„Deutschland sollte Regeln zur Kreislaufwirtschaft in Brüssel aktiver mitgestalten.“
„Deutschland sollte Regeln zur Kreislaufwirtschaft in Brüssel aktiver mitgestalten.“
Im Dialog mit Peter Kurth, Geschäftsführender Präsident des BDE Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft e.V.
Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft e.V. (BDE) hat sich die Weiterentwicklung der Entsorgungswirtschaft zu einer echten Kreislaufwirtschaft auf die Fahne geschrieben. Peter Kurth, Präsident des BDE, erläutert im Interview, wo wir aktuell stehen, an welchen Stellen Hersteller und Handel gefordert sind und welche Leitplanken die Bundesregierung und die EU dringend setzen müssen, um den Kreislauf auch wirklich zu schließen.
Herr Kurth, anlässlich Ihrer Wiederwahl zum BDE-Präsidenten 2020 haben Sie dafür plädiert, dass alle Akteure im Kreislauf in Verantwortung genommen werden sollen und nicht nur die Entsorger. Hat sich das mittlerweile gebessert?
In den vergangenen zwei Jahren hat sich viel verändert. Sehr viele Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen beschäftigen sich ernsthaft mit der Umgestaltung einer linearen Wirtschaft zur zirkulären Wirtschaft. Zudem ändert sich auch in Brüssel unglaublich viel, es kommen fast monatlich neue Vorschläge der Kommission auf den Tisch.
Für die Europäische Union ist das Kreislaufwirtschaftsaktionspaket der wichtigste Bestandteil des Green Deal – und das ist gut so. Die Potenziale einer gelungenen Kreislaufwirtschaft sind bedeutende Hebel im Hinblick auf den Klimawandel, den Energieeinsatz und die Rohstoffversorgung. An der ein oder anderen Stelle bräuchte es hier noch etwas mehr Antrieb.
Bei einigen Stoffströmen werden zwar bereits Kreisläufe geschlossen, bei anderen gelingt das jedoch noch nicht. Hier brauchen wir zusätzliche Instrumente. Da wünschen wir uns von Seiten der Bundesregierung etwas mehr Einsatz, denn die neuen Richtlinien und Verordnungen haben massive Auswirkungen auf unsere Branche und die Wirtschaft.
Aber auch in Brüssel läuft die Entwicklung nicht immer in die richtige Richtung.
Ja, das stimmt. Hierzulande ist es beispielsweise völlig unverständlich, dass andere europäische Länder nicht darauf verzichten wollen, unbehandelte Siedlungsabfälle auf Mülldeponien zu bringen. In vielen EU-Ländern geschieht das mit dem größten Teil der Haushaltsabfälle. Und auf den Deponien entstehen dramatische Mengen an Methangas. Gleichzeitig sind diese Rohstoffe für nichts mehr zu gebrauchen.
Das liegt daran, dass Mülldeponien häufig die billigste Lösung sind. Allerdings verhindern sie auch den Aufbau einer vernünftigen Infrastruktur. Deponien sind ein Klima- sowie ein Raum- und Energieproblem. Sowohl Deutschland als auch die skandinavischen Länder, Benelux und Österreich haben als Vorreiter mit der Schließung von Mülldeponien richtig gute Erfahrungen gemacht. Die restlichen europäischen Länder sollten unbedingt nachziehen – und zwar zeitnah.
Ein Kontinent, der klimaneutral werden will, aber nicht die Kraft hat, auf Mülldeponien zu verzichten, da stimmt einfach etwas nicht. Es muss bitte endlich jemand in Brüssel – auch gegen Stimmen aus Frankreich sowie Ost- und Südeuropa – dafür ringen, dass das aufhört. Hier muss die Bundesregierung dringend mehr machen.
Sie monieren den mangelnden Einsatz der Bundesregierung für ein Deponieverbot für unbehandelte Siedlungsabfälle in Europa. Den Koalitionsvertrag haben Sie in ihren Stellungnahmen aber positiv bewertet.
Das eine schließt das andere nicht aus. Wir sahen und sehen es in der Tat positiv, dass sich die regierende Ampelkoalition in ihrem Koalitionsvertrag eindeutig zur Kreislaufwirtschaft bekannt hat. Keine der Vorgängerregierungen hat der Kreislaufwirtschaft eine solch hohe Bedeutung beigemessen.
Es kann aber nicht nur bei solchen Erkenntnissen bleiben. Den Erklärungen und Beteuerungen müssen auch ganz konkret Taten folgen. Dabei geht es nicht nur um das Deponieverbot, sondern etwa auch um die angekündigte „Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“. Sie muss unter Einbeziehung der Wirtschaft schnell erarbeitet und auf den Weg gebracht werden. Damit können wir die ökonomischen und ökologischen Potenziale einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft umfassend heben.
Welche Akteure der Bundesregierung treiben denn das Thema?
Der Koalitionsvertrag sieht in punkto Kreislaufwirtschaft neben dem Umweltministerium das Wirtschaftsministerium in der Pflicht. Dem Ministerium von Herrn Habeck sind 37 Unterabteilungen und 202 Referate unterstellt. Allerdings habe ich kein Referat gefunden, das sich dort der Kreislaufwirtschaft verpflichtet fühlt.
Da muss etwas passieren. Deutschland ist der wesentliche Mitgliedsstaat der Europäischen Union, wenn es um das Thema Kreislaufwirtschaft geht und als wichtiger Wirtschaftsstandort in Brüssel massiv gefordert. Wir müssen die Regelungen dort mitgestalten. Hier fällt die Bundesregierung jedoch seit vielen Jahren durch Passivität auf, es ist wirklich bedauerlich, dass sie in Brüssel nicht als Motor agiert.
Was müssen die nächsten Schritte sein, um Kreislaufwirtschaft zu erreichen und die Abfall-Herausforderungen zukunftsfähig zu lösen?
Die größten Herausforderungen liegen in den Stoffströmen, in denen die Kreislaufwirtschaft noch nicht umfassend gelingt – wie in den Bereichen Kunststoff, Elektroabfälle und Mineralien. Das sind Bauabfälle, Bauschutt, aber auch Abbruch und Schlacke.
Mineralien sind mit fast 250 Millionen Tonnen der größte Abfallstrom und für das Erreichen der Klimaziele wahrscheinlich auch der entscheidende Stoffstrom. Aber: Auch wenn Kunststoffe mengenmäßig in der Gesamtstatistik nur eine kleine Rolle spielen, sind Kunststoffabfälle wichtig. Denn sie haben für viele Menschen Symbolcharakter. Die Herausforderungen bei Kunststoff sind klar adressiert und die Bereitschaft ist da, mehr Rezyklate einzusetzen. Allerdings ist eine völlige Transparenz im Hinblick auf die Qualität und Zusammensetzung der Kunststoffrezyklate notwendig. Sie muss digital nachverfolgbar sein. Genau das ist aktuell aber noch nicht immer möglich.
Bei Monofraktionen, wie PET-Flaschen, gibt es keine oder kaum Probleme. Diese treten vor allem bei Mischkunststoffen auf. Um hier eine digitale Nachverfolgbarkeit sicherzustellen, sind Politik und Unternehmen gefordert. Damit der Wandel weg von den Primärrohstoffen hin zum Recycling von Rohstoffen stattfindet, muss die Politik den Unternehmen die richtigen Instrumente an die Hand geben. Damit derjenige, der Investitionen leistet, auch von einer bestimmten Refinanzierung profitiert. Denn Unternehmen müssen wirtschaftlich handeln.
Wo stehen wir denn bei der Digitalisierung als Instrument der Abfallvermeidung?
Im Produktbereich müssen wir an der Transparenz und Nachverfolgbarkeit arbeiten. Denn wir sind angewiesen auf Informationen zur Zusammensetzung eines Produktes, eines Materials und damit auch von Abfällen. Nur, wenn wir diese Informationen haben, können wir die Kunststoffe im Kreislauf halten und sie als gleichwertigen Rohstoff in der Industrie einsetzen. Das geht ohne Digitalisierung nicht. Aber hier wird in den nächsten Jahren viel passieren, das Potenzial ist groß.
Ich glaube, dass das Thema Kreislaufwirtschaft insgesamt nirgendwo besser gelöst wird als in Deutschland. Wir haben nicht nur die entsprechenden Anlagenhersteller und Technologieunternehmen, sondern auch die Dienstleistungsstruktur. Gemeinsam mit vielen anderen Unternehmen entwickeln wir gerade eine Software, die die Auftragsvergabe an Subunternehmer erleichtert, damit alle mit der gleichen Applikation arbeiten können.
Die Kreislaufwirtschaft ist überdies schon jetzt die Startup-intensivste Branche überhaupt – kaum eines dieser Unternehmen arbeitet ohne bessere Digitalisierung.
Welche Rolle messen Sie dem Handel und Markenherstellern zu?
Mit dem Verpackungsgesetz und der Einführung des Systemgeschäfts sind die Hersteller und der Handel in der Finanzierungsverantwortung. Die EU hat die Plastiksteuer im Rahmen ihrer Finanzplanung verabschiedet für jedes Kilogramm nicht recycelten Kunststoff. Allerdings muss man sich die Frage stellen, was eigentlich mit dieser Steuer erreicht werden soll.
Wenn sich das Verhalten ändert und die Recyclingquote steigt, fehlen der EU die Steuereinnahmen, um ihre mittelfristige Finanzplanung zu decken. Die zweite Baustelle ist der sogenannte §21 im Verpackungsgesetz. Er fördert den Rezyklateinsatz und die Recyclingfähigkeit – auch finanziell, indem sich bestimmte Abgaben reduzieren, wenn man am Recyclingkreislauf mitwirkt, während andere mehr bezahlen.
Diese beiden Instrumente – Plastiksteuer und §21 – müssen sinnvoll zusammen greifen, daran muss noch etwas gefeilt werden. Wir sind dazu in einem engen Austausch, auch in den Gremien der Zentralen Stelle. Und ich bin ganz optimistisch, dass wir da weiterkommen.
Eine andere Variante, um die Kreislaufwirtschaft weiter zu optimieren, sind Eco-Design und Bio-Kunststoffe. Können das tragfähige Lösungen sein?
Am Ende sicherlich. Aber die Zielsetzung muss klar sein. Bei biologisch abbaubaren Kunststoffen gibt es beispielsweise einen gewissen Konflikt, den wir als Entsorgungswirtschaft mit Teilen der chemischen Industrie haben. Denn auch biologisch abbaubare Kunststoffe sind eine lange Zeit ihrer Lebensdauer Kunststoffe – und werden als solche in unseren Anlagen als Fremdkörper wahrgenommen.
Einen Kompost, der von weißem Plastikabfall durchsetzt ist, wollen Verbraucher:innen jedoch nicht in ihrem Garten einsetzen. Auch dann nicht, wenn man ihnen sagt, dass das biologisch abbaubar ist und in ein bis zwei Jahren verschwunden sein wird. Hier entspricht einfach die Anforderung der Anlageninfrastruktur nicht der Erwartungshaltung der Konsument:innen. Aber wir sind auch lange noch nicht am Ende der Entwicklung. Wir müssen im Dialog bleiben, dann wird das Thema sicherlich in Zukunft gelöst.
Sie haben den Vorschlag gemacht, Kreislaufwirtschaft zu einem Top-Thema der Entwicklungshilfe zu machen. Können Sie das näher erläutern?
Zunächst möchte ich klarstellen, dass unsere Müllexporte nicht das wesentliche Problem vieler Länder anderer Kontinente sind. Abgesehen davon, dass sie ohnehin quantitativ sehr stark zurückgegangen sind, können wir für jede Tonne nachweisen, welches Material in welches Land geht und welches Material wir importieren. Deutschland importiert beispielsweise viermal so viele Papierabfälle als wir exportieren. Hier geht es um etliche Millionen Tonnen.
Wir haben aber in vielen Ländern Afrikas und Asiens erfreulicherweise eine sich entwickelnde Mittelschicht und ein Konsumverhalten, das sich stark dem westeuropäischen annähert. Aber es gibt keine vernünftige Entsorgungsinfrastruktur und auch keine Recyclinginfrastruktur.
Diese Berge von Elektro-Mülldeponien, wo Kinder Kunststoffteile aus den Elektrogeräten abfackeln, um an die Metallteile zu kommen, das ist wirklich unhaltbar. Das gleiche gilt für Kunststoffverpackungen, für die ebenfalls keine Entsorgungsinfrastruktur existiert.
In diesen Ländern brauchen wir schnell eine Basis-Infrastruktur für die Entsorgung und das Recycling. Andernfalls werden diese Plastikabfälle zu einem großen Teil im Ozean landen. Beim Aufbau müssen wir unterstützen – und zwar jetzt.
Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren, denn die weltweite Kunststoffproduktion steigt in jedem Jahr. Der Handlungsdruck ist groß und es wäre wirklich wünschenswert, wenn neben Gesundheit und Bildung auch die Umweltwirtschaft und damit Klima- und Ressourcen-Politik Top-Themen der internationalen Zusammenarbeit werden und nicht einfach nur so nebenherlaufen.
Sehen Sie da noch Luft nach oben?
Wenn Sie die Luft-Skala bei 100 sehen, dann sind wir jetzt bei 0,8. Es findet viel zu wenig statt, um Kreislaufwirtschaft weltweit schnell und konkret zu etablieren. Betrachten wir die Alt-Fahrzeug-Situation: Deutschland produziert jedes Jahr 3,5 Millionen PKWs. 3 Millionen werden in Deutschland zugelassen, 500.000 werden exportiert. Von diesen zugelassenen Fahrzeugen werden jedes Jahr etwa 600.000 Autos entsorgt. 2,4 Millionen hingegen werden zwar in Deutschland zugelassen, haben aber ein zweites Leben in Osteuropa und ein drittes in Afrika oder im arabischen Raum. Irgendwann sind die Fahrzeuge dann Schrott am Wegesrand.
Für uns in Deutschland heißt das, wir verlieren 2,4 Millionen Tonnen Rohstoffe netto, die wir nutzen können und für die wir Anlagen haben. In anderen Ländern hingegen sind genau diese Rohstoffe ein Umweltproblem. Das kann uns doch nicht so ruhig lassen, wie das im Moment noch der Fall ist.
Wenn man beispielsweise mit Ägypten eine Rohstoff-Partnerschaft für das Recycling eingehen würde und wir bei Überlegungen zur Sammlung sowie rudimentären Aufbereitung unterstützen und für den Rohstoff bezahlt würden, dann wäre das eine runde Sache.
Vielen Dank für das sehr interessante Gespräch.
Über Peter Kurth
Peter Kurth ist seit 2008 Präsident des BDE. Der Jurist arbeitete von 1989 bis 1994 bei der Deutschen Bank und der Kreditbank. Nach dem Ende seiner politischen Karriere als Finanzsenator war er von 2001 bis 2009 Mitglied im vierköpfigen Vorstand des Berliner Entsorgungsunternehmens ALBA AG. Von 2006 bis 2008 war er bereits Vizepräsident des BDE.
Über den BDE
Der BDE Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e.V. wurde 1961 gegründet und ist der Branchenverband der Kreislauf- und Ressourcenwirtschaft. Die Mitgliedsunternehmen des BDE repräsentieren 75 Prozent des privatwirtschaftlich erbrachten Umsatzes in den Wirtschaftszweigen „Abwasserentsorgung“, „Sammlung, Behandlung, Beseitigung und Recycling von Abfällen“ sowie „Beseitigung von Umweltverschmutzungen und sonstige Entsorgung“.
Seit dem 1. Juni 2022 hat der BDE einen neuen Namen. Ab sofort heißt der Verband BDE Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft e.V.
BDE-Präsident Peter Kurth erklärt: „Der Verband vertritt weiterhin engagiert die Interessen der gesamten Entsorgungswirtschaft. Mit der Umbenennung wollen wir uns aber zukünftig auch Unternehmen öffnen, die nicht in der Entsorgung tätig sind, sondern sich mit ihren Geschäftsmodellen der zirkulären Wirtschaft verschrieben haben. Der Verband wird in Zukunft für alle Unternehmen arbeiten, die bestrebt sind, an Instrumenten für besseres Recycling zu arbeiten und damit den Kreislaufschluss bei möglichst vielen Stoffströmen erreichen wollen.
Unternehmen, die darin ihre Zukunft sehen, sind im BDE willkommen. Wir freuen uns auf die gemeinsame Weiterentwicklung. Sie entspricht dem Anspruch der Kreislaufwirtschaft und dient der praxisnahen Transformation der Wirtschaft.“