Chris DeArmitt - Bislang habe ich keinen einzigen Vorwurf gegen Plastik gefunden, der der Wahrheit entspricht.
Chris DeArmitt - Bislang habe ich keinen einzigen Vorwurf gegen Plastik gefunden, der der Wahrheit entspricht.

Wer auf LinkedIn in den Themenkosmos rund um Kunststoffverpackungen einsteigt, kommt an ihm nur schwer vorbei: Chris DeArmitt. Der Kunststoffexperte ist Berater, Keynote Speaker, Trainer, Erfinder, Autor – und vor allem ein echter Problemlöser. Als Gründer von Phantom Plastics bietet er Beratungsleistungen für den gesamten Produktentwicklungsprozess von Polymeren und Kunststoffen sowie maßgeschneiderte Lösungen für vielfältige Herausforderungen dieser Industrie an. Der studierte Chemiker hat nicht nur einen Doktortitel in „Polymere & Surface Science“ der University of Sussex, Großbritannien, sondern auch eine Leidenschaft für die Wahrheit. Und diese fehlt ihm in der öffentlichen Debatte rund um Kunststoffverpackungen. Ein Umstand, den er nicht hinnehmen will: Um Mythen rund um Kunststoff zu entkräften, hat er rund 4.000 wissenschaftliche Studien gelesen und teilt sein Wissen, wann und wo immer er kann. Rund 400 der Studien bilden die Grundlage für sein Buch „The Plastics Paradox“.

Wir haben mit dem gebürtigen Briten, der in Ohio in den USA lebt, in seiner Muttersprache gesprochen. Das Gespräch drehte sich um seine Leidenschaft für Wahrheit, sein Engagement für einen fairen Umgang mit Kunststoffverpackungen und darüber, dass wissenschaftliche Fakten häufig unbeachtet bleiben.

Herr DeArmitt, was hat Sie dazu veranlasst, sich intensiv mit dem Thema Kunststoff, seinen Auswirkungen auf die Umwelt und die Kreislaufwirtschaft zu beschäftigen?

Das ist eine gute Frage, denn der Umweltschutz gehört nicht zu meinen Lieblingsthemen. Aber als leidenschaftlicher Wissenschaftler bedeutet mir nun mal die Wahrheit sehr viel. Als meine Töchter einst von der Schule nach Hause kamen und ihnen von ihren Lehrern völliger Unsinn über Kunststoffe beigebracht wurde, hat mich das verärgert. Umso mehr, als ich ordentlich Steuern zahle, um dort zu leben, wo es gute Schulen gibt. Als ich nun also feststellen musste, dass ihnen in der Schule Unfug beigebracht wurde, war ich wirklich bestürzt. Zumal Kinder nicht in der Lage sind, Dichtung von Wahrheit zu unterscheiden. Sie sind unbedarft und leicht zu beeinflussen, weil sie Fantasiegeschichten, die niemandem nützen, nicht als solche erkennen.

Was haben Sie dagegen unternommen?

Mir wurde klar, dass die Lehrer es nicht besser wussten. Sie sind eben keine Wissenschaftler, sie haben nicht die Zeit, alles zu überprüfen. Und da ich von Berufs wegen ein Problemlöser bin, habe ich etwa 4.000 wissenschaftliche Studien über Plastik im Meer, die Schädigung der Meere, die Toxizität von Mikroplastik, die Auswirkungen auf die Tierwelt, über Müll und Abfälle gelesen, um die Wahrheit herauszufinden. Wenn man sich nicht mit allen Aspekten beschäftigt, die dieses Thema umfasst, versteht man das Problem nicht wirklich, und man kann keine brauchbaren Lösungen erarbeiten. Ich möchte unbedingt betonen, dass ich alle meine Recherchen unbezahlt durchgeführt habe. Die Menschen glauben, dass man ein Buch nur schreibt, um es möglichst gut zu verkaufen. Aber auf meiner Website sind die Ergebnisse meiner Recherchen in fünf Sprachen kostenlos verfügbar. Selbst in unserer Branche denken die Leute, dass ich von jemandem für meine Arbeit bezahlt werde, dabei bin ich nur jemand, der die Meinung vertritt, dass man ein Problem nur dann lösen kann, wenn man von wahren Sachverhalten ausgeht.

In Ihrem Buch „Das Kunststoff-Paradoxon“ geht es um Mythen und Fakten rund um das Thema Plastik. Welche drei Klischees über Plastik sind die am weitesten verbreiteten - und warum?

Einer der Mythen ist, dass wir förmlich in Plastik ertrinken. Dabei beträgt der Anteil von Kunststoffen an allen von uns verwendeten Materialien in Bezug auf Gewicht und Volumen weniger als ein Prozent. Jeder, der meint, dass wir generell viel zu viele Ressourcen verbrauchen, hat recht. Wir sind verschwenderisch. Wir kaufen Dinge, die wir nicht benötigen. Also sollten wir den Materialverbrauch grundsätzlich reduzieren. Wer jedoch glaubt, dass wir das Problem lösen könnten, indem wir nur über Kunststoffe reden und die anderen 99 Prozent der Werkstoffe ausklammern, ist auf dem Holzweg. Es geht hier nicht darum zu behaupten, dass Kunststoffe harmlos seien, sondern darum, wie bzw. dass wir sie weiterverwenden sollten. Der Grundgedanke besteht darin, dass es pure Verschwendung ist, alles nach einmaligem Gebrauch wegzuwerfen.

Ein weiteres Klischee ist der Glaube, dass Kunststoffe die Umwelt zunehmend schädigen. Wenn man aber Untersuchungen über den Lebenszyklus heranzieht, die die einzige Möglichkeit sind, wissenschaftlich festzustellen, was der Umwelt mehr und was ihr weniger schadet, dann sind Kunststoffe fast immer die umweltfreundlichste Lösung. Eine kürzlich veröffentlichte Studie belegt, dass der Ersatz von Kunststoffverpackungen in 93 Prozent der Fälle zu einer erhöhten Umweltbelastung führt. Es wurden 16 verschiedene Anwendungsbereiche untersucht, und in 15 von ihnen hat Kunststoff im Vergleich zu Metall, Holz, Glas oder anderen Materialien, die wir verwenden könnten, eindeutig weniger schädliche Folgen. Es ist nicht zu leugnen, dass die Verwendung von Plastik Auswirkungen auf die Umwelt hat. Aber die Menschen zu ermutigen, mehr Geld auszugeben, um auf andere Materialien umzusteigen, die noch mehr Treibhausgase, Abfall und Müll produzieren, ist äußerst bedenklich.

© Chris DeArmitt

© Chris DeArmitt

Ein drittes Klischee lautet, dass wir immer mehr Kunststoffe verwenden und sie deswegen schlecht sind. Es stimmt, dass wir von Jahr zu Jahr mehr Kunststoff verbrauchen. Aber die Zuwachsraten bei Kunststoffen liegen bei drei oder vier Prozent. Das ist die gleiche Wachstumsrate wie die aller anderen Materialien. Und es sei daran erinnert, dass der Anteil der Kunststoffe weniger als ein Prozent an der Gesamtmenge der Werkstoffe beträgt.

Wenn Plastik nicht schlechter oder sogar besser als andere Materialien ist, warum sind es dann immer die Kunststoffe, die im Fokus stehen?

Zum einen ist es sehr profitabel, bezahlte Lügen zu verbreiten. NGOs wie Greenpeace sind hierfür ein Beispiel. Anfangs verfolgten diese Organisationen gute Absichten, aber oftmals nahmen einige gierige Leute die Zügel in die Hand und begannen für Geld Lügen zu verbreiten. Selbst der ehemalige Vorsitzende von Greenpeace ist frustriert zurückgetreten und beklagt, dass die Organisation auf die Verbreitung von Unwahrheiten angewiesen ist, um Spenden zu erhalten. Er hat sogar ein Buch darüber verfasst.

In den sozialen Medien lassen sich Unwahrheiten leicht verbreiten. Das gilt allerdings nicht nur für die Medien: Politiker bezahlen Organisationen dafür, Unfug über Kunststoffe zu verbreiten, um Wählerstimmen zu bekommen, egal ob das der Umwelt nützt oder nicht. Die Menschen misstrauen den NGOs nicht, vertrauen ihnen vielmehr, da sie sich vorgeblich um die Umwelt kümmern. Mir vertrauen sie nicht, weil ich ein „Plastikfreund“ bin. Aber das müssen sie auch nicht. Die Studien, die ich gelesen habe, lassen sich in Sekundenschnelle über Google finden. Sie können sich einfach hinsetzen, die Studien anklicken und sie selbst lesen.

Welche der Mythen basieren auf tatsächlich durch Kunststoffe verursachte Probleme, die dringend gelöst werden müssen?

Bislang habe ich keinen einzigen Vorwurf gegen Plastik gefunden, der der Wahrheit entspricht. Wir verbrauchen zu viele Rohstoffe, wir produzieren zu viele Abfälle und es entsteht zu viel Müll. Das sind echte Probleme, aber keines davon ist auf Plastik zurückzuführen. Wenn man sich die Alternativen anschaut, dann verursachen sie mehr Abfall, mehr Umweltschäden und mehr Müll. Und das machen sich die Menschen nicht bewusst. In einer Studie wurden z.B. PET-Flaschen mit beschichtetem Papierkarton verglichen. Die Beschichtungen enthalten vier verschiedene Werkstoffe, um sie wasserdicht zu machen. Aber trotzdem sehen sie aus wie eine Pappschachtel. Man fand heraus, dass die Menschen ihre PET-Flaschen nicht wegwarfen, sondern sie verschlossen, Wasser nachfüllten und weiter aus den Flaschen tranken. Den Getränkekarton warfen sie häufiger einfach weg, sodass die Abfallrate viel höher war als bei der PET-Flasche.

Degradable Litter Chris DeArmitt

© Chris DeArmitt

Inwieweit sind Medienberichte mitverantwortlich für Missverständnisse oder Klischees über Plastik und damit für die öffentliche Wahrnehmung?

Wenn man die Inhalte der Medienberichterstattung mit den Tatsachen vergleicht, sind sie völlig falsch ausgerichtet. Die Medien haben sich schon lange von Fakten verabschiedet. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Medien nicht wahrheitsgemäß über Plastik berichten: Eine Studie belegt, dass in 93 Prozent der Presseberichte behauptet wird, Mikroplastik gefährde zweifelsfrei unsere Gesundheit. Das beunruhigt die Menschen. Nebenbei bemerkt: Die Menschen lassen sich von Berichten in Medien leiten, denen sie angeblich nicht trauen. In der erwähnten Studie wurden alle wissenschaftlichen Artikel über Mikroplastik untersucht – und es wurde festgestellt, dass nur in einzelnen von ihnen davon die Rede ist, dass Mikroplastik ein ernsthaftes Problem darstellt. Was mir ebenfalls missfällt, ist, dass immer wieder von „Plastikverschmutzung“ die Rede ist. Das klingt, als würde sie von einem Unternehmen verursacht und als müsste man ein Unternehmen oder einen Werkstoff dafür verantwortlich machen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Verschmutzung durch Müll verursacht wird, und die wirklichen Lösungen für das Müllproblem heißen: Aufklärung, Pfandsysteme und Bußgelder.

Microplastic Im Dialog Chris DeArmitt

© Chris DeArmitt

Warum ist die Berichterstattung über Plastik so einseitig und negativ, obwohl zahlreiche fundierte Studien belegen, dass es hierfür keine Grundlage gibt?

Die Medien folgen dem Geld, genauso wie die erwähnten Umweltgruppen. Ihnen geht es nur darum, aufsehenerregende Schlagzeilen zu bekommen und alles zu veröffentlichen, was einen Klick und einen Werbedollar einbringt. Ich habe viele Umweltjournalisten und alle großen Medien wie die New York Times, die Washington Post, Reuters, Bloomberg, BBC usw. angeschrieben, um über die Fakten und wissenschaftliche Erkenntnisse zu sprechen, die jede einzelne meiner Aussagen belegen – ohne Erfolg. Ich behaupte nicht einmal, dass sie mir nicht zustimmen würden. Aber Unwahrheiten sind nun mal viel aufregender als die Wahrheit. Die Nachricht, dass Kunststoffe keine Probleme verursachen, ist nun mal keine Schlagzeile wert, sie ist keine Sensationsmeldung.

Welche Rolle spielen die sozialen Medien im Vergleich zu oder neben den klassischen Medien bei der Verbreitung von Fakten und Fälschungen über Plastik?

Es ist sehr einfach, über die sozialen Medien Unsinn zu verbreiten, ohne dass jemand ihn überprüft. Und das ist ein Problem. Der zweite Punkt ist: Es geht nur um die Zurschaustellung moralischer Korrektheit. In den sozialen Medien versuchen Menschen sich möglichst vorteilhaft in Szene zu setzen. Man möchte möglichst gut aussehen oder sich als guter Mensch zeigen, aber wirklich gut zu sein erfordert mehr als das. Man muss sich schon die Zeit nehmen, um die Fakten zu prüfen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. In Deutschland und Italien wurde eine Studie durchgeführt, bei der die Menschen gefragt wurden, wodurch ihrer Meinung nach wirklich etwas zu verändert werden könnte. Die Teilnehmer an der Studie meinten, dass die wichtigste Maßnahme darin bestünde, auf Plastiktüten zu verzichten. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass die Abschaffung von Plastiktüten eine schlechte Idee ist, die alles nur noch schlimmer macht. Die drei wichtigsten Dinge, die man tun kann, um der Umwelt wirklich zu helfen, sind: weniger Auto fahren, weniger fliegen und weniger Fleisch essen. Aber darauf möchte sich niemand einlassen – die Menschen wollen lieber eine Baumwolltasche kaufen und sie sich um den Kopf wickeln wie ein Engel, der Tugendhaftigkeit signalisiert, wobei sie in Wahrheit mehr Geld für ein Produkt ausgeben und damit der Umwelt noch mehr schaden.

Social Media Not Trustworthy Im Dialog Chris DeArmitt

© Chris DeArmitt

Was können die Kunststoffhersteller tun, um diesen Klischees entgegenzuwirken und der breiten Öffentlichkeit Fakten zu vermitteln?

Ich denke, die Erklärungen sind da, die richtige Botschaft ist unmissverständlich, die Daten sind unwiderlegbar, aber trotzdem hält sich die Kunststoffindustrie zu sehr zurück. Die Argumente liegen auf dem Tisch, aber wir müssen dafür sorgen, dass die Öffentlichkeit sie wahrnimmt und versteht. Wir müssen sie in ihrem Alltag auf kreative Weise mit der Wahrheit konfrontieren, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Die Kunststoffindustrie hat jahrelang zugelassen, dass Lügen über Kunststoffe in Umlauf gebracht wurden. Ich denke, wir müssen jetzt viel Geld in die Hand nehmen. Nicht, um die Kunststoffindustrie zu beschützen, sondern um die Umwelt zu schützen und die Wahrheit ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken.

Aber wo ist der Knackpunkt?

Auch wenn es natürlich nicht für alle gilt, aber viele der Umweltschutzorganisationen, die großen, haben sich diskreditiert. Es sollte ihnen nicht erlaubt sein, Regierungen zu beraten, vor dem Kongress aufzutreten, im Fernsehen oder in den sozialen Medien für Dinge zu werben, die falsch sind. Sie sollten verklagt und dadurch finanziell zugrunde gerichtet werden. So verlieren sie ihr gesamtes Geld und ihre Werbeeinnahmen, und es führt der Öffentlichkeit vor Augen, dass sie nicht redlich sind. Das ist wahrscheinlich das Beste, was wir tun können, um diesen Missstand zu beheben. Bedauerlicherweise wollen die Unternehmen eine solche Vorgehensweise nicht ins Auge fassen. Sie wollen nicht in Gerichtsverfahren verwickelt werden. Sie wollen überhaupt keine Rechtsstreitigkeiten austragen. Sie lassen sich vernichten, weil sie zu viel Angst haben, wirklich etwas dagegen zu unternehmen. Darüber hinaus sollten kluge Unternehmen schlichtweg den Mut aufbringen, Dinge wie die Umstellung auf Alternativprodukte, die noch mehr Umweltschäden verursachen, zu unterlassen. Ich würde mir mehr solcher Unternehmen wünschen. Und ich würde mir mehr Menschen wünschen, die sich Gehör verschaffen und klare Antworten auf die Frage fordern, welche Werkstoffe und Maßnahmen welche Auswirkungen tatsächlich haben.

Chris, wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch.

Über Chris DeArmitt:

Chris DeArmitt gilt als einer der bekanntesten Experten für Kunststoffmaterialien, weshalb Unternehmen wie HP, Apple, P&G, iRobot, Eaton, Total und Disney ihn um Unterstützung bitten. An der University of Sussex schloss er zunächst sein Bachelorstudium der Chemie mit Schwerpunkt Polymerwissenschaften ab, gefolgt von einem Masterstudium und seiner Promotion im Bereich der Polymer- und Oberflächenwissenschaften. Im Jahr 2020 veröffentlichte er sein Buch „The Plastics Paradox“, den ersten umfassenden wissenschaftlichen Überblick über Kunststoffe und die Umwelt, der Themen wie Abfall, Littering, Mikroplastik, Zersetzung, Kunststoffe in den Meeren und mehr abdeckt. Er hält eine Vielzahl von Patenten und hat zahlreiche Artikel, Buchkapitel, Enzyklopädieeinträge und Konferenzvorträge verfasst. Als bereits mit Preisen ausgezeichneter Keynote Speaker teilt er sein Wissen über die Wissenschaft der Kunststoffmaterialien und die Auswirkungen von Kunststoffen auf die Umwelt mit einem weltweiten Publikum.

Portrait Heike Vesper © Kathrin Tschirner WWF

Im Dialog – Unser Magazin zur Interviewreihe um Kunststoff Recycling Klima- und Umweltschutz.