„Das Umdenken muss jetzt stattfinden“
„Weniger Müll, mehr reparieren, weiterverwenden und recyceln“: Das sind für den Naturschutzbund Deutschland – kurz NABU – die Schlüssel für mehr Umweltschutz durch Kreislaufwirtschaft. Wir haben mit Sascha Roth, Referent für Umweltpolitik beim NABU, über Forderungen an die Kunststoffverpackungsindustrie, die politischen Rahmenbedingungen und das Verbraucherverhalten gesprochen.
Herr Roth, wo sehen Sie die größten Herausforderungen für die Kunststoffverpackungsindustrie?
Wir sind derzeit in einer Debatte, die sich sehr um das Thema Kreislaufwirtschaft dreht. Ich stelle immer wieder fest, dass verschiedene Akteure ganz unterschiedliche Aspekte unter dem Wort Kreislaufwirtschaft verstehen. Für Umweltverbände setzt die Kreislaufwirtschaft an der Ressourcen- bzw. Rohstoffschonung und der Vermeidung von Abfällen an. Uns geht es zuerst um die Vermeidung von Verpackungen und deren Mehrwegnutzung, an zweiter Stelle steht ein recyclingfreundliches Design und das eigentliche Recycling. In der großen Debatte steht jedoch im Zusammenhang mit der Kreislaufwirtschaft oft das Recycling im Mittelpunkt. Das ist selbstverständlich ein wichtiger Aspekt, aber dabei wird vergessen, dass es eine wichtigere Frage gibt, die da lautet: Wie schaffen wir das gleiche Maß an Wohlstand und Schutz – und das möglichst verpackungsarm? Hier gibt es noch große Herausforderungen.
In welchen Bereichen sind Einsparpotenziale möglich?
Bei Transportverpackungen lässt sich das relativ leicht umsetzen. Die Grundlage hierfür sind logistische Systeme, die einen gemeinsamen Mehrwegstandard haben und die in der Lage sind, die Verpackungen vom Konsumenten zurückzuholen. Wenn wir das schaffen, können wir große Einsparungen an Verpackungsmaterial erzielen – gerade im Hinblick auf das starke Wachstum des Online-Handels. Zudem müssen wir aktuelle Trends wieder umkehren, wie die Serviceverpackungen. Insbesondere im Lebensmittelbereich lässt sich eine Menge Verpackungsmaterial reduzieren. Eine NABU-Studie zeigt, dass noch immer zwei Drittel der Lebensmittel bei Obst- und Gemüse vorverpackt sind. Das macht in einigen Fällen zwar Sinn, in anderen aber nicht. Insbesondere die Portionierungen bei Obst und Gemüse sind uns hier ein großer „Dorn im Auge“. Man kann es den Verbrauchern trotz Trend zur Convenience durchaus zumuten, dass sie ihren Salat auch selber schneiden können und dieser nicht zerteilt in der Verpackung eingekauft werden muss.
Glauben Sie, dass der Verbraucher tatsächlich weiß, was das für ihn bedeutet, wenn weniger Verpackung verwendet wird?
Hier gibt es noch Nachholbedarf des Handels, um den Verbrauchern die Wahl für verpackungsarme Produkte und Mehrwegverpackungen zu erleichtern. Im ersten Schritt benötigen wir jedoch auch alternative Angebote für die Verbraucher. Denn haben sie im Discounter nicht die Möglichkeit, in einem Mehrweggebinde einzukaufen – und das darf auch gerne Plastik sein – dann nehmen sie natürlich die Einwegverpackung.
Wir konzentrieren uns viel zu sehr darauf, was die Verbraucher machen sollen. Um den Regenwald zu schützen, sollen sie keine Produkte aus Palmöl kaufen, bei den Lieferketten darauf achten, dass Menschenrechte eingehalten werden und dann sollen sie auch noch berücksichtigen, dass die Verpackung recyclingfreundlich ist. Am besten sollte das Produkt jedoch gar keine Verpackung haben oder diese möglichst viele Rezyklatanteile enthalten. Mit all diesen Anforderungen will sich der Ottonormalverbraucher nicht auseinandersetzen. Wir benötigen vielmehr eine gute rahmenpolitische Gestaltung, damit es für den Verbraucher nur noch darum geht, zwischen einem guten oder schlechten Produkt oder einer guten oder schlechten oder gar keiner Verpackung zu unterscheiden.
Haben wir diese Rahmenbedingungen denn heute schon geschaffen?
Ich glaube, die ersten Schritte sind gemacht. Gerade auf europäischer Ebene gibt es sehr gute Ansätze. Da könnte sich Deutschland auch noch ein Stück von abschneiden.
Welche zum Beispiel?
Im Circular Economy Action Plan gibt es beispielsweise klare Vorgaben hinsichtlich der Verpackungen und ebenso dafür, dass die getrennte Sammlung gesteigert werden muss. Auch hinsichtlich des Rezyklateinsatzes – zum Beispiel bei PET-Flaschen oder einer getrennten Sammlungsquote von PET-Flaschen – existieren konkrete Forderungen. Durch eine gute Logistik bietet sich eine hervorragende Möglichkeit für Mehrwegsysteme, die erhebliche Materialeinsparungen mit sich bringen würde. Der PET-Strom und dessen Recycling ist ein gutes Beispiel für die dritte Abfallhierarchiestufe. Aber ein noch so gutes Recycling löst aus meiner Sicht hier nicht die Frage des Ressourcenschutzes.
Hinsichtlich der Rezyklateinsatzquote begrüße ich sehr, dass wir mittlerweile auf unterschiedlichen Ebenen eine so detaillierte Debatte führen. Das hätten wir uns vor fünf Jahren noch nicht vorstellen können. Als Umweltverbandsvertreter bin ich allerdings mit der Geschwindigkeit unzufrieden. Wir sollten uns Gedanken darüber machen, wie Instrumente aussehen könnten, die den Verpackungskonsum generell schmälern. Hier gibt es großes Potenzial und ich würde mich freuen, wenn die Industrie z.B. die Vorschläge für Einsatzquoten auch auf europäischer Ebene vorstellt und einfordert.
Welche Verantwortung und welche Möglichkeiten sehen Sie bei Handel und Markenherstellern?
Meine Erwartung an diese Gruppe ist sehr hoch. Gerade von Markenherstellern, die bestimmte Emotionen wecken und als Marke gekauft werden, wünsche ich mir mehr Eigenverantwortung. Sie sollten nicht auf die Politik schielen und warten, bis diese es richtet. Wenn ich mich als Markenhersteller auf den Pfad der Kreislaufwirtschaft begebe, dann muss ich dafür auch mehr Geld ausgeben und nicht nur aus Marketinggründen das Recyclingfähnchen hochhalten. Wenn man nämlich gleichzeitig sieht, wie sich Händler auf einmal auf Verbundverpackungen mit Oberflächen aus Papier konzentrieren, die nicht mehr recycelbar sind, dann ist man wirklich auf dem Holzweg. Ich weiß nicht, ob das Agieren auf Unwissen oder bewusster Irreführung basiert. Beides gehört kritisiert.
In der Kommunikation mit großen Discountern und Supermärkten stelle ich immer wieder fest, dass die Bereitschaft für einen wirklichen Wandel noch sehr gering ist. Denn sie halten noch viel zu sehr an alten Lieferanten fest, die noch keine Monomaterialverpackungen verwenden. Hier hat noch kein großes Umdenken stattgefunden. Auch wenn es zwar schön wäre, wenn es bereits gute politische Rahmenbedingungen gäbe, sollten die Markenhersteller darauf jedoch nicht warten. Sie sollten vielmehr recyclingfähige Verpackungen verwenden und sich um den Rezyklateinsatz kümmern.
Ein EcoDesign müsste ja ein Must-Have für ein Unternehmen sein, wird aber noch selten genutzt. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Wir sind alle Gewohnheitstiere. Zudem wird die kleinste Maßnahme immer als bahnbrechender Schritt verkauft. Daher können Kunden nicht mehr einschätzen, was sinnvoll ist oder wobei es nur um Greenwashing geht. Insgesamt sollten Unternehmen weniger auf das Wissen des Kunden vertrauen, sondern beim Marketing auf die guten Lösungen setzen. Dazu ist mehr Mut der Hersteller und der Industrie gefragt.
Die Kunststoffindustrie wurde in den vergangenen Jahren stark gescholten – Stichwort Plastik-Bashing. Sehen Sie als Umweltverband hier eine Chance, die Diskussion mitzugestalten und auch Position für das Material zu ergreifen?
Das machen wir aktuell schon. Die Debatte entstand ja auch nicht aus dem Nichts, sondern ist auf fehlende Entsorgungssysteme in Kombination mit der extremen Langlebigkeit von Kunststoffen zurückzuführen. Sowohl in Debatten in den sozialen Medien als auch in unseren Fachveranstaltungen zum Thema Kunststoffkreisläufe wollen wir zu Vor- und Nachteilen aufklären. Wir arbeiten sehr stark mit Unternehmen zusammen, die für die Entsorgung zuständig sind. Zudem setzen wir uns dafür ein, Verpackungen nachhaltiger zu gestalten. Es geht uns nicht darum, Kunststoffe zu verbieten oder schlecht zu machen, es geht aber darum, deren negative Auswirkungen für Umwelt und Natur zu senken. Hier agieren die Umweltverbände eigentlich relativ neutral.
Glauben Sie, dass wir offen dafür sind, die Diskussion materialunabhängig miteinander zu führen?
Ich glaube, die Wegwerfgesellschaft stört die Menschen zunehmend, das Bewusstsein hierfür wird kontinuierlich größer. Gleichzeitig muss man auch die Ursprünge des Angriffs auf die Plastikindustrie berücksichtigen. Hierfür sind zwei Aspekte verantwortlich: zum einen ist Plastik ein sehr gutes Material, das in sehr vielen Bandbreiten angewandt werden kann. Es hält lange, baut sich aber auch nicht mehr ab, wenn es in die Natur gelangt. Dann wird es zum Problem. Zudem setzt die weltweite Kunststoffindustrie auf eine riesen Expansion – wir sprechen hier von Milliarden von Investitionen in den Ausbau von Anlagen. Das lässt sich nur schwer mit dem Thema Kreislaufwirtschaft in Einklang bringen. Dies ist für mich eine zweigleisige Strategie und diese werden wir auch weiter kritisieren. Alle Beteiligten sollten gemeinsam daran arbeiten, neue Wege zu finden.
Mittlerweile wird an runden Tischen gemeinsam an Verbesserungen gearbeitet. Sehen Sie schon eine gewisse Bewegung der Industrie, die sie begrüßen?
Es gibt mittlerweile einzelne kleine und mittelständische Unternehmen, die es schaffen, Verpackungen aus Monomaterial herzustellen. Wir haben früher immer wieder in Gesprächen – und die sind noch gar nicht so lange her – gehört, dass das technisch nicht machbar sei oder nur, wenn wesentlich mehr Material eingesetzt wird. Und jetzt kommen einzelne Vorreiter und zeigen, dass es doch geht. Diese Leuchttürme müssen vielmehr Strahlkraft auf die gesamte Industrie entwickeln. Gleichzeitig dürfen sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sehr langsam in der Branche vorangeht. Um die europäischen Vorgaben zu erreichen, dass bis 2030 alle Verpackungen recyclingfähig sein sollen, benötigen wir viele „große Wattstrahler“.
Zu den Innovationen gehört auch der Rezyklateinsatz, wie stehen Sie dazu?
Ich bin ein großer Freund der Quote, es kommt aber auf die Ausgestaltung an. Die Circular Plastics Alliance will bis 2025 zehn Millionen Tonnen Recycling-Kunststoff in neuen Produkten verwenden. Bislang wurde das noch nicht erreicht und aufgrund der derzeit niedrigen Ölpreise wird es immer schwieriger. Eine Quote gibt Planungssicherheit – das gilt für alle Akteure am Markt, Trittbrettfahrer können nicht mehr aussteigen. Bei freiwilligen Maßnahmen kann das immer passieren. Dann wird derjenige bestraft, der in umweltfreundliche Technologien investiert, um den Rezyklateinsatz zu tätigen.
Wir müssen es schaffen, das Rezyklat in möglichst hochwertige Anwendungen reinzubekommen. Ich präferiere eine branchen- oder produktspezifische Quote. Verpackungen machen derzeit 40 Prozent des Kunststoffverbrauchs aus, dafür haben wir Produktverantwortung. Hier bietet es sich besonders an, Rezyklate zu nutzen. Dann hätten wir einen großen Umweltgewinn. Aktuell passiert hier allerdings noch zu wenig.
Was macht Ihnen hinsichtlich des Umgangs mit Verpackungen Mut?
Das Verpackungsgesetz wirkt eher mittelbar. Der Diskurs hat sich jedoch gewandelt, viele Akteure wollen investieren, gleichzeitig gibt es viele Hemmschuhe. Der richtige Weg wurde mittlerweile eingeschlagen, wir gehen ihn allerdings noch zu langsam. Der Markt allein wird es nicht richten. Durch gute Rahmenbedingungen kann aber über die gesamte Wertschöpfungskette an wirklich umweltfreundlichen Lösungen gearbeitet werden, die sich dann auch wirtschaftlich lohnen. Teilweise ist die Abwehrhaltung noch zu groß. Ziel muss es sein, in einer vermeidenden Variante Lösungen zu finden, die trotzdem wohlstandsfördernd sind.
Herr Roth, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Sascha Roth ist seit 2013 Referent für Umweltpolitik beim NABU. Er arbeitet zu den Schwerpunkten Kunststoff- und Verpackungsabfälle und begleitet die politischen Prozesse rund um das Thema Kreislaufwirtschaft. Twitter: @sa_roth
Das Gespräch „Im Dialog mit Sascha Roth“ ist Teil einer Interviewserie mit Partnern und Experten aus Handel, Wirtschaft und Politik rund um die Themen Nachhaltigkeit, Kunststoff, Kunststoffverpackungen, Recycling und Kreislaufwirtschaft. Bisher erschienen ist das Interview „Im Dialog mit Daiga-Patricia Kang“ von dm-drogerie markt.
Der Naturschutzbund Deutschland e. V. (NABU) engagiert sich seit 1899 mit überzeugendem Engagement und fachlichem Know-how für Mensch und Natur. Mit mehr als 700.000 Mitgliedern und Förderern ist er der mitgliederstärkste Naturschutz- und Umweltverband in Deutschland. Die Ziele des NABU sind klar definiert: Erhalt der Lebensraum- und Artenvielfalt, Nachhaltigkeit der Land-, Wald- und Wasserwirtschaft und Stärkung des Stellenwertes des Naturschutzes in der Gesellschaft. Darüber hinaus spielen Klimaschutz, nachhaltige Siedlungs- und Verkehrsentwicklung, Ressourcenpolitik, Verbraucherschutz und internationale Projekte eine zentrale Rolle
International setzt der NABU seine geografischen Schwerpunkte in Afrika, Zentralasien und dem Kaukasus. Das inhaltliche Spektrum der internationalen Arbeit verbindet zielführend ökologische und soziale Komponenten und reicht vom Erhalt der Lebensraum- und Artenvielfalt, Ökotourismus und Umweltbildung bis hin zu Capacity Building, Armutsbekämpfung und Stärkung der Zivilgesellschaft.
Im Dialog – Unser Magazin zur Interviewreihe um Kunststoff Recycling Klima- und Umweltschutz.