„Mehrweg ist in der Logistik besonders sinnvoll“
„Mehrweg ist in der Logistik besonders sinnvoll“
Industrie, Handel und GS1 haben gemeinsam mit der GS1 SMART-Box einen innovativen, standardisierten und wiederverwendbaren Mehrwegstandard für Handel und Industrie entwickelt. An dem Projekt sind viele Unternehmen beteiligt, unter anderem auch die Drogeriemarktkette dm.
Wir haben mit Dagmar Glatz, die bei dm für nachhaltige Verpackungen verantwortlich ist, unter anderem über Einsparpotenziale durch diese Transportbox gesprochen, aber auch über Stolpersteine von Mehrwegsystemen.
Im Dialog mit Dagmar Glatz, bei dm verantwortlich für nachhaltige Verpackungen.
Frau Glatz, was ist das Besondere an diesem Projekt?
Allen Teilnehmern war bewusst, dass es im Transportverpackungsbereich große und aus ökologischen Gesichtspunkten sinnvolle Materialeinsparungsmöglichkeiten gibt. Das war der Beweggrund, das Projekt aufzusetzen. dm war neben einer Reihe weiterer Partner einer der Impulsgeber. Gesteuert wurde es von GS1.
Bei der Entwicklung wurde ein besonderes Augenmerk auf die Bedürfnisse der unterschiedlichen Partner gelegt. Nur so kann das Ganze auch funktionieren. Dennoch erleben wir eine recht holprige Anlaufphase.
Worauf führen Sie diese Stolpersteine zurück?
Wir bekommen das Feedback, dass Produktionslinien – auch arbeitsplatztechnisch – relativ eng geplant sind. Die Entwicklung der Transportbox hat zwar über einen langen Zeitraum stattgefunden, der aber offenbar noch nicht lange genug ist. Eine umfassende Kommunikation in alle Unternehmensbereiche ist für solche Projekte unumgänglich.
Die Produktionslinien sind auf Kartonagen zugeschnitten. Um nun ein zweites System einzuführen, ist der entsprechende Platz notwendig und auch Modifikationen an den Maschinen. Das erfordert hohe Investitionen.
Hinzu kommt, dass die Transportbox in der Entwicklungsphase etwas teurer als die Kartonagenverpackung ist. Das sind alles Hemmschuhe. Man muss hier aber ganz klar sagen: Es geht um Investitionen, die Unternehmen ganz bewusst in die Zukunft tätigen.
Bei wie vielen Produkten setzt dm die SMART-Box bereits ein: Wie hoch ist das Einsparpotenzial im Vergleich zu ursprünglichen Verpackungsmaterialien?
Das Einsparpotenzial wurde vom IFEU-Institut genau berechnet. Danach verursacht die Mehrweg-Transportverpackung durchschnittlich bis zu 35 Prozent weniger CO2-Emissionen als Einweglösungen aus Karton.
dm setzt die Transportbox aktuell bei acht Partnern ein. Und zwar bei Produkten, die alle händisch abgepackt werden und bei denen die Stückzahlen nicht so hoch sind. Das bietet Unternehmen eine gute Möglichkeit, das System kennenzulernen. Sie erleben, dass die SMART-Box nicht nur ein Tool ist, um den Handel zu beliefern, sondern auch die Vorproduktionskette. Wenn Unternehmen diese Vorteile sehen, werden sie die Smart Box auch verstärkt nutzen.
Das klingt, als gäbe es durchaus Vorbehalte. Stellen Sie fest, dass die Branche Mehrweg gegenüber aufgeschlossener wird?
Meiner Beobachtung nach haben mehr und mehr Marktteilnehmer die großen Potentiale der Materialeinsparung und CO2 Emissionsreduktion durch Mehrweg im Logistikbereich erkannt. Sie sind viel einfacher abzuschöpfen als im Produktverpackungsbereich.
Viele Unternehmen prüfen Einsetzungsmöglichkeiten der SMART-Box, auch wenn die vorhandenen Industrieanlagen einen Hemmschuh darstellen.
Aktuell gibt es nur eine Größe der SMART-Box, künftig soll es sechs verschiedene geben. Das hilft der awareness bestimmt.
Eine große Rolle spielt auch das Thema Mehrweg versus Leerraumverhältnis. Die Kartonage hat den Vorteil, dass sie sehr gut an die Produktgröße anpassbar ist. Denn es gibt Shampoo-Flaschen in ganz unterschiedlichen Höhen. Hier stellen wir uns bewusst die Frage, ob in diesem Bereich nicht auch eine Standardisierung notwendig ist.
Welche Herausforderungen bestehen grundsätzlich beim Thema nachhaltige Logistikprozesse und welche Entwicklungen zeichnen sich ab?
Künftig müssen wir viel dokumentieren und nachweisen, dass wir Mehrweg einhalten, dass Logistikverpackungen recyclingfähig sind und auch Rezyklatanteile enthalten. In diesem Bereich gibt es einen großen Datenbedarf.
Das haben wir erkannt und bearbeiten nun das Thema mit unseren Partnern im Forum Rezyklat im Fachpaket Digitalisierung.
Genau wie bei den Produktverpackungen – wo wir es schon geschafft haben – wird auch zukünftig bei Logistikverpackungen ihre Kreislauffähigkeit nachzuweisen sein. Für Produktverpackungen gibt es die Möglichkeit, den Rezyklatanteil und ihre Recyclingfähigkeit nach dem dt. Mindeststandard im GDSN zu hinterlegen. So kann der Produkthersteller diese zwei Attribute direkt aus dem Handel kommunizieren und der sie wiederum anderen Stakeholdern wie auch unseren Kunden zugänglich machen.
Zur Erleichterung der Datenpflege haben wir für unsere Industrie- und Herstellerpartner vor Kurzem einen Leitfaden zur Recyclingfähigkeit von Produktverpackungen veröffentlicht: Leitfaden zur Recyclingfähigkeit von Produkten veröffentlicht. Für Logistikverpackungen werden perspektivisch weitere Attribute notwendig sein. So wird das Leerraumvolumen in den Fokus rücken. Eine Berechnungsformel muss dafür noch entwickelt werden.
Neben diesen Forderungen und Dokumentationspflichten haben wir die große Herausforderung, dass Mehrweg in allen Bereichen etabliert werden soll, auch an Stellen wo wir erst noch Lösungen finden müssen.
Forum Rezyklat: Fachpaket Digitalisierung
Ziel dieses Fachpakets ist es, das Stammdatenmanagement zu erleichtern. Dazu wird national wie auch international eine einheitliche, automatisiert verarbeitbare Datengrundlage für nachhaltigkeitsrelevante Verpackungsinformationen geschaffen. Hierbei stehen inhaltliche Definitionen und Beschreibungen, die Schaffung der technischen Möglichkeiten sowie die Verbreitung der Informationen zu den Stammdaten-Attributen im Fokus.
Im dm-Regal finden sich größtenteils Kunststoffverpackungen wieder. Auch wenn sie oftmals die bessere Ökobilanz haben, stößt dies auf Kritik seitens der Kund:innen. Wie gehen Sie damit um?
Grundsätzlich sind wir der Überzeugung, dass wir das Richtige tun, wenn wir uns für die Verpackung mit der besten Ökobilanz entscheiden. Daraus leiten wir die Aufgabe ab, unsere Kunden umfassend an verschiedenen Stellen aufzuklären z.B.: in Kommunikationskampagnen. So haben wir ein Erklärvideo zu Mythen und Verpackungen erstellt. Nur wenn wir langfristig und wiederholt mit unseren Kunden in den Dialog treten, gelingt es uns, den Kunden für nachhaltigere Produkte und Verpackungsalternativen zu sensibilisieren.
Wie ist Ihre Meinung zum Thema ‘Rezyklatforderungen für Lebensmittelverpackungen’?
Rezyklatforderungen jeglicher Höhe für Lebensmittelverpackungen sind sehr ambitioniert. Erste Lösungswege für den Einsatz von Rezyklat aus dem mechanischen Recycling werden gerade mal beleuchtet. Während die Chemische Industrie einen einfachen Weg präsentiert, nämlich über die hochenergetische Pyrolyse. Der hohe Energeibedarf führt aber letztendlich dazu, dass sie keine Vorteile im Vergleich zu VirginMaterial bei Verpackungsmaterialien mit sich bringt. Lösungsmittelbasiertes Recycling könnte ein vielversprechender Ansatz sein, aber auch hierzu sind noch nicht alle Fragen beantwortet und ein scaleup für die benötigten Polyolefine, vor allem PP, ist noch nicht greifbar.
Gerade in der Diskussion um die Nachhaltigkeit von Kunststoffverpackungen existiert in der Öffentlichkeit eine große Diskrepanz. Was wäre für Sie ein entscheidender Hebel, um hier besser durchzudringen?
Kunststoff in unserer Natur bewegt uns alle. Bei der Maßnahmenergreifung gegen dieses Problem möchten wir empfehlen, klar zu differenzieren. In Deutschland und in Europa haben wir Verpackungssammelsysteme und der Aufbau der Recyclinginfrastruktur wird in Europa aktuell stark gefördert. Global gesehen haben wir noch große Herausforderungen.
Diese differenzierte Betrachtung wünschen wir uns auch von der Politik, zum Beispiel im Dialog rund um die Einkaufstragetaschen. Diverse Studien zeigen, dass die Plastiktragetasche nachhaltiger ist als die Papiertüte. Dennoch hält sich der Mythos, dass Plastik per se schlecht ist, in der breiten Öffentlichkeit. Ein kontinuierlicher Dialog mit unseren Politiker:innen kann uns sicherlich helfen, das erarbeitete Wissen weiterzutragen, denn das Thema sollte auf keinen Fall auf den Verbraucher abgewälzt werden.
Dass die Kreislaufwirtschaft auch bei Kunststoffverpackungen funktionieren kann, beweist letztendlich die Rezyklat-Einsatzquote. Bei den Verpackungen unserer dm-Marken lag sie Ende 2022 schon bei mehr als 40 Prozent.
Wie begleiten Sie grundsätzlich das Thema nachhaltige Verpackung, Ein- und Mehrweg sowie Kreislaufwirtschaft in der Kommunikation mit Ihren Kund:innen?
Wir setzen auf eine kontinuierliche Kommunikation, die wir auch über Kampagnen aufgreifen. Gemeinsam mit anderen Händlern, die ebenfalls Mitglied im Forum Rezyklat sind, versuchen wir das Thema zu treiben, damit es eine größere Strahlkraft bekommt.
Wir kommunizieren über verschiedene Kanäle. Angefangen von unserer Kundenzeitschrift Alverde bis hin zu Social Media. Die größte Kommunikationsfläche sind jedoch unsere Produkte selbst, wo wir vor allem Rezyklatanteile hervorheben und auch über die Recyclingfähigkeit sprechen.
Das geht natürlich einher mit einigen Herausforderungen. Denn wir bemessen die Recyclingfähigkeit unsere Verpackungen nach dem deutschen Mindeststandard, liefern unsere Markenprodukte aber in alle EU-Länder aus. Dort müsste die Recyclingfähigkeit nach anderen Standards betrachtet werden. Deshalb sind wir an dieser Stelle noch sehr zurückhaltend. Wir brauchen dringend einen europäischen Standard.
Gibt es ein Leuchtturmprojekt bei Ihren Eigenmarken hinsichtlich einer besonders kreislauffähigen Verpackung?
Der Begriff Leuchtturmprojekt passt schon gar nicht mehr wirklich. Wir arbeiten bereits sehr lange bei der Optimierung unserer Produktverpackungen daran. Zum einen haben wir sie in den letzten Jahren kontinuierlich reduziert und zum anderen die Recyclingmarterialanteile kontinuiertlich erhöht. Der deutsche Mindeststandard hilft uns sehr als Richtlinie zum recyclingfähigen Design.
Die Flasche für unsere Duschgele, Shampoos und Körperlotions unserer dm-Marke alverde zeigt diese Aspekte sehr schön auf.
Bei dm prüfen wir alle Verpackungen auf ihre Recyclingfähigkeit. Diese ist dann gegeben, wenn die Verpackung zu über 90 Prozent recyclingfähig ist. Bei Kunststoffverpackungen haben wir – gerade im Flaschenbereich – eine Menge Verpackungen, die dem bereits entsprechen.
Sind Einzelhandel und Kund:innen grundsätzlich bereit für das Thema Mehrweg?
Mehrweg ist aus ökologischer Sicht besonders im Logistikbereich sinnvoll. Bei Produktverpackungen kann es Sinn machen, Einweggläser durch Mehrweggläser zu ersetzen. Aber auch hier gibt es den einen oder anderen Hemmschuh. So scheint das Pfand auf Mehrwegglas zu gering zu sein, als dass es ausreicht um die Mehrweggetränkeflaschenpools wirtschaftlich betreiben zu können.
Aktuell tun sich gerade spannende Optionen auf, wie das Startup Circujar, das kleine Mehrweggläser anbietet. Sie zeigen einen neuen Ansatz – weg vom Pfand hin zu Nutzungsgebühren.
Welche Wünsche haben Sie an die eigene Branche?
Wir nehmen wahr, dass die Unternehmen hier sehr unterschiedlich agieren. Die einen machen jetzt schon Verpackungen reyclingfähig und die anderen warten auf einen politisch engeren Rahmen. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, denn die Recyclingfähigkeit geht zum größten Teil nicht mit einer Preiserhöhung einher. Das ist der Unterschied zum Rezyklateinsatz. Der Einsatz von Rezyklat ist für uns in der Tat eine größere Investition. Deswegen wäre es wünschenswert, dass viel mehr Unternehmen schon jetzt agieren und ihre Verpackungen recyclingfähig machen.
Wir möchten auch empfehlen, den Rezyklateinsatz und die Recyclingfähigkeit in Produktverpackungen zu belohnen. Egal ob über die Lizenzierung oder über andere Systematiken.
Wichtig ist, dass wir bei all dem Bemühen auch an den Klein- und Mittelstand denken. Denn nur alle gemeinsam können wir
den Kreislauf in Schwung bringen. Jedem sollte klar sein: Was wir in Verkehr bringen, muss auch maximal recyclingfähig sein. Sonst können die Recyclingsysteme kein hochwertiges Rezyklat herstellen.
Vielen Dank für das interessante Gespräch, Frau Glatz.
Über unsere Interviewpartnerin
Dagmar Glatz verantwortet den Bereich nachhaltige Verpackungen bei dm-drogerie markt GmbH + Co. KG und engagiert sich für die dm-Initiative ‚Forum Rezyklat‘.
Bestmöglicher Produktschutz steht neben Ressourcenschonung an oberster Stelle bei der Entwicklung der Verpackungen von dm-Marken-Produkten. Dagmar Glatz aus dem Resort Produktmanagement/Nachhaltigkeit prüft innovative Materialien auf ihre gesamtökologischen Aspekte, bevor sie in Verpackungen für die dm-Marken-Produkte eingesetzt werden. Damit die Verpackungen kreislauffähig sind, berät sie die dm-Marken-Teams und die Herstellerpartner bei der Verpackungsauslegung hinsichtlich der Recyclingfähigkeit und entwickelt die dm-Marken Verpackungsstrategie weiter. Darüber hinaus engagiert sie sich in verschiedenen Initiativen für die weitere Entwicklungen für nachhaltigere Verpackungen.
Ihren Abschluss in Kunststofftechnik hat sie an der Montanuniversität Leoben gemacht und mittlerweile mehr als 15 Jahre Erfahrung in der Kunststoffindustrie gesammelt. Direkt nach ihrem Studium war sie in der Verfahrenstechnik und später über 8 Jahre in der Forschung- und Entwicklung bei einem Maschinenbauunternehmen für Kabelextrusion tätig. Anschließend hatte sie einige Jahre eine leitende Rolle in der Pharma- und Automobilindustrie inne, bevor sie Mitte 2019 ihre Tätigkeit bei dm-drogerie markt aufgenommen hat.
Über dm-drogerie markt
Bei dm-drogerie markt arbeiten europaweit mehr als 71.600 Menschen in über 3.900 Märkten. In den derzeit 14 europäischen Ländern konnte dm im Geschäftsjahr 2021/2022 einen Umsatz von 13,6 Milliarden Euro erreichen. Die mehr als 46.300 dm-Mitarbeiter in Deutschland erwirtschafteten in diesem Zeitraum einen Umsatz von 9,9 Milliarden Euro.
dm wurde zudem von Kund:innen zum besten Drogeriemarkt und beliebtesten der untersuchten Einzelhändler beim „Kundenmonitor 2022“ gewählt. dm arbeitet stetig daran, Prozesse innerhalb des Unternehmens zu verbessern und seiner Verantwortung für nachhaltige Entwicklung gerecht zu werden. Einen Einblick in die vielfältigen Nachhaltigkeitsaktivitäten in den unterschiedlichen Bereichen erhalten Sie in unserem „Bericht zur Zukunftsfähigkeit“.