„Wir müssen alte Denkmuster sprengen und neue Wege gehen“
Klima- und Ressourcenschutz zusammenbringen und Abfälle verringern – daran arbeiten zahlreiche Akteure in der PREVENT Waste Alliance, die 2019 auf Initiative des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gegründet wurde: Im Interview erläutert Nora Sophie Griefahn, geschäftsführende Vorständin und Mitbegründerin von Cradle to Cradle NGO (C2C), warum sie bei der Mission dabei ist, was hinter der Cradle to Cradle-Denkschule steckt und welche Rolle Kunststoffe dabei spielen.
Wie lässt sich das C2C-Konzept von der Wiege zur Wiege erklären?
Bei C2C geht es darum von vornherein zu überlegen, was mit Materialien passiert, die wir in Umlauf bringen. Welchen Einfluss haben sie auf den Menschen und die Umwelt? Es ist wichtig, alle Produkte so zu gestalten, dass sie in Kreisläufen zirkulieren und nicht am Ende Müll werden und die Umwelt verschmutzen.
Genauer gesagt, geht es darum Materialien zu nutzen, die gesund für Mensch und Umwelt sind und in biologischen und technischen Kreisläufen zirkulieren. Bei der Produktion wird ausschließlich regenerative Energie genutzt und die Qualität von Wasser und Boden werden mindestens erhalten, wenn nicht sogar verbessert.
2012 haben wir Cradle to Cradle NGO gegründet, weil es eine Organisation brauchte, die Bildungsarbeit macht, für Vernetzung sorgt und das Konzept in die Gesellschaft bringt. Wir wollen die gesellschaftliche Transformation und den Diskurs zu C2C voranbringen. Denn zusammenhängende Probleme können nur im Zusammenhang gelöst werden.
Dafür bringen wir Menschen zusammen und bündeln deren Engagement, um die Dinge anders zu machen. Denn C2C heißt, Dinge nicht nur ein bisschen weniger schlecht zu machen, sondern sich wirklich zu überlegen, wie wir die Dinge von Beginn an neu denken müssen, so dass sie einen positiven ökologischen, sozialen und ökonomischen Fußabdruck hinterlassen.
Ist denn eine 100-prozentige Wiederverwertung möglich?
Natürlich. Es gibt Materialien, die man immer wieder verwenden kann. Dafür müssen sie aber auch entsprechend designt sein. Und das ist gerade beim Kunststoff ein spannender Punkt.
Wir haben viel mit Kunststoffen erreicht, aber auch Schaden angerichtet. Deshalb ist es so wichtig, dass wir alle Kunststoffe künftig von vornherein so gestalten, dass sie nicht in Lebewesen, am Nordpol oder im Meer wiederzufinden sind.
Es muss möglich sein, sie in Kreisläufe zurückzuführen und ihre positiven Eigenschaften zu nutzen, ohne dass sie einen schädlichen Einfluss haben
Wie muss sich das Wirtschaften von morgen dann verändern?
Wir müssen weg von dem Gedanken des Abfallmanagements und mehr wollen als die bisherige Kreislaufwirtschaft. Schon beim Design eines Produkts muss das Nutzungsszenario betrachtet werden und sich überlegt werden, was mit den Materialen während und nach der Nutzung passiert – und nicht erst, wenn das Produkt schon da ist.
Kunststoff ist dafür ein super Material, allerdings muss sich dafür noch einiges ändern. Und dafür brauchen wir alle Akteure, auch die Kunststoffindustrie. Deshalb finde ich auch die PREVENT Waste Alliance sehr spannend. Denn hier kommen unterschiedliche Akteure zusammen, um gemeinsam eine Zukunft zu gestalten.
Wir haben keine andere Wahl, als den „Shift“ zu schaffen. Es stellt sich nur die Frage, wie schnell wir diese Wende schaffen. Jeder muss seinen Beitrag leisten.
Wie ist C2C NGO in das PREVENT-Netzwerk eingebunden?
Wir sind Mitglied geworden, um ein Verständnis dafür zu schaffen, dass es nicht darum geht, nur Abfall zu vermeiden. Wir müssen uns vielmehr überlegen, wie wir die Dinge anders machen können.
Es reicht nicht, dass wir bestimmte Dinge reduzieren oder vermeiden. Dadurch schieben wir zum einen die Probleme nur auf, denn die Rohstoffe gehen trotzdem immer weiter verloren. Zum anderen müssen wir unser Denken ändern. Zum Beispiel, wenn ich über Müllvermeidung spreche, denke ich noch immer an Müll. Müll ist aber ein menschengemachtes Konzept, das wir eigentlich aus unseren Köpfen streichen sollten. Ich muss vielmehr beim Design beginnen und mir direkt eine Welt ohne Müll vorstellen. Dann schaffen wir das auch.
Wir können nicht eine Kreislaufwirtschaft als eine Art Umdefinition der Abfallwirtschaft betrachten und den Müll nur anders managen. Wir müssen vielmehr eine ganz andere Ökonomie fahren und unsere Gesellschaft umgestalten. Und genau dazu brauchen wir starke Allianzen.
Um unser gemeinsames Ziel zu erreichen, ist es notwendig, dass sich diejenigen, die in den vergangenen Jahren zu dem drastischen Müll- und Umweltproblem beigetragen haben, ernsthaft an den Prozessen beteiligen. Die PREVENT Waste Alliance bietet dafür eine Möglichkeit. Ich hoffe, dass hier auch etwas passiert und Unternehmen die Plattform nicht nur für Greenwashing nutzen.
Wo sehen Sie die größten Hebel und welche Rolle spielt C2C NGO dabei?
Wir sehen uns als Impulsgeber für Zukunftsperspektiven und für eine C2C-Gesellschaft. Und genau dafür engagieren wir uns in dem Netzwerk, um mit anderen Akteuren dieses Umdenken voranzutreiben und aufzuzeigen, an welchen Stellen das geht.
Wir unterstützen zudem bei der Transformation, brauchen aber auch die Unternehmen und anderen Akteure. Sie müssen sich konkrete Ziele stecken, beispielsweise bis 2030 keine schadenanrichtenden Kunststoffe mehr zu verwenden, und das auch umsetzen. Das Ziel sollten komplett kreislauffähige Materialien sein, die wirklich zirkulieren können – sei es im biologischen oder technischen Kreislauf.
Das Prinzip von C2C setzt an verschiedenen Stellen an. Welche Branche ist besonders weit und wo würden Sie die Kunststoffbranche einordnen?
Es gibt viele Vorreiter, die nach C2C arbeiten. In der Baubranche gibt es tolle Leuchtturmprojekte. Das ist aber auch notwendig, wenn man sich die Zahlen anschaut. Denn die Baubranche verursacht über 60 Prozent des Müllaufkommen in Deutschland und stößt riesige Mengen CO2 aus.
Auch in anderen Branchen ist ein Umdenken extrem wichtig. Es ist zum Beispiel immer noch erlaubt, aus PVC Verpackungen herzustellen – auch nach der neuen Verpackungsverordnung. Hier frage ich mich schon, warum es immer noch so starke Interessen für die falschen Dinge gibt und warum wir nicht andere Ansätze finden.
Es geht nicht darum, Kunststoffe generell schlecht zu finden. Wir müssen die richtigen Kunststoffe nutzen, Kunststoffe, die sich im Kreislauf führen lassen. Sie dürfen nicht unsere menschliche Existenz und die der anderen Lebewesen negativ beeinflussen.
Wir müssen vielmehr die positiven Eigenschaften nutzen und die Dinge anders gestalten. Es gibt Kunststoffe, die das können, und andere, die wir streichen sollten. Dazu benötigen wir ganz dringend die Kunststoffindustrie. Sie muss klare Standards setzen und Kunststoffe erzeugen, die kreislauffähig sind.
Sie kritisieren die Ex- und-Hopp-Mentalität in vielen Bereichen von Wirtschaft, Handel und Gesellschaft – was muss besser werden?
In der Diskussion geht es immer darum, Verpackungen zu reduzieren oder hin zu „Zero Waste“ oder verpackungsfrei zu gelangen. Ich glaube, Verpackungen haben uns viel gebracht in den vergangenen Jahren. Ohne Verpackungen werden viele Lebensmittel schlecht und sind nicht mehr nutzbar.
Wir müssen uns deshalb viel mehr mit der Frage beschäftigten: Wie müssen wir verpacken und wie entwickeln wir Verpackungen, die keine schädlichen Implikationen haben?
Es kann nicht sein, dass wir riesige Müllberge erzeugen, die am Ende nicht wirklich recycelbar sind. Es kann nicht sein, dass wir einen Großteil des Gelben Sackes nicht auf der Materialebene recyceln, sondern am Ende doch verbrennen und es thermisches Recycling nennen.
Wir müssen Verpackungen so gestalten, dass sie in Kreisläufe können. Da gibt es bereits tolle Initiativen, und es gibt Materialien, die sich immer wieder verwenden lassen.
Sie empfinden „Zero Waste“ als Aktionismus. Warum?
Aktionismus kann etwas Gutes sein, er macht darauf aufmerksam, dass wir ein Problem mit Verpackungen haben und mit deren aktueller Produktion und Nutzung.
An dieser Stelle geht es aber nicht nur darum, darüber zu reden, was unverpackt ist. Sondern wir müssen schauen, wie eine richtige Verpackung aussieht.
Wir dürfen nicht den Fehler machen, dass wir denken, wir hätten das Problem gelöst, indem wir einfach ein bisschen weniger Verpackung nutzen. Wir müssen in großem Stil umdenken und anders handeln. Dazu brauchen wir die großen Akteure, die diese Veränderungen umsetzen. Es müssen alle in der Gesellschaft mitmachen, damit es kein Nischenthema bleibt.
Wie sieht der Kunststoff der Zukunft aus?
Die Kunststoffindustrie muss sich überlegen, für welches Nutzungsszenario das Produkt hergestellt wird. Ist das Kunststoffprodukt einem Abrieb ausgesetzt muss es biologisch abbaubar sein. Gelangen keine Partikel in die Umwelt, dann muss der Kunststoff zu 100 % und ohne Qualitätsverlust recycelt werden können. Verpackungen, die aus unterschiedlichen und nicht trennbaren Schichten bestehen, darf es nicht mehr geben.
Zudem ist es essenziell, sich anzuschauen, wie wir den Kunststoff der Zukunft produzieren. Warum nutzen wir nicht den Kohlenstoff, den wir bereits in die Atmosphäre freigesetzt haben? Er stört dort und wir müssen ihn zurückgewinnen. Wir können nicht so tun, als würde es ausreichen, wenn wir einfach nur weniger CO2 in die Luft geben.
Wir müssen aktiv dazu beitragen, dass der Kohlenstoff aus der Luft wieder zurückgewonnen wird. Es kann nicht um ein 1,5-Grad-Ziel gehen. Wir müssen wieder auf Kohlenstoffwerte von 1900 kommen. Das ist ein extrem wichtiger Punkt, den die Kunststoffindustrie aufnehmen muss.
Über PREVENT Waste Alliance
Die PREVENT Waste Alliance dient als Plattform für Austausch und internationale Kooperation. Organisationen aus Privatwirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und öffentlichen Institutionen setzen sich gemeinsam für eine Kreislaufwirtschaft ein. Die PREVENT Mitglieder tragen dazu bei, Abfälle zu minimieren, Schadstoffe zu eliminieren und die Wiederverwendung von Ressourcen in der Wirtschaft weltweit zu fördern. Sie bemühen sich um die Verringerung der Müllverschmutzung, besonders in Entwicklungs- und Schwellenländern, und setzen sich gemeinsam für die Vermeidung, Sammlung und Wiederverwertung von Abfällen sowie für die verstärkte Nutzung von Sekundärressourcen ein. Mehr Informationen: https://prevent-waste.net/en/.
Über Nora Sophie Griefahn
Nora Sophie Griefahn ist geschäftsführende Vorständin und Mitgründerin der gemeinnützigen Cradle to Cradle NGO. Sie studierte Umweltwissenschaften sowie Technischen Umweltschutz und ist in wissenschaftlichen Beiräten, Jurys sowie in europäischen und internationalen Netzwerken tätig. Nora Sophie Griefahn wurde 2018 als einzige Deutsche für „30 under 30“ der GreenBiz Group und dem World Business Council for Sustainable Development benannt.
Über Cradle to Cradle
Cradle to Cradle bringt Klima- sowie Ressourcenschutz zusammen und setzt innovative Lösungen für ökologische, ökonomische und soziale Probleme um. Denn zusammenhängende Probleme können nur im Zusammenhang gelöst werden. C2C-Unternehmen setzen das im Design von Produkten und in der Produktion ganz konkret um mit kreislauffähigen, für ihre geplante Nutzung geeigneten und gesunden Materialien, erneuerbarer Energie, geschlossenen Wasserkreisläufen und fairen Arbeitsbedingungen. C2C NGO widmet sich der Bildungs- und Vernetzungsarbeit zum Thema Cradle to Cradle. Die NGO arbeitet dabei mit Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Politik und Zivilgesellschaft zusammen.