Martin Engelmann Hauptgeschäftsführer IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen - äußert sich zu Fakten und Mythen rund um die PlastikabgabeSeit dem 1. Januar 2021 zahlen die meisten EU-Mitgliedstaaten einen höheren Beitrag an die EU auf Basis der Menge der nicht recycelten Verpackungsabfälle aus Kunststoff. Dies bedeutet für Deutschland jährliche Mehrausgaben von knapp 1,5 Milliarden Euro. Die Mitgliedsbeiträge an die EU werden – wie in allen anderen Mitgliedstaaten auch – aus dem Bundeshaushalt bestritten. Nun haben die drei Parteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP in ihrem Koalitionsvertrag verabredet, diese Mehrausgaben „wie in anderen europäischen Ländern auf die Hersteller und Inverkehrbringer umzulegen“.

Um die EU-Plastikabgabe ranken sich zahlreiche Mythen und Falschinformationen. IK-Hauptgeschäftsführer Dr. Martin Engelmann nimmt die Ankündigung der Ampel-Koalitionäre zum Anlass, die wichtigsten Aussagen zur Plastikabgabe auf den Prüfstand zu stellen.

 

1) “Die EU-Plastikabgabe wird das Recycling und die Kreislaufwirtschaft fördern.”

FALSCH: Zunächst einmal entzieht die neue Abgabe den Mitgliedsstaaten dringend benötigte Investitionsmittel für eine bessere Sortier- und Recyclinginfrastruktur für Kunststoffverpackungen. Da die Mittel aus der Plastikabgabe nicht zweckgebunden sind und in den allgemeinen EU-Haushalt fließen, werden diese Investitionen auch nicht über den EU-Haushalt getätigt. Hinzu kommt, dass bereits die Diskussion um eine nationale Umlage der Plastikabgabe auf Unternehmen deren Investitionsbereitschaft massiv lähmt. Dabei sind Investitionen in innovative Materialien, neue Maschinen und ein besseres Design von Kunststoffverpackungen zur Verbesserung des Recyclings von Kunststoffen in ganz Europa gerade jetzt dringend erforderlich.

2) “Die Finanzierung der EU-Plastikabgabe aus Steuermitteln ist eine Subvention der Verpackungsindustrie.”

FALSCH: Die EU-Plastikabgabe ist eine Mogelpackung, denn eigentlich handelt es sich um eine Brexit-Abgabe. Anlass für die Einführung der Plastikabgabe war der Austritt des Nettozahlers Großbritannien aus der EU, der ein Loch im EU-Haushalt von ca. 10-12 Milliarden Euro pro Jahr verursacht. Die EU-Kommission hatte ursprünglich 2018 angekündigt, die Hälfte dieses Fehlbetrags durch Einsparungen im EU-Haushalt auszugleichen. Die andere Hälfte sollte durch zusätzliche Einnahmen aufgebracht werden, insbesondere durch eine Plastikabgabe. Zu den Einsparungen im EU-Haushalt kam es – nicht zuletzt wegen des Widerstands innerhalb der Behörde selbst und der großen Empfänger von EU-Transfers ­- nicht.

Logo der EU Kommission

2018 kündigte EU-Kommissar Günther Oettinger die Einführung einer “Plastiksteuer” an.

Die Kommission wusste, dass eine Erhöhung der EU-Beiträge für die verbliebenen Mitgliedsländer unpopulär ist. Daher ging sie zweigleisig vor: Zum einen hat sie die Beitragserhöhung verknüpft mit der Menge von nicht recycelten Kunststoffverpackungen im Land. Dadurch fiel es einigen Mitgliedstaaten leichter, der Erhöhung zuzustimmen, schließlich ging es scheinbar um den Umweltschutz. Zum anderen wurden den Mitgliedstaaten, die gleichwohl nicht mehr Geld nach Brüssel überweisen wollten, großzügige Rabatte eingeräumt. Eine Übersicht über die einzelnen Beiträge der Mitgliedstaaten (auf Basis der Daten von 2018) hat der Think-tank cep – Centrum für Europäische Politik erstellt (hier).

Die Mittel aus der Plastikabgabe fließen also aus den jeweiligen nationalen Haushalten ohne Zweckbindung in den allgemeinen EU-Haushalt und stellen daher keine Subvention der Industrie dar.

3) “Der deutsche Beitrag an die EU sinkt, je mehr Plastikverpackungen recycelt werden.”

System Der Eigenmittel Für Den EU Haushalt - Plastikabgabe als Methode zur Beitragsberechnung

Die EU-Plastikabgabe ist lediglich eine Methode zur Berechnung des Beitrags der Mitgliedstaaten an die EU. Sinkt sie, steigt nach dem Gesamtdeckungsprinzip die so genannte Restfinanzierung.

FALSCH: Zwar gibt es noch keine offizielle Statistik über die Höhe der Plastikabgabe. Berechnungen auf Basis der neuesten Eurostat-Daten zeigen jedoch, dass die Plastikabgabe die Mitgliedstaaten insgesamt ca. 7 Milliarden Euro pro Jahr kostet. Deutschland trägt davon mit ca. 1,47 Milliarden Euro (auf Basis der Daten für 2019 und der neuen Berechnungsgrundlage) den größten Anteil.

Selbst wenn sehr viel mehr Kunststoffverpackungen in Deutschland recycelt würden und die Plastikabgabe dadurch sinken würde, bliebe der deutsche Gesamtbeitrag an die EU jedoch gleich. Das liegt daran, dass sich die EU hauptsächlich über eine genannte „Restfinanzierung auf Basis des Bruttonationaleinkommens“ finanziert (siehe Grafik). Ausgaben der EU, die nicht über Zölle, den Anteil an dem Mehrwertsteuer-Aufkommen oder eben der Plastikabgabe gedeckt werden, werden von den Mitgliedstaaten nach dem so genannten „Gesamtdeckungsprinzip“ über diese Restfinanzierung getragen. Das heißt, sinkt das Aufkommen aus einer speziellen Einnahmequelle, steigt die Restfinanzierung entsprechend an. Ein finanzieller Anreiz für mehr Recycling besteht daher nicht.

4) „Andere europäische Länder legen die Plastikabgabe auch auf Unternehmen um.“

FALSCH, jedenfalls aktuell: Derzeit legt kein einziges europäisches Land die Mehrausgaben aufgrund der EU-Plastikabgabe auf seine Unternehmen um. Allerdings gibt es in Ländern, die ihre Kunststoffverpackungen vielfach noch auf Deponien entsorgen, durchaus Pläne zur Einführung nationaler Plastiksteuern: Italien hat als erstes Land über eine nationale Steuer auf Kunststoffverpackungen diskutiert. Der Vorschlag stammt von der populistischen 5-Sterne-Bewegung. Auf den ersten Blick scheint es ja auch verlockend, mit Hilfe einer Steuer die komplexe Diskussion um Abfallsammlung und -sortierung, Recyclingquoten, Rezyklateinsatzquoten etc. abzukürzen und dabei auch noch Geld einzunehmen.

Auf den zweiten Blick zeigen sich dann aber die Nachteile dieser vermeintlichen Abkürzung (siehe unter 7.). Weil dies auch in Italien immer mehr deutlich wird, ist die Einführung der Steuer bereits mehrfach verschoben worden, aktuell ist sie ab 2023 geplant. Auch Spanien will eine Steuer auf Kunststoffverpackungen 2023 einführen. Das von der EU-Plastikabgabe nicht mehr betroffene Vereinigte Königreich plant eine Steuer ab April 2022.

Die geplanten Verbrauchssteuern unterscheiden sich in der Höhe und dem Anknüpfungspunkt, sollen aber jeweils für die im Land in Verkehr gebrachten Kunststoffverpackungen, inklusive Importen, gelten.

5) „Eine Plastiksteuer ist erforderlich, weil Neu-Kunststoffe gegenüber Rezyklaten zu billig sind.“

RICHTIG ist, dass die Preisunterschiede zwischen Neu-Kunststoffen und Rezyklaten durchaus Auswirkungen auf die Entwicklung des Rezyklatmarktes haben. FALSCH ist, dass eine Plastiksteuer notwendig ist, um diese Preisunterschiede auszugleichen.

Für die meisten Kunststoff-Sorten gilt, dass Rezyklate in der Regel viel günstiger als Kunststoff-Neuware sind. Hinzu kommt, dass die Preise für Kunststoff-Neuware in der ersten Jahreshälfte 2021 stark gestiegen sind und seitdem auf hohem Niveau verharren. Lediglich auf dem Markt für hochqualitative Rezyklate für Lebensmittelverpackungen (in der Regel recyceltes PET) sind die Preise der Rezyklate mit Neuware vergleichbar bzw. können darüber liegen.

Kunststoff-Neuware gilt im Markt allgemein als qualitativ höherwertig im Vergleich zu Rezyklaten. Daher können Recycler, wenn die Neuware-Preise sinken, keine höheren Preise für Rezyklate durchsetzen. Diese höheren Preise sind jedoch Voraussetzung für mehr Investitionen. Daher spielt der Neuware-Preis für Investitionen in Sortier- und Recyclinganlagen sowie höhere Rezyklatqualitäten durchaus eine Rolle. Um die Nachfrage nach Rezyklaten und damit dessen Preise zu verbessern, plant die EU-Kommission verpflichtende Mindestrezyklat-Quoten für Kunststoffverpackungen. Die IK setzt sich für polymerspezifische Substitutionsquoten ein.

6) “Die Umlage der EU-Plastikabgabe auf deutsche Unternehmen fördert die Kreislaufwirtschaft und den Klimaschutz”

ES KOMMT DARAUF AN, WIE MAN ES MACHT: Eine Umlage der EU-Plastiksteuer auf deutsche Unternehmen ist grundsätzlich auf zwei Wegen denkbar: Zum einen könnte eine neue Verbrauchssteuer eingeführt werden, z.B. für die Verwendung von Neu-Kunststoffen in Verpackungen, die vom Zoll erhoben wird und deren Einnahmen ohne Zweckbindung in den Bundeshaushalt fließen. Alternativ dazu könnte eine Umsetzung im Rahmen der Lizenzentgelte für die Dualen Systeme erfolgen. Die entsprechenden Regelungen zur Verbesserung des recyclinggerechten Verpackungsdesigns und des Rezyklateinsatzes (§ 21 Verpackungsgesetz) werden derzeit überarbeitet.

Während eine Verbrauchssteuer sehr wahrscheinlich eine negative ökologische Lenkungswirkung hätte (siehe unter 7.), würde eine Umlage im Rahmen der Lizenzentgelte für die Dualen Systeme eine starke finanzielle Anreizwirkung für mehr Recycling und damit mehr Klimaschutz haben (siehe unter 8.).

7) „Eine nationale Plastiksteuer führt zu weniger Abfall und mehr Recycling.“

FALSCH: Bei einer Umlage der EU-Plastikabgabe durch eine Verbrauchssteuer geht es primär darum, höhere Einnahmen für den Fiskus zu generieren. Da die Einnahmen aus finanzverfassungsrechtlichen Gründen nicht für bestimmte Zwecke verwendet werden dürfen, kann sich eine Lenkungswirkung nur aus der Besteuerung selbst ergeben. Noch ist unklar, welche genauen Folgen eine Besteuerung von Kunststoffverpackungen für die Kreislaufwirtschaft hätte. Doch angesichts der vielen Maßnahmen auf europäischer und nationaler Ebene zur Verbesserung der Kreislaufführung von Kunststoffverpackungen und der Erfahrungen aus Ländern wie Italien spricht vieles dafür, dass eine solche Besteuerung eine falsche ökologische Lenkungswirkung hätte und zu mehr Abfall und weniger Recycling führen würde.

In Italien, wo die Debatte um eine nationale Plastiksteuer seit langem geführt wird, haben nicht oder nur schlecht recycelbare Papier-Kunststoff-Verbundverpackungen vielfach gut recycelbare Kunststoffverpackungen vom Markt verdrängt – aus dem einfachen Grund, weil sie weniger Kunststoff enthalten und daher in Zukunft vermutlich weniger Steuer fällig werden. Eine aktuelle Studie der GVM hat gezeigt, dass solche Papier-Kunststoff-Verbundverpackungen auch in Deutschland zunehmen (abrufbar im Newsroom Kunststoffverpackungen) und in Zukunft weiter wachsen werden, sofern die Politik nicht gegensteuert. Nicht selten werden diese Verpackungen mit „weniger Plastik“ beworben und dem Verbraucher damit eine besondere Umweltfreundlichkeit suggeriert. Vor allem bei Serviceverpackungen und höherpreisigen Lebensmitteln sowie Bio-Produkten ist dieser Trend zu beobachten. Tatsächlich aber verursachen diese Verpackungen mehr Verpackungsabfall (im Schnitt 40 Prozent mehr Material) und bereiten erhebliche Probleme beim Recycling. Der Wechsel von Kunststoff auf andere Verpackungsmaterialien ist auch keine sinnvolle Lösung, weil diese oft aufgrund von Gewicht und/oder Energiebedarf einen viel größeren CO2-Fußabdruck im Vergleich zu Kunststoffverpackungen aufweisen.

Gastronomie Schalen

Beispiel für „Gut gedacht, schlecht gemacht.“: Die Papierverbund-Schale für Salate ist viel schlechter zu recyceln als die Kunststoff-Schale und erzeugt überdies mehr Abfall (aus der GVM-Studie 2021).

Hinzu kommt: Die EU hat bereits beschlossen, dass spätestens ab 2030 sämtliche Verpackungen in Europa recycelbar sein und bestimmte Mindestmengen Rezyklaten enthalten müssen. Die ehrgeizigen Recyclingziele, die sich die EU und Deutschland gesetzt haben, erfordern einen erheblichen Ausbau der Recycling-Infrastruktur in den nächsten Jahren, da die hohen Quoten mit den vorhandenen Einrichtungen – auch in Deutschland – nicht zu erreichen sind. Sollte der Einsatz von Kunststoff in Verpackungen mit einer Steuer belegt werden, würden den Unternehmen dringend benötigte Investitionsmittel entzogen.

Für die Kreislaufwirtschaft und den Klimaschutz wäre eine Steuer also ein Rückschritt und würde ernsthafte umweltpolitische Probleme schaffen, von den wirtschaftlichen Folgen für die betroffenen Unternehmen ganz abgesehen.

8) „Eine Umsetzung der EU-Plastikabgabe im Rahmen der Lizenzentgelte hätte eine positive ökologische Lenkungswirkung.“

RICHTIG: Eine Umsetzung der EU-Plastikabgabe im Rahmen der Lizenzentgelte (§ 21 Verpackungsgesetz) eröffnet die Möglichkeit, die finanziellen Anreize für das recyclinggerechte Design von Verpackungen und den Einsatz von recycelten Kunststoffen deutlich zu stärken. Solche Anreize, insbesondere wenn sie EU-weit einheitlich geregelt werden, wären ein echter Innovationstreiber, würden Investitionen in die Recycling-Infrastruktur fördern und durch höhere Recyclingraten nachhaltig eine Kreislaufführung von Kunststoffverpackungen unterstützen. Hinzu kommt, dass die Einnahmen auch zielgerichtet zur Verbesserung der Kreislaufwirtschaft eingesetzt werden können, was mit einer Steuer nicht möglich ist.

Die Inverkehrbringer von Kunststoffverpackungen in Deutschland leisten mit Ihren Lizenzentgelten an die dualen Systeme bereits heute einen wesentlichen finanziellen Beitrag, um das Recycling von Kunststoffverpackungen zu fördern. Hinzu kommt ein äußerst effektives Pfandsystem für Getränkeflaschen, das die Quelle für die Herstellung von hochwertigen, lebensmitteltauglichen Rezyklaten ist. Außerdem halten die Hersteller trotz der Corona-Pandemie an ihren Zielen fest, den Einsatz von recyceltem Kunststoff in Verpackungen signifikant zu erhöhen.

Wofür setzt sich die IK ein?

Die Hersteller von Kunststoffverpackungen in Deutschland bekennen sich ausdrücklich zu dem Ziel, dass spätestens ab 2030 sämtliche Kunststoffverpackungen recyclingfähig sind und erheblich mehr Rezyklate enthalten. Im Rahmen der EU-Kunststoffstrategie sind bereits viele Maßnahmen eingeleitet worden. Der Wandel hin zu einer Kreislaufwirtschaft für Kunststoffverpackungen erfordert erhebliche Investitionen der Unternehmen in das recyclinggerechte Design von Kunststoffverpackungen, neuen Materialien und Maschinen. Diese Investitionen werden jedoch nur getätigt, wenn die zumeist mittelständischen Hersteller eine gewisse Planungssicherheit haben. Forderungen nach einer Besteuerung von Kunststoffverpackungen in Milliardenhöhe gefährden diese Planungssicherheit, hemmen die Investitionsbereitschaft der Unternehmen und bringen das Erreichen der ehrgeizigen Kreislaufwirtschaftsziele in Gefahr.

 

Dezember 2021