„Unsere Entscheidungen sollten auf naturwissenschaftlichen und technisch sinnvollen Erkenntnissen basieren“
„Unsere Entscheidungen sollten auf naturwissenschaftlichen und technisch sinnvollen Erkenntnissen basieren“
Mit Filip Raketic von PIZZycle, einem innovativen Start-Up-Unternehmen, starten wir unsere Interviewreihe zum Thema “Mehrwegverpackungen”. Freuen können Sie sich unter anderem auf das in Kürze erscheinende Interview mit Benedikt Kauertz vom ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg gGmbH.
PIZZycle ist die erste wiederverwendbare und verschließbare Pizzaverpackung und ein wichtiger Schritt hin zu einer nachhaltigeren Außer-Haus-Gastronomie. Das Design ermöglicht den bequemen Transport einer Pizza, lässt sich in der Spülmaschine reinigen, mehrere hundert Mal wiederverwenden und ist zudem 100 Prozent recycelbar. Wir haben mit Filip Raketic darüber gesprochen, wie es zur Gründung des Start-ups kam, welche Ziele das Unternehmen verfolgt und welche Leitplanken die Politik in puncto Mehrwegsysteme setzen muss.
Im Dialog mit Filip Raketic, Mitbegründer der PIZZycle GmbH.
PIZZycle ist als Uni-Projekt während der Pandemie gestartet. Nehmen Sie uns mit in die Anfänge. Welcher Gedanke stand hinter der Gründung von PIZZycle?
Meine Mitgründerinnen von PIZZycle, Luise Hornbach und Marlene Bruch, hatten 2020 in ihrem Produktdesignkurs an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach die Aufgabe, mit einem Design auf die aktuellen Ereignisse rund um die Corona-Pandemie zu reagieren.
Sie beschlossen, sich auf die zunehmenden Umweltprobleme zu konzentrieren. Dabei stellten sie fest, dass Parks, Straßen und Mülleimer hier in Frankfurt und Offenbach mit gebrauchten Pizzakartons vollgestopft waren. Sie fragten sich, ob man Pizzakartons nicht mehrwegfähig anbieten könnte? Es gab bereits einige Konzepte einer Mehrweg-Pizza-Box, aber eine einfache und innovative Umsetzung fehlte. So haben die beiden über den Schaffensprozess des Kurses unser Produkt konzipiert und die ersten Prototypen entwickelt.
Ich kannte die beiden und sehe in ihrer Idee großes Potenzial, deshalb habe ich das Projekt gepusht und bin Mitgründer von PIZZycle geworden.
Für Verpackungen in Kontakt mit Lebensmitteln bestehen hohe Auflagen hinsichtlich der eingesetzten Werkstoffe. Mit welchen Vorgaben sahen Sie sich in der Entwicklungsphase Ihres Produkts konfrontiert?
Wir mussten bei der Produktion strenge Anforderungen erfüllen. Zur Lebensmittelkonformität bestehen zwei Verordnungen: die EC1935/2004 und dann spezifisch für Kunststoffgegenstände die 10-2011. Als Jurist muss ich sagen, dass das intransparent und sehr komplex umgesetzt ist. Insbesondere die Frage nach der tatsächlichen durchzuführenden Migrationsprüfung und nach Herstellerdokumentationen sind nicht eindeutig, es fehlt die Einheitlichkeit.
Das war für uns zu Beginn aber keine große Hürde. Denn wir haben eng mit der Lebensmittelschutzbehörde in Offenbach zusammengearbeitet, uns abgesichert und auch Tests vorgenommen. Dennoch ist das Konformitätsthema auch heute noch eine Herausforderung. Wir waren von Beginn an sehr international ausgerichtet, denn wir hatten viele Anfragen aus anderen Ländern in Europa. Zudem war auch Nordamerika ein Thema für uns. Dort gilt die Food and Drug Administration (FDA) – und die ist transparenter, zumindest in der Umsetzung.
EC1935/2004-Verordnung über Materialien, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen
Die EC1935/2004-Verordnung über Materialien, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen (Food Contact Materials – FCM) wurde 2004 zum Schutz der Lebensmittelsicherheit europaweit eingeführt.
Innerhalb der Europäischen Union gilt die Verordnung 10/2011/EU über Materialien und Gegenstände aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen.
Die Food and Drug Administration (FDA) ist eine US-amerikanische Behörde, die für die Zulassung und Marktüberwachung von Lebensmitteln, Medikamenten und Medizinprodukten verantwortlich ist.
Sind die Verbraucher bereit für Mehrweglösungen?
Hier spielen zwei Faktoren eine große Rolle. Zum einen ist die Bereitschaft stark abhängig vom Produkt. Handelt es sich um einen Becher, eine Bowle oder eine Schale? Wie groß oder praktisch ist die Form, welcher Mehraufwand ist damit verbunden?
Außerdem kommt es auch auf die Kommunikation der Gastronomen an. Viele Gastronomen wissen noch nicht, dass eine nachhaltigere Alternative zum herkömmlichen Pizzakarton existiert. Das Potenzial lässt sich ausbauen, wenn man von dem reinen Umweltgedanken weggeht und das Ganze mit etwas Charme verbindet. Das ist alles eine spannende Sache, etwas Neues.
Da, wo auf das PIZZycle-Angebot hingewiesen und der Spaßfaktor in den Vordergrund gestellt wird, besteht bei Konsumenten durchaus Interesse, unser Produkt auszuprobieren.
Gibt es aus Ihrer Sicht grundlegende Unterschiede beim Thema Mehrweg, etwa in Bezug auf die Art der Lebensmittel – Getränke vs. Essen?
Zahlentechnisch ist belegt, dass die Becher viel etablierter sind. Der Großteil der Mehrweglösungen auf dem Markt sind Becher.
Ein wichtiger Punkt ist zudem die Qualität des Essens. Viele Gastromomen identifizieren sich damit und achten deshalb auch bei der Lebensmittelverpackung auf eine sehr hohe Qualität. Pizzaiolo beziehungsweise Pizzabäcker sind etwa sehr sensibel in puncto Knusprigkeit. Deshalb ist hier viel mehr Überzeugungsarbeit notwendig als bei einem Kaffeebecher.
Wie schätzen Sie das Thema Mehrwegverpackungen in Europa generell ein? Gibt es Unterschiede zum deutschen Markt?
Es gibt durchaus große Unterschiede. Deutschland scheint mir beim Thema Mehrweg klar die Nummer eins, dicht gefolgt von Frankreich. Dort ist Mehrweg kulturell bereits ein größeres Thema, aber eher im Glasbereich, denn die Franzosen holen ihr Essen öfter mit Einmachgläsern ab. Abgeschlagener und gleichauf mit Italien, Spanien und Portugal ist Skandinavien.
Wie ist das Interesse im Ausland an PIZZycle? Wo haben Sie Ihre größte Käuferschicht?
Sowohl der englischsprachige Raum, und dort besonders Großbritannien, als auch der französischsprachige Raum sind sehr interessiert an unserem Produkt. Das sind für uns große Märkte.
Pizzaiolo haben sehr hohe Qualitätsansprüche, wie bereits erwähnt. Wir sind die einzigen, die eine Verpackung in der Qualität anbieten, die ihren Ansprüchen gerecht wird.
Ihr Produkt ist mehrere hundert Male wiederverwendbar und nach der Nutzungsphase recycelbar. Allerdings existieren bei Verpackungen für Lebensmittel oft noch keine geeigneten Rezyklate am Markt. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?
Ich bin in diesem Punkt desillusioniert. Der Gesetzgeber muss in Umweltbereichen Vorgaben machen und umsetzen. Denn einfach so wird sich das nicht aus dem freien marktwirtschaftlichen Gedanken heraus regeln. Es stellt sich jedoch immer die Frage: Wie spezifisch sollen die Vorgaben sein und wie umsetzbar sind sie?
Hätte es beispielsweise eine Vorgabe für einen bestimmten Rezyklatanteil an unserem Produkt gegeben, dann hätte das für uns folgende Konsequenz gehabt: Wir hätten auf sehr, sehr teure oder nicht verfügbare Rezyklate zurückgreifen müssen. Denn recyceltes Polypropylen zu bekommen, ist fast unmöglich. Unser Produkt wäre dann deutlich teurer.
Das Problem ist auch, dass große etablierte Kunststoffhersteller ein Material für verschiedenste Produkte kaufen. Das heißt, sie können große Mengen bestellen und überall verwenden. Mit ihnen müssten wir für einen Anwendungsfall – unserer Pizza-Box – konkurrieren.
Preislich könnten wir dann noch eher ausgestochen werden, als dies theoretisch jetzt schon passieren könnte, weil wir einfach geringere Volumen einkaufen. Bei einem höheren Rezyklatanteil würde sich das noch intensivieren. Das würde es uns deutlich schwerer machen.
Laut dem Entwurf der EU-Verpackungsverordnung müssen ab 2030 alle Kunststoffverpackungen aber einen Mindestanteil an Post-Consumer-Rezyklaten aufweisen.
Ja, und der Schritt ist der richtige. Letztendlich müssen wir unsere Produkte nachhaltiger und ökologisch sinnvoller herstellen, auch wenn es weh tut. Langfristig kann es nicht sein, dass wir nur auf neuen Kunststoff zurückgreifen und sagen, dass es uns egal ist, was anschließend mit dem Kunststoff passiert.
Ich sehe den Kreislaufgedanken als sehr, sehr wichtig an. Gleichzeitig müssen wir jedoch verstehen, wann ein Rezyklat sinnvoll und welcher Anwendungsfall im Recyclingverfahren sinnvoll ist.
Das heißt, sowohl der Gesetzgeber als auch die Industrie müssen technische, naturwissenschaftliche Zahlen für sich sprechen lassen. Es ist sehr wichtig, dass Transparenz herrscht. Sonst rennen wir alle los und machen etwas, das eigentlich ökologisch weniger sinnvoll ist als die Alternative.
Es gibt sehr viele Lebensmittelzyklusanalysen. Wir haben in Dänemark eine solche Analyse für unser Produkt machen lassen im Austausch mit einer Universität. Dabei wurden die eingesetzten Ressourcen und die Emissionen entlang des Lebenszyklus verglichen. Hier gilt: Ein PIZZycle ist so Ressourcenintensiv wie 10,8 Pizzaboxen aus Wellpappe. Darüber hinaus ist ein PIZZycle mindestens 400 bis 500 mal nutzbar. Das heißt, nach den ersten 10,8 Nutzungen lassen sich weitere 390 bis 490 Papierkartons einsparen.
Welche Schritte sind Ihrer Meinung nach im Hinblick auf Kreislaufwirtschaft noch notwendig?
Wir benötigen in erster Linie diesen Dreiklang aus Politik, Industrie und Verbraucher. Wenn wir Entscheidungen treffen, sollten diese möglichst auf naturwissenschaftlichen und technisch sinnvollen Erkenntnissen basieren, die auch ökologisch vertretbar sind.
Die Industrie ist in der Pflicht, transparent zu kommunizieren und Verbrauchern sinnvolle Alternativen an die Hand zu geben. Wir müssen hier eine starke leitgebende Rolle einnehmen – das Businessmodell muss mit dem ökonomischen Vorteil übereinstimmen. Hier wünsche ich mir noch mehr Dialog, auch gegenüber den sinnvollen Verhaltensalternativen.
Wenn Sie für PIZZycle ganz spontan ein Zielbild 2040 entwerfen müssten – wie könnte das aussehen?
Unser Ziel ist eine vernünftige Alternative zum Einweg-Pizzakarton, die Spaß macht und sich auch durchsetzt. Mehrweg und Ökologie spielen für uns selbstverständlich auch eine Rolle. Das ist jedoch nicht Kern unseres Geschäftes, sondern ein Nebeneffekt, weil PIZZycle sowieso aus einem ökologischen Gedanken heraus entstanden ist. Ich würde mir wünschen, dass sich bis 2040 tatsächlich Produkte etabliert hätten und wir langfristige Vorteile erleben: weniger Einweg-Abfall in unserem System.
Vielen Dank für das interessante Gespräch.
PIZZycle ist die erste wiederverwendbare und verschließbare Pizzaverpackung aus Polypropylen. Sie ist damit ein wichtiger Schritt hin zu einer nachhaltigeren Lebensmittelverpackungsindustrie. PIZZycle besteht aus zwei identischen, runden Schalen, der Form einer Pizza nachempfunden. Das Design ermöglicht den einfachen Transport, die Reinigung in der Spülmaschine und das platzsparende Verstauen. Durch das strapazierfähige, kratz- und hitze- beständige Material lässt sich PIZZycle mehrere hundert Male verwendet werden und ist zudem zu 100% recyclebar. PIZZycle ist passend für jede Pizza bis 33 cm Durchmesser, wird in Deutschland hergestellt und ist in vier Farben erhältlich.
Über Filip Raketic
Filip Raketic (29) arbeitet als Mitbegründer der PIZZycle GmbH daran, die erste wiederverwendbare und verschließbare Pizzaschachtel auf dem Markt zu etablieren. PIZZycle hilft dabei, die Lebensmittelverpackungsindustrie nachhaltiger zu gestalten. Nach seinem Abitur studierte Raketic Rechtswissenschaften an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, mit Schwerpunkt auf Öffentlichem Recht. Nach seinem ersten Staatsexamen machte er einen Abschluss in „Global Sustainability Science“ (M.Sc.) im Double-Degree-Programm an der Arizona State University und der Leuphana Universität Lüneburg.
Über PIZZycle GmbH
Pizzakartons sind in Deutschland mit rund 50.000 Tonnen Abfall jährlich gewichtsmäßig die größte Quelle von To-Go-Abfällen. Aufgrund der Essensrückstände bzw. der im Papier gebundenen Fette lassen sich die Pizzakartons ausschließlich im Restmüll entsorgen. Das Start-up PIZZycle GmbH hat das Ziel, Pizza-Take-away nachhaltiger und umweltfreundlicher zu machen. PIZZycle wurde im Frühjahr 2022 von den Design-Studentinnen Luise Hornbach und Marlene Bruch sowie dem Juristen Filip Raketic gegründet.