„Häufig fehlt der nächste Schritt,
die Verwertung gleich mitzudenken“
die Verwertung gleich mitzudenken“
Im Dialog mit Dr. Bernhard Bauske,
Meeresmüll-Experte bei der internationalen Umweltschutzorganisation WWF
Um ein möglichst umfassendes Meinungsbild zum Thema Kunststoffverpackungen abzubilden, kommen in unserem Newsroom selbstverständlich auch kritische Stimmen zu Wort. Das Ziel ist ein besseres Verständnis unterschiedlicher Positionen – und das in einem unzensierten Raum. Das bedeutet nicht, dass jede Meinung oder Äußerung unsere Zustimmung findet. Im Zuhören und gegenseitigem Respekt sehen wir jedoch die beste Chance, tragfähige Lösungen zu entwickeln.
Dr. Bernhard Bauske, Meeresmüll-Experte bei der internationalen Umweltschutzorganisation WWF, sieht die Kunststoffhersteller in der Pflicht, mehr gegen Plastikabfall in der Umwelt zu unternehmen – so etwa durch die Unterstützung einer besseren Abfallinfrastruktur in Ländern mit Nachholbedarf. Welche das seiner Meinung nach sind, wo er sich größere Fortschritte erhofft und wie Verbraucher generell helfen können, gibt er in unserem Interview preis.
Das Image von Kunststoffverpackungen ist in den vergangenen Jahren immer mehr in Verruf geraten. Zurecht?
Generell sind Kunststoffe heutzutage nicht biologisch abbaubar und reichern sich so überall in der Umwelt an. Forschungseinrichtungen und Naturschutzverbände haben in den vergangenen Jahren nachgewiesen, dass Verpackungsmüll nicht nur in Flüssen und Seen zu finden ist, sondern längst auch in den Tiefen der Ozeane. Mikroplastik wurde bereits in der Arktis aufgespürt. So ist ein Bewusstsein dafür geschaffen worden, dass Kunststoffmüll die Umwelt verschmutzt und einmal dort, auch nicht mehr rückholbar ist – und so für Schäden in Ökosystemen und bei Tieren sorgt.
Verpackungsmüll und Kunststoffverpackungen waren übrigens schon immer ein Thema, etwa in den 80er Jahren: Bei der zunehmenden Menge an Verpackungsmüll drohte damals ein Müllnotstand. Anfang der 90er Jahre ist daher eine neue Verpackungsverordnung beschlossen worden. Zwar wurde nun deutlich mehr Verpackungsmüll dem Recycling zugeführt und die Deponierung von Hausmüll zurückgefahren.
Allerdings wurden auch hohe Verbrennungskapazitäten geschaffen – trotz der damit einhergehenden Emissionen von Treibhausgasen und anfangs auch vieler Schadstoffe. Im Grunde genommen wurde das Problem nicht gelöst. Der Anteil recycelter Kunststoffe stagniert seit langer Zeit auf niedrigem Niveau und die Menge an Verpackungsmüll steigt stetig weiter an. Global betrachtet, gelangt noch immer entschieden zu viel von einem biologisch nicht abbaubaren Material in die Umwelt.
Der Fokus auf Plastikverpackungen ist aus WWF-Sicht daher berechtigt: Mit dem Verpackungsverbrauch steigt der Ressourcenverbrauch. Wir müssen zwingend ein Bewusstsein dafür schaffen, dass zu viele Verpackungen im Umlauf sind und dass unser Konsumverhalten und Lebensstil ursächlich für die daraus resultierenden Umweltverschmutzungen sind.
Es braucht also weniger Einwegverpackungen, und Abfall muss richtig gesammelt, getrennt und entsorgt werden. Zudem benötigen wir systemische Veränderungen, wie eine stärkere Förderung des recyclinggerechten Designs von Verpackungen und einen höheren Einsatz von Recyclingwerkstoffen. Die aktuellen Kunststoff-Recyclingquoten sind im Vergleich zu anderen Materialien wie Papier, Metalle oder Aluverpackungen deutlich zu niedrig.
Im Jahr 2020 wurden fast 250-mal mehr Kunststoffe produziert als 1950. Gerade Asien sorgt für Wachstum, während dort effiziente Sammel- und Entsorgungssysteme fehlen. Wird die Kunststoffindustrie Opfer ihres eigenen Erfolgs?
Aktuell werden ständig neue Materialien entwickelt und in den Handel gebracht. Es fehlt aber häufig der nächste Schritt, die Verwertung gleich mitzudenken. Während der Konsum in vielen Ländern durch ein höheres Einkommen steigt, wächst das Abfallmanagement nicht im gleichen Maße mit.
Die riesigen Mengen an Plastikabfall können aber auch nicht einfach irgendwo auf wilden Müllkippen entsorgt, in die Landschaft geworfen oder offen verbrannt werden. Vielmehr braucht es in Ländern mit steigendem Konsum und unterentwickeltem Müllmanagement, wie beispielsweise in Südostasien, eine nachhaltige und integrierte Abfallwirtschaft auf finanziell soliden Beinen.
Aktuell liegt die Verantwortung für die Entsorgung konsumnaher Abfälle, wie Verpackungen, bei den staatlichen Institutionen, wie Städten und Gemeinden. Wir vom WWF setzen uns für eine erweiterte Produzentenverantwortung ein, nach der Inverkehrbringer von Verpackungen auch Verantwortung für das Entsorgen von Produkten und Verpackungen übernehmen müssen. Das bedeutet auch, die Kosten für Sammlung, Sortierung und die weitere Verwertung zu tragen.
Zudem kann der gesetzliche Rahmen der „Erweiterten Produzentenverantwortung“ so gestaltet werden, dass Waren und Erzeugnisse so hergestellt werden, dass sie bestmöglich im Kreislauf geführt werden können. Gerade das findet in vielen Ländern nicht statt – mit all den bekannten Folgen für Flüsse, Meere und Tiere. Bei wachsender Produktion verschärft sich das Problem weiter.
Und auch die Menschen werden so benachteiligt: Abfälle werden offen verbrannt, verstopfen Abwasserkanäle und wilde Deponien verunreinigen das Grundwasser. In vielen Teilen der Welt ziehen Regierungen daher jetzt die Notbremse und verbieten Einwegprodukte und bestimmte Verpackungen.
Kreislaufwirtschaft gilt als Heilsbringer für viele Umweltprobleme. Reicht das als Lösung für das Littering-Problem?
Wenn der Kunststoff, der als Abfall anfällt, einen hohen Wert hat, dann sorgt das mit dafür, dass er nicht weggeworfen, sondern gesammelt wird. In vielen Ländern gibt es Gruppen von Abfallsammlern, auch als informeller Sektor bezeichnet, die Müll sammeln, sortieren und verkaufen. Dadurch kann ein Teil des Verpackungsmülls dem Recycling zufließen.
Allerdings sind aktuell die Preise für Neuware vielerorts niedriger als für Rezyklate. Die Erträge aus dem Recycling sind zu gering, um den Aufwand zu finanzieren, den das mechanische Recycling verlangt. Bleibt es bei dem Preiseinbruch, sind etablierte Abfall- und Verwertungsstrukturen gefährdet.
Kreislaufwirtschaft allein kann das Problem nicht lösen. Es braucht unabhängig davon ein flächendeckendes System, mit dem die Sammlung der Abfälle und die weitere Verwertung finanziert und die soziale Situation der Müllsammler verbessert wird.
Die wachsende Nutzung von Kunststoffen und Einwegprodukten verbraucht mehr und mehr Ressourcen. Daher sollte an erster Stelle immer die Vermeidung stehen. Erst danach kommt der geschlossene Kreislauf.
So etwas gibt es aber bislang in Deutschland nur bei PET-Flaschen aus der Sammlung von Getränkeverpackungen. Viel Kunststoffmüll geht hierzulande noch immer in die Verbrennung oder in den Export. Von einer echten Kreislaufwirtschaft sind wir also weit entfernt. Dies liegt auch daran, dass wir bei Kunststoffen eine Gemengelage aus verschiedenen Sorten, Schadstoffen und Zusätzen haben. Das ist ein komplexeres Material für ein potenzielles Recycling als bei anderen Materialien. Pfand könnte eine Lösung gegen Littering sein und helfen, Produkte einheitlicher zu gestalten. Jedes unterschiedliche Produkt mit einem Pfand zu versehen wird aber schwerlich gelingen.
Die Hauptquelle für den Plastikabfall im Meer liegt in Südostasien. Welche Hebel sind zur Lösung des dortigen Müllproblems besonders zielführend?
Auch hier gilt das Primat der Vermeidung, insbesondere von Einwegprodukten. Zudem müssen Abfälle flächendeckend eingesammelt werden, was wiederum nur funktioniert, wenn es ein strenges gesetzliches Regelwerk gibt, welches eine “Erweiterte Produzentenverantwortung“ regelt.
So sollten die Inverkehrbringer von Verpackungen die Sammlung und Sortierung sowie das Recycling ihrer Produkte finanzieren, beispielsweise mittels gestaffelter Gebühren je nach Recyclingfähigkeit einer Verpackung. Im zweiten Schritt muss gewährleistet sein, dass ein daraus gewonnener finanzieller Topf nicht im allgemeinen Budget des Landes verschwindet, sondern zielgenau für den Aufbau einer Sammlungs- und Verwertungslogistik genutzt wird.
Industrie, Politik, Verbraucher – alle sind in der Pflicht, das Aufkommen von Plastik in der Umwelt nachhaltig zu reduzieren. Wo sehen Sie bei den Akteuren jeweils ihre Verantwortung? Was machen Sie als WWF für die Lösung des Problems?
Es gibt bestimmte Dinge, die kann nur die Industrie leisten, wie beispielsweise die Recyclingfähigkeit von Produkten und Verpackungen zu verbessern. Das Lebensende einer Verpackung sollte vom Produzenten immer mitgedacht werden.
Das betrifft bei Kunststoffen vor allem deren Zusammensetzung, also die Gemengelage aus Dutzenden verschiedener Additive und Inhaltsstoffe. Verbraucher, Handel und Entsorger wissen teilweise gar nicht, womit sie es hier zu tun haben, während die vielen Zusatzstoffe das Recycling erschweren.
Es braucht aber auch Gesetze, die eine Lenkungswirkung erzielen und einen klaren gesetzlichen Rahmen für Vermeidung und mehr Recycling setzen. Sind Recyclingsysteme etabliert, muss sichergestellt sein, dass Abfälle auch wirklich recycelt werden. Nachrichten von Müllexporten nach Südostasien wirken wenig motivierend auf den Verbraucher.
Die Nutzung von wertvollem Kompost aus Biomüll ist ein positives Beispiel, Verbraucher zu motivieren, den Abfall sauber zu trennen. Der Verbraucher kann aber schon beim Einkaufen mithelfen, den Verpackungsaufwand zu reduzieren, sofern er sich so verpackungsarm wie möglich verhält. Hier gewinnt der Verbraucher im Supermarkt zunehmend an Wahlmöglichkeiten.
Dies ist aber noch ein schwieriger und langer Weg: Die Performance von Kunststoffen ist hoch. Sie leisten vieles, was andere Materialien nicht schaffen. Aktuell sind vorrangig Lösungen gefragt, die die Recyclingfähigkeit von Kunststoffen verbessern und den Einsatz von Recyclingmaterial erhöhen.
Auch geht es nicht um einen Materialwechsel: So baut sich die Papiertüte zwar leichter in der Umwelt ab, verursacht aber wie jede andere Verpackung auch Umweltbelastungen bei der Herstellung. Mehrweg-Aktionen sollten gut durchdacht und geplant werden, zum Beispiel sollten Mehrwegtaschen und -behälter nicht einfach verschenkt werden, so dass dann Dutzende davon zu Hause herumliegen. Das darf nicht passieren.
Wir als WWF unterstützen ein internationales Abkommen, das Staaten dazu verpflichtet, die Einträge von Müll in die Meere zu unterbinden. Auch setzen wir uns für gesetzliche Rahmenwerke zu einer erweiterten Produzentenverantwortung in den jeweiligen Ländern ein.
In Südostasien fördern wir Projekte für ein besseres Abfallmanagement. So binden wir in Vietnam die lokale Bevölkerung ein. Wir helfen mit, eine getrennte Erfassung in den Haushalten zu organisieren und die eingesammelten Materialien bestmöglich zu verwerten.
Im Mekong-Delta läuft beispielsweise ein Modellprojekt, bei dem der Abfall von 4.000 Haushalten nun getrennt erfasst wird. Die Bevölkerung wird zudem dafür sensibilisiert, auf überflüssige Verpackungen möglichst zu verzichten.
In Zusammenarbeit mit Hotels in Vietnam stellen wir Schritt für Schritt von Einweg- auf Mehrwegsysteme um. Dass wir in dem Land aktiv sind, hängt auch damit zusammen, dass die sozialen Folgen einer unsachgemäßen Abfallentsorgung großen Handlungsdruck bei der Regierung erzeugen und die Regierung unsere Projektansätze unterstützt.
Dr. Bernhard Bauske, WWF Deutschland
Ist seit 1993 im WWF Deutschland aktiv und seit 2017 Projektkoordinator Meeresmüll, Abteilung Meeresschutz. Er hat Biologie an der Universität Hamburg studiert und promovierte 1994 am Institut für Bodenkunde in Hamburg.