Die Digitalisierung der Kunststoff-Kreislaufwirtschaft steht noch am Anfang. Es sind Pioniere wie das Hamburger Start-Up cirplus, die dem Thema jetzt Fahrt verleihen. Auf der Digitalplattform können sich Recyclingunternehmen und Kunststoffverarbeiter vernetzen und recycelte Kunststoffe handeln. Der Newsroom Kunststoffverpackungen sprach mit Christian Schiller, dem Gründer und Geschäftsführer.
Die Recyclingquote von Kunststoffen ist nicht nur eine Frage der Produktion und Technologien, sondern auch des Handels
Herr Schiller, die Kunststoffverpackungsindustrie hat sich mit Ihrer aktuellen Selbstverpflichtung zum Ziel gesetzt bis 2025 eine Recyclingquote von 90 Prozent zu erzielen. Was leistet Ihre Digitalplattform und wo sehen Sie Anknüpfungspunkte zur aktuellen Diskussion um das Thema Kunststoffe?
Auf unserer Digitalplattform cirplus können sich Kunststoffverarbeiter und Recyclingunternehmen miteinander vernetzen und recycelte Kunststoffe handeln. Die Plattform stellt den Nutzern verschiedene Auswahlparameter zur Verfügung. Recycelte Kunststoffe können so in der benötigten Menge und Spezifikation individuell angeboten bzw. abgefragt werden kann.
Damit sind wir Vorreiter und wollen durch unsere Plattform einen wichtigen Lösungsbeitrag für die aktuelle Debatte leisten. Denn das Anfang 2019 in Kraft getretene Verpackungsgesetz schreibt für Kunststoffabfälle eine Recyclingquote von zukünftig 58,5 Prozent bzw. 63 Prozent vor und auch die Plastikstrategie der EU hat anspruchsvollere Vorgabe formuliert. Mit unserem globalen Marktplatz liefern wir hierfür die passende Antwort. Denn wir stärken Angebot und Nachfrage und schaffen somit einen echten Markt für Rezyklate, vergleichbar zum Virgingeschäft.
Nicht der Kunststoff ist das Problem, sondern der Umgang mit diesem wichtigen Werkstoff
Das klingt nach einer Punktlandung. Gab es für Ihre Idee eine bestimmte Initialzündung?
Ja, in der Tat! Im letzten Jahr bin ich von Kolumbien nach Panama gesegelt. Am zweiten Tag auf offener See – ich hatte meine Beine zur Abkühlung am Heck unseres Bootes im Wasser – traf mich plötzlich etwas Hartes. Als Wassersportler denkt man zunächst an einen Hai oder ähnliches. Ich stand blitzschnell auf, dreht mich um… und blickte in einen Teppich aus Algen und Plastik, der sich kilometerweit erstreckte, in etwa 30 Meter breit. Hier wurde mir zum ersten Mal am eigen Leib bewusst, welch dramatische Ausmaße die Verschmutzung der Weltmeere mittlerweile erreicht hat, dem wir uns nicht verschließen dürfen und das uns alle angeht.
Dabei ist nicht der Kunststoff das Problem, sondern dessen Ablagerung in der Umwelt. Der Kunststoff selbst ist ein wichtiger Werkstoff, der das menschliche Leben ganz überwiegend verbessert hat. Nur unser Umgang damit muss sich ändern. Er darf nicht mehr massenweise in die Ozeane und Umwelt gelangen! Genau hier wollte ich ansetzen. Denn gerade in den Industriestaaten müssen nachhaltige Lösungen gesucht und vorangetrieben, um anderen Ländern als Vorbild zu dienen. Wenn die Nachfrage nach Rezyklate weltweit in Schwung kommt, wer wird dann dessen wertvollen Ausgangsstoff, die Plastikabfälle, noch in die Umwelt abladen?
Wie geht es mit der Digitalplattform weiter?
Von April bis Juni haben wir einem ersten Prototypen getestet, jetzt zum Juli haben wir die Pilotphase gelauncht. Ab sofort entwickeln wir die Plattform gemeinsam mit interessierten Unternehmen aus der gesamten Kette der Kunststoffverarbeitung und des Recyclings. Es freut mich insbesondere, dass bereits zum Start des Pilotprogramms fünf Unternehmen aus insgesamt drei EU-Ländern teilnehmen. Denn so global das Problem ist, so global muss auch die Lösung ausfallen. Alle Unternehmen, die bei der Digitalisierung der Kunststoffbranche eine Vorreiterrolle einnehmen wollen, sind herzlich eingeladen am Pilotprogramm teilzunehmen und die Plattform auf Ihre konkreten Bedürfnisse abzustimmen.
Unsere Mission ist es dabei, den Einkauf und Vertrieb von recycelten Kunststoffen so einfach und bequem wie das Online-Shopping zu gestalten. Mit der Digitalisierung des Produktzyklus von Kunststoff machen wir einen Riesenschritt auf dem Weg zu 100% Circular Plastics. Das wird herausfordernd, aber 50 Jahre nach der Mondlandung muss es für uns als Konsumenten, Wirtschaft und Politik nun wieder heißen: Lasst es uns anpacken, nicht weil es leicht ist, sondern gerade weil es kompliziert ist!
Christian Schiller – Kurzvita:
- Geboren 1984 in Berlin-Reinickendorf (34 Jahre).
- Studium der Internationalen Wirtschaftsbeziehungen und Völkerrecht in Freiburg, Dresden, Nizza (Frankreich) und Boston (USA)
- Alumni Studienstiftung des Deutschen Volkes; Fulbright; Carlo-Schmid-Programm-Fellow
- April 2013 – Mai 2017: Aufbau des deutschen Standorts der heute größten Mitfahrplattform der Welt mit mehr als 70 Millionen Nutzern: BlaBlaCar
- zuvor u.a. Vorstandsassistent General Counsel bei Baker Hughes (Houston, USA)