GVM-Studie zu monetären Lenkungsmaßnahmen
Bad Homburg, 22. Mai 2024 – Die GVM Gesellschaft für Verpackungsforschung hat im Auftrag der IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen untersucht, wie sich monetäre Lenkungsmaßnahmen wie eine Plastiksteuer auf den Trend zu kunststoffbeschichteten Papierverpackungen auswirken würden. Das Ergebnis ist eindeutig: Durch eine Steuer, die nur für Plastik erhoben wird, würden Papierverbunde bevorteilt und damit die Abfallmengen zu- und die Kreislaufführung von Verpackungen abnehmen.
Drei Gründe für den Trend zu immer mehr Papierverbunden
Laut GVM liegen mit Kunststoff beschichtete Papierverpackungen im Trend. Die Verpackungsmarktforscher gehen davon aus, dass sich ihr Verbrauch in Deutschland bis 2030 im Vergleich zum Jahr 2020 mehr als verdoppeln wird, von 241.000 Tonnen auf knapp 600.000 Tonnen. Damit wächst dieses Marktsegment entgegen dem generell in Deutschland abnehmendem Verbrauch von Verpackungen. Gründe hierfür sind die landläufige Meinung, Papierverpackungen seien “ökologischer”, und die von Verbrauchern bevorzugte Haptik von Papierverbunden. Außerdem spielen nach Einschätzung der GVM auch finanzielle Aspekte eine Rolle, denn Papierverbunde würden in erheblichem Maße fälschlich als Papier-Monoverpackungen bei dualen Systemen beteiligt und seien dann in der Beteiligung um den Faktor 6 kostengünstiger.
Auswirkungen einer „Plastiksteuer“ und Alternativen dazu
Dieser Trend würde sich durch eine Steuer ausschließlich auf den Kunststoffanteil bei Verpackungen („Plastiksteuer“) weiter verstärken. Die Experten der GVM erwarten für diesen Fall eine Mengensteigerung der jährlich verbrauchten Papierverbunde auf über 700.000 Tonnen. Aus Sicht der GVM ist es folglich ein eklatanter Fehler, eine Verpackungssteuer einzuführen, welche Papierverbunde auf Kosten von Kunststoffverpackungen lenkungspolitisch bevorteilen würde. Sinnvoller sei beispielsweise eine Steuer, die auf alle Verpackungsmaterialien basierend auf der Recyclingfähigkeit der Verpackung erhoben würde. Auch diese Variante haben die Experten untersucht. Durch eine solche Steuer würden schlecht recyclingfähige Verpackungen verteuert und der Trend zu Verbundmaterialien stark gebremst – mit positiven Effekten für den Gesamtverpackungsmarkt.
Papierverbund oft schwerer und schlechter zu recyceln
Der Verbrauch an systembeteiligungspflichtigen Kunststoffverpackungen wird nach GVM-Prognose bis zum Jahr 2030 voraussichtlich um 23 % gegenüber 2022 sinken, wovon ein Rückgang von 190.000 Tonnen auf die Substitution durch Papierverbunde entfalle. Anders als viele Verbraucher denken, steigt durch die Substitution aber der Verpackungsabfall, und die Recyclingfähigkeit sinkt. Ursachen hierfür sind die Vergleichs-Parameter Materialeffizienz und Recyclingfähigkeit.
Kunststoffverpackungen sind in 79 % der untersuchten Fälle leichter als ihre Pendants aus Papierverbunden. Auch sind rund zwei Drittel der systembeteiligungspflichtigen Kunststoffverpackungen zu mehr als 95 % recyclingfähig. Im Vergleich dazu weisen etwa 60 % der Papierverbunde eine Recyclingfähigkeit von weniger als 90 % auf. Außerdem sind Papierverbunde pro Kilogramm Füllgut deutlich schwerer als Kunststoffverpackungen, was zu einer Steigerung des Abfallaufkommens um 35 bis 40 % bei der Substitution führte.
Die IK appelliert daher unverändert an Politik, Industrie und Handel, die eigentlichen Umweltziele nicht aus dem Auge zu verlieren und ökologische Fakten als Basis der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.
4 Fragen an Kurt Schüler
Sie dokumentieren in der Studie einen klaren Trend zu Papierverbunden. Was kritisieren Sie daran?
Wenn Papierverbunde marktvermittelt gegenüber Alternativen wie Kunststoff- oder Aluminiumverpackungen Marktanteile gewinnen, kritisiere ich daran überhaupt nichts.
Ein Problem habe ich damit, wenn umweltpolitische Fehlsteuerungen Papierverbunden einen ungerechtfertigten Vorteil verschaffen. Eine solche Fehlsteuerung ist z.B., dass ein Großteil der Papierverbunde an dualen Systemen als kostengünstiges Papier-Monomaterial beteiligt wird.
Auch die seit 2023 in Deutschland geltende Mehrwegangebotspflicht für die Take-away-Gastronomie wirkt offenkundig stark zu Gunsten der Papierverbunde. Das allgegenwärtige Klima des Kunststoff-Bashings wirkt ebenfalls in diese Richtung.
Welche Auswirkungen hätte eine Plastiksteuer auf diesen Trend?
Eine Verpackungssteuer, die ausschließlich Kunststoffverpackungen trifft, würde diesen Trend stark verstärken. Das gilt insbesondere im Bereich der Gastronomieverpackungen und Serviceverpackungen. Hier verteuert die Steuer die Verpackung eins zu eins und die einsetzenden Betriebe sind sehr preisgetrieben.
Welche Alternativen wurden untersucht?
Wir haben noch untersucht, wie sich Verpackungssteuern auswirken, die nicht nur Kunststoff pönalisieren. Würde sich z.B. die Steuer nach der Recyclingfähigkeit der Verpackungen bemessen lassen, so würden Papierverbunde schlechter dastehen. Weil Papierverbunde eben in vielen konkreten Verpackungslösungen nicht oder nur zum Teil recyclingfähig sind.
Auch eine materialneutrale Steuer, die sich am CO2-Ausstoß orientiert oder an der Gesamtmasse der Verpackung, würde Papierverbunde nicht einseitig bevorteilen.
Was sind Ihre konkreten Empfehlungen?
Ich beantworte das mal als Volkswirt. Wir müssen aufpassen, dass wir in Deutschland und Europa eine leistungsfähige Industrie erhalten.
Deswegen wäre es aus meiner Sicht die beste Lösung, auf jede vermeidbare Lenkungsmaßnahme wie die Verpackungsteuer zu verzichten und uns stattdessen auf die Energiewende fokussieren. Sonst müssen wir uns im kommenden Jahrzehnt Gedanken machen, wie wir Produzenten in Pakistan, Indien oder China mit abfallpolitischen Maßnahmen „steuern“: ohne jede Aussicht auf Erfolg.