„Ich erwarte mir ein radikales Eingeständnis der Missstände“
„Ich erwarte mir ein radikales Eingeständnis der Missstände“
Im Dialog mit Benedict Wermter, Mitautor von “Die Recyclinglüge”
Die ARD-Dokumentation „Die Recyclinglüge“ von Tom Costello und Benedict Wermter beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern Recycling dazu beiträgt, den weltweiten Kunststoffabfall zu reduzieren. Dafür haben sich Reporter undercover in die Branche gemischt. Ans Tageslicht kamen dabei Schwachstellen in der Wertschöpfungskette von Kunststoffen, insbesondere bei deren Verwertung. In der Kunststoff-Branche hat die Reportage mit ihrer Bankrotterklärung des Kunststoff-Recyclings viel Unmut hervorgerufen. Mit Benedict Wermter, einem der Macher des Films, haben wir daher nicht nur über die Recherchen gesprochen, sondern auch über den Nutzen von Recycling diskutiert.
Herr Wermter, wie sind Sie auf Ihr Thema gestoßen?
Ich habe mich aus eigenem journalistischem Interesse mit der Wertschöpfungskette von Kunststoffen beschäftigt. Gleiches gilt für die dualen Systeme sowie die grenzüberschreitende Verbringung von Abfall und Greenwashing. Hier habe ich mit Kollegen zusammengearbeitet, auch im internationalen Vergleich – so ist meine Expertise entstanden.
Gleichzeitig gab es die Produktionsfirma „a&o Buero“ mit dem Auftrag für die Reportage. Da ich für a&o auch bereits in anderen Formaten tätig war, wurde ich als Ko-Autor bestellt.
Wie sind Sie bei Ihrer Recherche vorgegangen?
Wir haben unter anderem eine Tarnfirma gegründet und über verschiedene Plattformen zu Maklern und Händlern Kontakt aufgenommen. Ziel war es, zu verstehen, wie die grenzüberschreitende Verbringung funktioniert. Und so haben wir gesehen, wie auch betrogen und getäuscht werden kann.
Aber das war nur eine Facette. Der überwiegende Teil der Recherche lag darin, Menschen aus der Branche zu erreichen, ihnen zuzuhören und die Dinge zu verstehen.
Sie haben mit vielen Akteuren gesprochen, nicht aber mit Erzeugern, Verarbeitern oder deren Verbänden, um nochmal eine andere Meinung zu ergänzen. Gibt es dafür Gründe?
Ich habe versucht, in der Recherche mit verschiedenen Akteuren zu sprechen. Teilweise war das Gespräch nicht gewünscht, teilweise gab es auch Gespräche und die sind dann ein Stück weit im Sande verlaufen.
Es war also kein bewusster Ausschluss, sondern es hat sich einfach an mancher Stelle nicht ergeben. Für uns stand der Kausalzusammenhang zwischen Konsumgüterindustrie, die mit Recycling wirbt, und einer Entsorgungswirtschaft, die mit diesem Material leben muss, im Vordergrund.
Ihre Reportage hat gerade bei den Kunststoffverbänden für Unmut gesorgt, weil die Sendung stark auf negative Beispiele ausgerichtet war. Sie haben ein Jahr lang recherchiert, aber keine positiven Beispiele gefunden?
Doch, wir haben auch Positivbeispiele gezeigt, bei denen das Material energetisch und stofflich verwertet wird. Für uns stellt sich einfach grundsätzlich die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Recycling.
Wir haben festgestellt, dass das, wofür es eigentlich steht, in der Realität nicht flächendeckend umgesetzt wird. Das wollten wir abbilden.
Die deutsche Kunststoffindustrie kennt ihre Schwachstellen und arbeitet daran. Sie wird aber medial zurückgeworfen, wenn Bilder auftauchen von verbotenen Müllexporten in Drittländer. Bilder sagen mehr als tausend Worte.
Die Bilder, die wir gewählt haben, sind keine Schocker-Bilder, die die Branche zurückwerfen oder die Menschen manipulieren sollen, sondern das ist die Realität.
Ich verbringe selbst einen großen Teil meiner Zeit in Südostasien. Gleichzeitig haben wir die Herausforderung, dass die globale Menge an vermarkteten Einwegkunststoffen exponentiell steigt. Diese Lage spitzt sich also auch noch zu.
Und dann ist da die Situation in Deutschland, wo wir vorgeben, dass wir eine hundertprozentige Verwertung haben. Auch hier steigt das Müllaufkommen von Jahr zu Jahr. Ein Stück weit funktioniert es, ein bisschen was in gute Anwendungen zu packen. Was zu einem Großteil aber bleibt, ist der problematische Abfall, den man in minderwertigen Anwendungen versenken muss.
Da stellt sich einfach die Frage, ob man das nicht in Zukunft auf 2.0 bringen und weiter verbessern kann, indem man wieder die Vermeidung nach oben stellt.
Verbände kritisieren in erster Linie die Conclusio aus der Reportage, dass Recycling eben nicht funktioniert und der Verzicht auf Kunststoff die Lösung bringt. Würden Sie das heute immer noch so sagen?
Recycling ist nicht das, wofür es steht. Es ist meiner Meinung nach eine gute Möglichkeit, um Schaden zu minimieren und um das, was nun einmal angefallen ist, als Abfall in irgendeiner Form zu verwerten.
Aber letztendlich steht die Abfallpyramide ein Stück weit auf dem Kopf. Der Fokus liegt aktuell auf Recycling und Müllverbrennung und eben nicht auf Reduzierung, Vermeidung und Wiederverwendung.
Alle schreiben sich das auf die Fahne, aber es passiert eigentlich so gut wie nichts. Stattdessen ruhen wir uns seit Jahren oder Jahrzehnten auf dem Recycling aus. Dennoch geht es nicht darum, radikal für Verzicht zu werben. Unser Film soll letztendlich die Menschen anregen, darüber nachzudenken, wie sie Einwegkunststoff verwenden oder konsumieren. Er zielt also auf das Konsumbewusstsein der Bevölkerung ab.
Ja, sehr viel hängt natürlich auch mit dem Konsumverhalten der Bürger zusammen. Und ein modernes Leben, wie wir es hier führen, ist ohne Kunststoffe nicht möglich. Glauben Sie, dass die Menschen ihr Konsumverhalten tatsächlich ändern würden?
Ich glaube schon, dass Menschen ihr Konsumverhalten überdenken und natürlich auch ein Stück weit ändern können. Es gibt bereits reihenweise Unverpackt-Läden. Und es gibt Menschen, die hier ein großes Bewusstsein haben.
Wir wollten mit dem Film aber auch diejenigen erreichen, die dieses Bewusstsein noch nicht haben und sich die Frage stellen müssen, ob Recycling letztlich unendlichen Konsum rechtfertigt.
Dieses Umdenken und ein verändertes Konsumverhalten haben wir in der Reportage etwas vermisst, ebenso wie den tatsächlichen und gelebten Willen der Industrie, sich weiterzuentwickeln. Wir teilen natürlich den Punkt, dass der Handel stark in der Pflicht ist. Gerade auch, weil er weltweit aktiv ist und den Konsum sowie unsere westliche Lebensweise exportiert. Davon profitieren diese Unternehmen, aber die Abfallstrukturen sind in vielen Ländern nicht mitgewachsen.
Ja, das ist unser Hauptpunkt und der rote Faden, der sich durch diesen Film zieht. Wir zeigen den Leuten, was mit ihren Abfällen passiert. Das steht in keinem Missverhältnis. Sie sehen auch, wie ein Unternehmen zum Beispiel Bahnschwellen aus recyceltem Material herstellt.
Es ist nun einmal ein investigatives Format, insofern zeigen wir überwiegend Missstände. Deswegen haben wir uns auch in diesem Umfang mit der Müllschieberei beschäftigt.
Die Entsorger in Deutschland haben gemerkt, dass viele Menschen wegen der Reportage ihre gelbe Tonne gekündigt haben oder kündigen wollen. Das ist dann kontraproduktiv.
Das ist nicht die Absicht des Films. Natürlich wirkt Mülltrennung bis zu einem gewissen Grad. Und die Menschen sollen das auch weiter tun, solange es keine bessere Lösung gibt. Wenn ich meinen Müll nicht trenne oder achtlos damit umgehe, bin ich natürlich selbst verantwortlich. Ebenso kann ich auch Verantwortung tragen und dafür sorgen, weniger Einwegplastik zu konsumieren.
Es tut mir leid für die Leute, wenn sie sich „hinters Licht“ geführt vorkommen – und auch ein stückweit zurecht, dass sie viele Jahre ihren Müll trennen und damit letztendlich die Schwerindustrie subventionieren. Oder eben in dem Glauben leben, dass daraus neue Verpackungen werden oder neues Material. Dennoch: Wir haben dieses System nun einmal und es wendet ein Stück weit Schaden ab.
Ist denn aus Ihrer Sicht auch ein Verständnis dafür da, dass es mittelständische Unternehmen gibt, die Verpackungen produzieren und diese auch weiterentwickeln? Oder spielt dieser Teil gar keine Rolle?
Natürlich haben global agierende Konzerne die größte Wirkung. Deswegen haben wir uns darauf konzentriert. Aber Sie haben völlig recht, das ist konstruktive Kritik und das würde ich für mich auch mitnehmen, mich noch mehr mit mittelständischen Unternehmen zu beschäftigen.
Und die Anstrengung soll natürlich auch gewürdigt werden, vor allem, wenn dort Ansätze in Richtung einer stärkeren Kreislaufwirtschaft entstehen. Letztendlich sind es aber die globalen Konzerne, die den großen Unterschied machen. Und die vor allem auch vorweggehen müssen.
Der Fokus des Films liegt auf der Täuschung von Verbraucherinnen und Verbraucher und ein stückweit auf Greenwashing – dass Recycling missbraucht wird, um Einwegplastik zu rechtfertigen und grün erscheinen zu lassen. So viel Nutzen Kunststoffe auch haben, um das Produkt zum Beispiel zu schützen und haltbar zu machen. Aber zugleich stellen sie eben die Entsorgungsbranche vor große Herausforderungen.
Nun zaubern wir wieder das chemische Recycling aus dem Hut als großen neuen Lösungsansatz. Ich sehe aber keine bahnbrechenden Innovationen in dem Bereich – beim Produktdesign vielleicht schon eher.
Welche Wünsche haben Sie konkret an die Kunststoffbranche?
Die Kunststoffbranche ist sehr breit gefächert. Das ist natürlich ein bisschen pauschal, aber was ich als Journalist erwarten würde, wäre ein radikales Eingeständnis der Missstände.
Zum Beispiel würde ich mich freuen, wenn ich nicht mehr mit projizierten Marketingzahlen und bezahlter Wissenschaft konfrontiert wäre. Ich würde mir ein Stück weit mehr Aufrichtigkeit im Sinne des Transfers, der Technologie und des Austausches wünschen. Für Verbände gilt das eher weniger. Gemeint sind an der Stelle die unzähligen Beratungen, Zertifizierer und Marketingagenturen, die suggerieren, objektive Zahlen zu liefern, aber letztlich nicht unabhängig sind.
Und welche Wünsche an die Verbraucherinnen und Verbraucher?
Ich finde, sie sollten sich weiter ihren Konsum bewusst machen und vor allem weiter ihren Müll trennen. Darüber hinaus sollten sie versuchen, beim Einkauf die Augen aufzumachen und sich zu überlegen, ob sie dieses oder jenes Produkt kaufen, wenn es derart verpackt ist, oder ob es nicht andere Möglichkeiten und Lösungen für sie gibt, um etwas zu konsumieren.
Wir sollten alle daran arbeiten, nicht mehr Weltmeister im Mülltrennen zu sein, sondern Weltmeister in der Müllvermeidung.
Was erhoffen Sie sich von der Politik?
Die Politik sollte sich fragen, ob das, was bisher getan wird, für die nächsten Jahre reicht. Oder ob es nicht viel mehr Sinn machen würde, sich von Grund auf zu überlegen, ob der Wettbewerbsdruck zwischen dualen Systemen Sinn macht und ob man nicht mit Pfandsystemen weiterkommt.
Bestimmte Produkte sollten einfach komplett vermieden werden, anstatt sich über ökomodellierte Lizenzen Gedanken zu machen. Zudem sollten Einzelhändler und die herstellende Industrie vielmehr in die Pflicht genommen werden, Verpackungen wieder zurückzunehmen und neu zu befüllen.
Das wären etwas einschneidendere Maßnahmen nebst einer Taxonomie für den Gebrauch von Primär- oder virginen Materialien.
Vielen Dank Herr Wermter für das interessante Gespräch!
Über Benedict Wermter
Benedict Wermter ist freier Autor und sammelt Informationen für Medienhäuser, Stiftungen und Produktionsfirmen. Dazu ist er viel im In- und Ausland – insbesondere Südostasien – unterwegs. Nach seinem Psychologie- und Soziologie-Studium startete er seinen beruflichen Werdegang bei correctiv.org und bei den Ruhr Nachrichten. Hier finden Sie einige seiner Filme und Artikel.