Seit mehreren Jahrzehnten engagiert sich der Verband der Kunststofferzeuger, PlasticsEurope Deutschland, mit eigenen Unterrichtsmaterialien in der Bildungsarbeit im MINT-Bereich. Zu den MINT-Fächern zählen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Ein besonderer Schwerpunkt des Verbands liegt dabei naturgemäß auf der naturwissenschaftlichen Disziplin Chemie.

Kunos Coole Kunststoffkiste Plasticseurope minIn den 1990er Jahren wurde der Verband auf die Lücke in seinem Bildungsprogramm bei Grundschulklassen aufmerksam. Infolgedessen kam der Kontakt mit Prof. Dr. phil. Gisela Lück zustande, die damals am Institut für Didaktik der Chemie an der Universität Kiel habilitiert wurde – der Beginn einer langjährigen erfolgreichen Kooperation. Sie konzipierte gemeinsam mit dem Verband das Experimentierset Kunos coole Kunststoff-Kiste und erarbeitete spannende sowie für Grundschulkinder geeignete Experimente. In einem gemeinsamen Interview werfen Prof. Dr. phil. Gisela Lück und Dr. Ingo Sartorius, kommissarischer Hauptgeschäftsführer PlasticsEurope Deutschland, einen Blick auf die gemeinsamen Erfolge, die Idee hinter Kuno sowie die Potenziale der Zukunft.

PlasticsEurope Deutschland: Wir blicken heute auf fast zwei Jahrzehnte Kunos coole Kunststoff-Kiste zurück. Was hat damals den Ausschlag für die Einführung gegeben?

Prof. Dr. Gisela Lück: Der Startpunkt der Zusammenarbeit mit dem Verband der Kunststofferzeuger geht sogar bis in das Jahr 1996 zurück. Zu dieser Zeit hatte der Verband keine Lehrmaterialien für die Grundschule. Denn damals wurde die Grundschule generell nicht für naturwissenschaftlich-chemische Experimente in den Blick genommen. Chemie oder Physik waren nicht Teil des „Sachunterrichts“. Sie seien – so die damals weltweit gültige Meinung des Pädagogen Jean Piaget – erst vermittelbar, wenn die Lernenden abstrakt denken können. Mir war es aber wichtig, dass wir den Sachunterricht erweitern und die Beliebtheit für die Chemie früher fördern. Mit der UN-Konferenz in Rio 1992 kam es langsam an, dass wir in den Fächern, die zur Lösung der Umweltprobleme zuständig sind, zu wenig tun. Das hat diesem Ziel ebenso wie unserer Kooperation Rückenwind gegeben.

Neue Kuno-Webseite ist online

Dr. Ingo Sartorius: Ja, zur damaligen Zeit haben wir eine wichtige Lücke im Schulbildungssystem erkannt. Rückenwind für den Aufbau erhielten wir zusätzlich nach der ersten Pisa-Studie im Jahr 2000 so-wie der öffentlichen Diskussion um das überraschend schwache Abschneiden hiesiger Schülerinnen und Schüler in den MINT-Fächern. Infolgedessen wuchs in Deutschland die Erkenntnis, dass es zu spät ist, junge Menschen erst mit Beginn der 7. Klasse intensiv mit der ersten Naturwissenschaft vertraut zu machen. Deshalb entschlossen wir uns in Zusammenarbeit mit Frau Prof. Dr. Lück, unser Bildungsprogramm um den Grundschulbereich zu erweitern. Um die Wissbegierde der jüngsten Schülerinnen und Schüler zu unterstützen, haben wir gemeinsam das Kuno-Experimentierset konzipiert, mit dem Kinder sich spielerisch den Naturwissenschaften nähern und im besten Fall schon früh eine Begeisterung für MINT-Themen entwickeln.

PlasticsEurope Deutschland: Herr Dr. Sartorius hat es schon angeschnitten. Können Sie vielleicht noch etwas genauer ausführen, wie sich der frühe Kontakt mit naturwissenschaftlichen Experimenten auf die Entwicklung der Kinder auswirkt, Frau Prof. Dr. Lück? Und was ist bei der Konzeption eines Experimentiersets wie Kuno eigentlich zu beachten?

Kunos Coole Kunststoffkiste Experimentiertisch MinProf. Dr. Gisela Lück: Alles, was wir mehrgleisig lernen, ist besser zu behalten. Diese Aufnahme von Inhalten – akustisch, optisch und haptisch – macht das Erlebte unvergesslich. Bei Kindern in der Grundschule trifft das sogar noch viel stärker zu. Nach dem Psychologen Erik Eriksen befinden sich Grundschulkinder in der Phase des Werksinns. Und die Kinder werken nicht nur irgendwie; sie wollen es gut machen und auch Anerkennung erhalten. Das ist die Sternstunde für ein Experiment. Von Beginn an verbinden die Kinder Chemie mit erfolgreichem eigenen Tun. Bei der Konzeption gibt es vier Kernkriterien: Absolut ungefährlich, verfügbar & bezahlbar, für Kinder gut durchführbar und erklärbar. Schön ist es, wenn das Experiment auch einen Alltagsbezug enthält. Alle Experimente werden mehrfach evaluiert. Es geht kein Experiment heraus, das nicht von Kinderhand geprüft wurde.

PlasticsEurope Deutschland: Lernmittel müssen ständig auf Aktualität überprüft werden, Digitales gewinnt zunehmend an Bedeutung. Sind naturwissenschaftliche Experimente von solchen Neuerungen gefeit? Welche Entwicklungen müssten neu aufgegriffen werden?

Prof. Dr. Gisela Lück: Neuerungen gibt es auch unabhängig vom Thema Digitalisierung: Alle Experimente werden streng entsprechend der Gefahrstoffverordnung in Schulen durchgeführt. Wenn sich neue Erkenntnisse und Grenzwerte ergeben, wird ein Experiment komplett unter die Lupe genommen. Das ist bislang erst einmal passiert. Nach einer viermonatigen Entwicklungszeit haben wir im Institut aus einem Flummi eine Art „Slime“ entwickelt, der unterhalb der Grenzwerte liegt sowie alle weiteren Kriterien erfüllt. Das war eine ziemliche Herausforderung, doch letztlich hat es geklappt!
Kuno kann künftig natürlich auch digital ergänzt werden. Es gibt Experimente mit Kunststoff, welche die Kinder zuhause machen können und bei denen keines der Kriterien verletzt wird. Genau das ist interaktiv mit allen Sinnen online möglich – die Chemie lieben lernen.

Beitragsbild Kuno Webseite Ansicht Laptop Min

Beitragsbild Kuno Webseite Ansicht Laptop

Dr. Ingo Sartorius: Genau diese Begeisterung können wir bestätigen. Wir sind vor Ort in Schulen wie auch in Lehrerseminaren aktiv. Und wir erleben gerade bei Schulkindern eine extreme Begeisterung durch die Motivation der Experimente und der gleichzeitigen Ansprache aller Sinne. Zusätzlich gewinnen das Lernen und Arbeiten im digitalen Raum stetig an Bedeutung. Oftmals finden wir online erste Zugänge zu verschiedensten Themen – man informiert sich, gewinnt Interesse und im besten Fall auch ein erstes Verständnis. Entsprechend haben wir auch unsere Kuno-Webseite runderneuert. Auf der Onlinepräsenz dreht sich alles um die fünf Kunststoffexperimente. Kompakte Erklärvideos und Anleitungen bieten anschauliche Informationen für Lehrerinnen und Lehrer, aber auch für Schülerinnen und Schüler, die sich auf der intuitiv gestalteten Webseite leicht zurechtfinden. Als Verband sind wir gefordert, auch online beste Bedingungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Schulen und weiteren Bildungseinrichtungen anzubieten und dabei das digitale Arbeiten zu unterstützen.

PlasticsEurope Deutschland: Sie haben den Relaunch der Kuno-Webseite angesprochen. Können Sie einmal genauer erklären, warum die MINT-Bildung und das Engagement in der Schularbeit für den Verband einen derart hohen Stellenwert einnimmt?

Dr. Ingo Sartorius: Bildung ist unsere wichtigste Ressource. Als rohstoffarmes Land ist Deutschland auf hochqualifizierte Beschäftigte in der Wirtschaft angewiesen. Eine qualifizierte Ausbildung ist Grundlage für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie. Denn den Bedarf an Ingenieuren, Technikern und Entwicklern werden wir nur mit einer umfassenden Bildung decken. Dazu gehört auch die praxisnahe MINT-Bildung. Junge Menschen müssen dazu befähigt werden, unsere Welt mitzugestalten und technologische Fortschritte und Problemlösungen auf den Weg zu bringen. Das setzt voraus, sie schon früh für die Naturwissenschaften zu begeistern – ebenso wie für den Werkstoff Kunststoff, der in vielen Anwendungen ein Treiber für Ressourceneffizienz, Energieeinsparungen und Klimaschutz ist.

PlasticsEurope Deutschland: Eine letzte neugierige Frage: Welches ist denn nun Ihr Lieblingsexperiment aus Kunos coole Kunststoff-Kiste und warum?

Prof. Dr. Lück: Für mich ist es der Superabsorber. In der Flasche befinden sich sandähnliche Kunststoff-Kügelchen, die, mit Wasser beträufelt, plötzlich richtig voluminös werden. Ich habe ihn oft selbst in Fortbildungen eingesetzt, weil dies für die LehrerInnen mehr als unerwartet ist. Sie nehmen an, es gehe um Löslichkeit von Salz oder Zucker und sind völlig überrascht. Oft sage ich gar nicht, was es ist, sondern nehme das Phänomen selbst zum Anlass, darüber nachzudenken, was da passiert ist. Und diese super Aufsaugfähigkeit kommt gut an.

Dr. Ingo Sartorius: Für mich sind es tatsächlich alle Experimente: der Superabsorber, der Slime, die Folien, der Helm und die Kläranlage. Diese Experimente sind so faszinierend und vielseitig wie unsere Kunststoff-Werkstoffe selbst. Unterschiedlichste Kunststofftypen finden Anwendungen in Bereichen wie Verpackungen, Haushalt, Medizin, Bau, Automobil, Elektronik und viele mehr. Jedes für sich erfüllt dort seinen Nutzen für den Anwender und Verbraucher, ebenso wie für die Umwelt – etwa wenn Lebensmittel effizient vor Verderb geschützt werden oder Heizenergie durch Isolierung minimiert wird. All das spiegelt die Technologiebegeisterung der Experimente von Kuno wider. Unser Kuno legt also den Grundstein für zukünftige Generationen.

Herzlichen Dank für das Interview!

 

Kurzbiographien

Prof. Dr. Phil. Gisela LückProf. Dr. phil. Gisela Lück studierte an der Universität Köln Chemie und Philosophie und promovierte 1985 in Philosophie. Von 1986 bis 1995 war sie bei der Henkel KGaA tätig, ab 1990 als Leiterin der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit. Als Mitarbeiterin am Institut für Didaktik der Chemie an der Universität Kiel habilitierte sie sich 1999 mit dem Thema „Naturwissenschaften im frühen Kindesalter“. Von 2000 bis 2002 hatte sie eine Professur an der Universität Essen am Institut für Chemiedidaktik inne. 2002 übernahm Prof. Dr. phil. Lück den Lehrstuhl für Chemiedidaktik an der Universität Bielefeld. Im Jahre 2012 wurde sie für ihre vielfältigen Aktivitäten auf diesem Gebiet mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Ingo Sartorius Geschäftsführer PlasticsEurope Close

Dr. Ingo Sartorius

Dr. Ingo Sartorius studierte Chemie an der Technischen Universität Braunschweig. Im Jahr 1995 promovierte er im Fachgebiet Physikalische Chemie. Seine berufliche Laufbahn startete er anschließend bei der CES Consulting Engineers Salzgitter GmbH. 1996 wechselte er als Referent zum Verband Kunststofferzeugende Industrie e.V. (heute: PlasticsEurope Deutschland e. V.) nach Frankfurt am Main. Seit 2008 leitet er den Geschäftsbereich „Mensch und Umwelt“ und ist Geschäftsführer des Verbandes. Seit Mai 2020 ist er kommissarischer Hauptgeschäftsführer von PlasticsEurope Deutschland.