer Barrierebeschichtung. Weil die so ultradünn ist, stört sie das Recycling der Trägerfolien nicht. Damit haben wir einen Meilenstein gesetzt und können der Verpackungsindustrie konkret helfen.

Geht es ganz ohne Erdöl? Was ist bei Ihnen Ausgangs-Rohstoff? Brauchen Sie Maisfelder?

Amberg-Schwab:Wir setzen für unsere Beschichtungsmaterialien nachwachsende Rohstoffe ein, zum Beispiel aus Resten der Früchteverarbeitung oder Abfällen vom Hanf-Anbau. Wir verhelfen den biologischen Reststoffen quasi zu einem Upgrade und stellen daraus hochwertige neue Ausgangsverbindungen für unsere Lacke her. Damit verhindern wir die Konkurrenz zu Lebensmittel-Anbauflächen, außerdem verbessern wir die Verwertung von Frucht- und Gemüseabfällen.

Wie lange dauert es, bis die Bioverpackung kompostiert, also völlig zersetzt ist?

Amberg-Schwab:Es gibt einen Test zur industriellen Kompostierbarkeit. Demnach muss das Beschichtungsmaterial innerhalb von sechs Monaten zu 90 Prozent in CO2 und Wasser verwandelt sein. Erst dann gilt ein Material als biologisch abbaubar. Alle unsere Schichten haben das erreicht, am Ende werden die organischen Anteile sogar zu 100 Prozent abgebaut.

“Das Ziel muss sein, dass Verpackungen auch in der Natur in kurzer Zeit verrotten.” – Materialentwicklerin Dr. Sabine Amberg-Schwab vom Fraunhofer ISC

Was kann Ihre Verpackung denn dann nicht? Was ist die Schwachstelle?

Amberg-Schwab:Für umweltfreundliche Verpackungskonzepte darf es keine Schwachstelle geben. Wir wollen den leicht recycelbaren Monofolien und kompostierbaren Verpackungen den Weg in den Markt ebnen. Daher müssen die Konzepte stimmen – gerade wegen der sehr hohen Anforderungen. Im Moment haben wir Anfragen aus aller Welt von unterschiedlichsten Firmen: von Verpackungsherstellern, Lebensmittelherstellern, Papierherstellern . . .

Aber das neue Material ist teurer . . .

Amberg-Schwab:Wenn wir berücksichtigen, wie die gesamte Wertschöpfungskette von der Produktion bis zur Wiederverwertung aussieht und auch die Bedingungen von Produktion und Recycling einbeziehen, dann sind recycelbare und kompostierbare Verpackungslösungen deutlich günstiger. Denn scheinbar billige Verpackungen sorgen dafür, dass unsere Böden, Flüsse und Meere Mikroplastik ansammeln, das letztlich in die Nahrungskette gelangt – sie sind in Wirklichkeit umweltschädlich. Das sind die wahren Kosten, die wir im Blick haben müssen, statt nur auf die Endpreise zu schauen. Mit unserer Art und Weise des Lebens und Wirtschaftens verschieben wir die Kosten und die Verantwortung bisher in andere Länder. Denken Sie an die Exporte unseres Plastikmülls nach Asien oder Afrika. Unsere Materialien zeigen dagegen umweltfreundliche Wege, die nicht auf Kosten anderer Länder und Menschen gehen. Wir sind im Endeffekt also um ein Vielfaches günstiger.

Gerade haben Sie den Sustainability Award 2020 von Packaging Europe in der Kategorie „Bio-Based“ bekommen und sich als Gesamtsieger durchgesetzt. Wie wichtig ist so ein Preis?

Amberg-Schwab: Das macht uns in der internationalen Verpackungsbranche noch sichtbarer und bekannter. Und diese Erfolge bestätigen, dass wir mit unseren Entwicklungen einen wichtigen und wertvollen Beitrag dafür leisten, dass Verpackungen in Zukunft umweltfreundlich werden.

Wie geht’s weiter? Wann kommt bei der Nachfrage der Schub?

Amberg-Schwab: Durch die Verpackungsverordnung wird sich jetzt die Verpackungslandschaft drastisch ändern. Es gibt zwei Schienen, die in der Zukunft sinnvoll weiterverfolgt werden sollten: Das sind zum einen einfach recycelbare Verpackungsmaterialien. Also Verpackungen auf Papierbasis und Monomaterialien, mit denen auch erdölbasierte Verpackungen durch Recycling in einem Wertstoffkreislauf geführt werden.

Die zweite Schiene?

Amberg-Schwab:Verpackungsmaterialien, die tatsächlich komplett biologisch abbaubar sind. Dabei muss das Ziel sein, dass Verpackungen auch in der Natur in kurzer Zeit verrotten. Nur so verhindern wir, dass einfach weggeworfene Verpackungen liegen bleiben, Böden, Flüsse und Meere verschmutzen und durch Mikroplastik verseuchen. Und wenn Sie danach fragen, wie es bei uns weitergeht: Wir haben im Moment viele Projekte mit Verpackungsherstellern, Kosmetik- und Lebensmittelkonzernen. In einem bis anderthalb Jahren wollen wir mit der Industrie gemeinsam die neuen nachhaltigen Verpackungsmaterialien in den Markt bringen.

Amberg Schwab 2020

Foto: Dr. Sabine Amberg-Schwab, privat

Dr. Sabine Amberg-Schwab hat an der Uni Würzburg Biologie und Chemie studiert und nach der Promotion am Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC mit der Entwicklung neuer Beschichtungsmaterialien begonnen. Sie leitet die Abteilung „Funktionelle Barriereschichten” und arbeitet mit ihrem Team an der Weiterentwicklung der Materialklasse der Hybridpolymere.

Im Jahr 2005 erhielt sie für ihre Entwicklungsarbeiten im Bereich der antimikrobiellen Beschichtungen den ICE Preis (International Coating Exhibition).  2011 wurde sie mit dem  Fraunhofer-Preis ausgezeichnet – für Barrierefolien, mit denen sich Solarzellen verkapseln lassen. Der Preis wird seit 1978 jährlich von der Fraunhofer-Gesellschaft für herausragende wissenschaftliche Leistungen an Fraunhofer-Mitarbeitende verliehen, die zur anwendungsorientierten Problemlösung führten. 2018 gewann die Chemikerin den „New Plastics Innovation Prize“ der Ellen-MacArthur-Foundation für die Entwicklung der bioORMOCER®, der ihr am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos verliehen wurde.