„Die bindenden Rezyklateinsatzquoten erscheinen uns nicht realistisch.“
„Die bindenden Rezyklateinsatzquoten erscheinen uns nicht realistisch.“
KI – Kunststoff Information im Dialog mit Dr. Isabell Schmidt, Geschäftsführerin der Industrievereinigung Kunststoffverpackungen.
RADIKALE NEUORDNUNG DES EUROPÄISCHEN VERPACKUNGSMARKTS
Spannungsvoll erwartet die Branche den Entwurf der EU-Kommission für eine neue europäische Verpackungsverordnung, der nach mehrfachem Aufschub am 9. Dezember endlich veröffentlicht werden soll. Ein Leak des Entwurfs erlaubt bereits seit Mitte Oktober eine Vorschau auf die Inhalte. Fest steht, dass die Branche mehr erwartet als eine bloße Revision der alten EU-Richtlinie 94/62/EC über Verpackungen und Verpackungsabfälle. Mit der samt Anhängen ca. 180 Seiten starken Verpackungsverordnung strebt die Kommission eine radikale Neuordnung des Verpackungsmarkts an, die alle Stufen der Abfallhierarchie adressiert. Die Kunststoff Information KI hat IK-Geschäftsführerin und Kreislaufwirtschaftsexpertin Dr. Isabell Schmidt nach Ihren Einschätzungen befragt.
Wann tritt die PPW-Verordnung in Kraft?
Nachdem die EU-Kommission ihren Vorschlag für die Revision der EU-Verpackungsrichtlinie eigentlich schon im Dezember vergangenen Jahres veröffentlichen wollte, wird sie nun am 30.11. vorgestellt. Nach Veröffentlichung des Entwurfs startet ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren. Wie lange sich das hinzieht, wissen wir nicht. Es kann zwei Jahren dauern, aber auch schneller gehen. Erst dann wird die Verordnung verabschiedet und kann in Kraft treten.
Was wird sich voraussichtlich ändern?
Der Entwurf sieht Maßnahmen entlang der gesamten Abfallhierarchie vor. So sollen Verpackungsabfälle bis zum Jahr 2040 stufenweise um 15 Prozent reduziert werden. Dazu tragen hohe Mehrwegvorgaben für Getränkeverpackungen, die Take-away-Gastronomie und Transportverpackungen bei. Im Gastro- und Hotelgewerbe sollen Einweg- und Kleinstverpackungen, etwa für Saucen oder Duschgel, weitgehend verboten werden. Ab 2030 gelten auch verbindliche Anforderungen an die Recyclingfähigkeit und den Rezyklateinsatz in Kunststoffverpackungen. Wir unterstützen diese Ziele grundsätzlich. Dennoch bereitet uns der ,geleakte’ Entwurf große Sorgen.
Warum?
Die bindenden Rezyklateinsatzquoten erscheinen uns aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit geeigneter Rezyklate nicht realistisch. Der Entwurf sieht ab dem Jahr 2030 Quoten in Höhe von 25 bis 50 Prozent vor – auch für Lebensmittelverpackungen. Allein in Deutschland fehlen uns zur Erfüllung dieser Quoten insgesamt weit mehr als 1 Millionen Tonnen Post-Consumer-Rezyklate in spezifischen Qualitäten. Wir befürchten dramatische Versorgungsengpässe – insbesondere im Bereich der Lebensmittelverpackungen, wo es abgesehen von PET aus den Getränkeflaschen keine anderen zugelassenen Rezyklate gibt.
Müssen die Verarbeiter demnach auf Rohstoffe aus dem chemischen Recycling zurückgreifen?
Auf dem chemischen Recycling ruhen große Hoffnungen. Doch als Industrievereinigung fürchten wir, dass es an genügend Polyolefin-haltigen Abfällen für diese Art Recycling fehlt. In vielen Teilen Europas gibt es noch keine geeigneten Infrastrukturen im Bereich der Abfallsammlung. Es wäre schlecht, wenn das chemische mit dem mechanischen Recycling in Konkurrenz um die Abfälle träte. Denn dann hätten wir vielleicht mehr Rezyklate für den Lebensmittelkontakt, dafür würden sie uns aber an anderer Stelle fehlen.
Harmonisierte Kennzeichnung von Verpackungen
Sollten die verfügbaren Rezyklatmengen nicht ausreichen, droht den Verpackungsherstellern ein Vermarktungsverbot …
Leider ja. Das ist ein Risiko für unsere Mitglieder, die Kunststoffverpackungshersteller, aber auch für die gesamte abfüllende Industrie. In Deutschland sind mehr als 60 Prozent der verpackten Waren in Kunststoff verpackt. Wir fordern deshalb eine Absicherung gegen solche Versorgungsengpässe. Hilfreich wäre außerdem ein Plan für den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Rohstoffe bei der Kunststoffproduktion. Konzepte für alternative Rohstoffe liegen vor – das Recycling von Abfällen gehört dazu. Letztlich ist das ja das übergeordnete Ziel: der Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter, um eine Klimaneutralität in Europa bis 2050 zu schaffen.
Welche Vorgaben des neuen Verordnungsentwurfs halten Sie für sinnvoll?
Positiv ist zu bewerten, dass der gemeinsame Binnenmarkt in der EU gestärkt werden soll. Wenn etwa die Kriterien für die Recyclingfähigkeit in jedem Land einheitlich definiert sind, hilft das bei der Umstellung der Verpackungen. Die Einheitlichkeit hilft auch, die Skaleneffekte und damit die Wirtschaftlichkeit im Bereich der Abfallsammlung und des Recyclings zu stärken. Zudem ist eine harmonisierte Kennzeichnung von Verpackungen vorgesehen, die sich auch auf den Abfallsammelbehältern – wie dem gelben Sack oder der Papiertonne – wiederfinden soll. Das erleichtert den Verbrauchern die getrennte Sammlung.
Bei dem geplanten Pfandsystem für Einweggetränkeflaschen hat Deutschland seine Hausaufgaben schon gemacht …
Ja, in der Tat. In Deutschland gibt es das Pfandsystem seit 2003. Der Entwurf der neuen EU-Verordnung sieht vor, dass alle Mitgliedstaaten von 2028 an ein Pfandsystem für Einweggetränkeflaschen und -dosen einführen müssen. Wenn dies flächendeckend geschieht, wird es uns helfen, die Mengen an PET-Rezyklaten zu erhöhen.
Was ist mit der Anforderung, Verpackungen zu minimieren?
Die EU-Kommission will Verpackungen hinsichtlich Gewicht, Volumen und der Anzahl der Lagen auf ein Minimum reduzieren. Die Zielrichtung ist richtig und könnte Kunststoffverpackungen zugutekommen. Jedoch muss belegt werden, dass die Verpackung nicht weiter minimiert werden kann. Das ist ein erheblicher bürokratischer Aufwand. Auch soll es – Stichwort „Design for Recycling“ – konkrete Vorgaben geben, was die Recyclingfähigkeit von Verpackungen betrifft. Die genauen Kriterien dafür werden aber erst noch festgelegt.
Die neue Verordnung will auch das Wiederverwenden von Verpackungen forcieren …
Ja, es sind bindende Zielvorgaben für den to-go-Bereich geplant, ein Bereich, in dem das Verpackungsaufkommen in den vergangenen 20 Jahren stark zugenommen hat. Vor allem von 2040 an gelten hohe Quoten. So sollen beispielsweise 95 Prozent der Heiß- und Kaltgetränke „to-go“ in Mehrwegbechern abgefüllt werden, und auch für Getränke-, Transport- und Umverpackungen soll es Mehrwegvorgaben geben. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen: Mehrweg ist nicht per se immer besser: Für die Klimabilanz von Mehrwegsystemen kommt es auf die Leichtigkeit der Verpackung, kurze Transportwege und hohe Umlaufzahlen an.
Sollen auch Verpackungen verboten werden?
Ja, dafür gibt es eine ganze Liste. Darauf stehen etwa Einwegkunststoffverpackungen für frisches Obst und Gemüse – außer wenn diese für den Produktschutz notwendig sind, ebenso wie Umverpackungen aus Kunststoff, die mehrere Verkaufseinheiten bündeln, Lebensmittelverpackungen aus EPS oder auch Einweg-Kleinstverpackungen, wie zum Beispiel Sachets für Saucen oder Kosmetikprodukte, die in Hotels ausliegen. Wir halten es für problematisch, dass die Kommission diese Liste jederzeit per Rechtsakt erweitern können will.
Bis zum Jahr 2030 soll für Kunststoff eine Recyclingquote von 55 Prozent erreichet werden – wie hoch ist diese aktuell?
In Deutschland liegen wir aktuell bei 46 Prozent. In Europa ist das ein Spitzenplatz. Doch die 55 Prozent zu erreichen, wird auch für Deutschland noch anspruchsvoll, denn die letzten Prozentpunkte sind die schwersten.
Wer ist hier gefordert?
Viel mehr sammeln können wir in den Haushalten eigentlich nicht, aber besser: Denn rund ein Viertel der Kunststoffe, die anstatt im gelben Sack in der Restmülltonne landen, gehen verloren. Potenzial sehe ich auch noch bei der Verbesserung der Recyclingfähigkeit. Schließlich muss auch der Bereich der gewerblichen Verpackungen geprüft werden. Hier sind öffentliche-rechtliche und private Entsorger gefordert.
Quelle: Kunststoff Information v. 9.11.2022, www.kiweb.de