Kommentar von Dr. Martin Engelmann, Hauptgeschäftsführer IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen
Italien hat sie bereits beschlossen. Und jetzt will auch die EU eine einführen. Diese Woche muss der EU-Rat entscheiden, ob die EU eine eigene Einkommensquelle in Form einer “Plastiksteuer” erhalten soll. Würde eine solche Abgabe helfen, die ehrgeizigen Ziele der Kreislaufwirtschaft zu erreichen? Dieser Kommentar wirft einen Blick auf die – bisher weitgehend ignorierten – Folgen einer solchen Steuer.
- Fehlende Zweckbindung entzieht der Transformation zur Kreislaufwirtshaft dringend benötigte Investitionsmittel und schadet damit dem Umwelt- und Klimaschutz
- Länder mit schwach ausgeprägter Recycling-infrastruktur werden besonders belastet und können den Strukturwandel nicht mitgehen
Am 14. Februar stellte der EU-Ratspräsident Charles Michel den EU-Mitgliedstaaten seinen Vorschlag zum EU-Haushalt für den Zeitraum 2021 und 2027 vor. Der Vorschlag enthält auf seiner allerletzten Seite die umstrittene “Plastics Tax”. Unter Punkt 139 wird “ein Korb mit neuen Eigenmitteln” vorgeschlagen: Der Korb enthält bisher zwei Positionen: Einnahmen aus dem ETS-System sowie
“ein nationaler Beitrag, der auf das Gewicht der nicht-recycelter Kunststoffverpackungsabfälle berechnet wird, mit einem Abrufsatz von 0,80 EUR pro Kilogramm, mit einem Mechanismus zur Vermeidung übermäßig regressiver Auswirkungen auf die nationalen Beiträge“.
Die Brexit-Lücke mit Plastiksteuer schließen
Ursprünglich war es der ehemalige EU-Kommissar für Haushalt, Günther Oettinger, der Anfang 2018 die Idee hatte, wie die Brexit-Lücke im Haushalt geschlossen werden könnte: Indem man Kunststoffabfälle in Gold verwandelt!
Die Kommission schlug eine Abgabe auf nicht-recycelte Kunststoffverpackungsabfälle vor, wobei die Einnahmen direkt in ihren Haushalt (so genannte “Eigenmittel”) fließen und nicht an die Mitgliedstaaten, die sie einziehen. Es war die Zeit der Kunststoffstrategie der EU, und die Kommission suchte fieberhaft nach Projekten, um angesichts der schrecklichen Bilder von verschmutzten Stränden Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.
Mit dieser Abgabe würde die EU zusätzlich 8,24 Milliarden Euro pro Jahr erhalten (10,3 Millionen Tonnen nicht recycelter Kunststoffverpackungsabfälle im Jahr 2018 x 0,8 Euro/Kilogramm). Aufgrund der jüngsten Änderung der Berechnungsmethodik für das Recycling wird dieser Betrag wahrscheinlich sogar um 20 bis 30 % steigen. Für Deutschland würden sich Mehrkosten in Höhe von ca. 1,3 Milliarden Euro pro Jahr ergeben.
Keine zweckgebundene Steuer für Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft
Auf den ersten Blick ist die Idee brillant, denn damit könnte die Kommission zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die EU würde nicht nur lang erhoffte neue eigene Einnahmequellen erhalten, sondern sie könnte die neue Abgabe auch als entschiedenes Vorgehen gegen die vermeintliche Plastikflut verkaufen. Die Medien griffen diese Geschichte auf und die NGOs sponnen den Faden fleißig weiter.
Nur einigen wenige Finanzexperten in Berlin, Stockholm und Den Haag trieb der Plan Sorgenfalten auf die Stirn. Allerdings galt ihre Sorge nicht den Auswirkungen einer solchen Abgabe auf die Kreislaufwirtschaft, sondern auf ihre eigenen Beiträge zum EU-Haushalt. Die politische Debatte wurde daher bisher von der Frage dominiert, ob die Nettozahler damit einverstanden wären, ihre Gesamtausgaben in der EU auf über 1 Prozent ihres Bruttovolkseinkommens zu erhöhen.
Die Auswirkungen einer solchen Maßnahme auf die Nachhaltigkeit blieben bisher mehr oder weniger im Dunkeln, auch weil die Kommission keine vernünftige Folgenabschätzung vorgelegt hat. Der Hauptkritikpunkt ist die Tatsache, dass die Einnahmen aus der Abgabe nicht zweckgebunden sind, d.h. dass sie direkt in den Gesamthaushalt der EU einfließen und nicht für Maßnahmen im Bereich Kunststoffverwertung reserviert sind. Daher wird die Abgabe nahezu keine direkte Auswirkung auf die Ziele der Kreislaufwirtschaft haben.
Paradox: Ländern werden Mittel zum Ausbau der Recyclinginfrastruktur genommen
Die Abgabe wird sich insbesondere auf jene Mitgliedstaaten auswirken, die nur über geringe Kapazitäten für die Verwertung von Kunststoffen verfügen, da sie mehr zahlen müssen als diejenigen mit einer besseren Verwertungsinfrastruktur. Es gibt große Unterschiede in der Verteilung der Recyclingkapazitäten in Europa: So beträgt laut PRE die gesamte Recyclingkapazität für starre Polyolefine, insbesondere HDPE und PP, 1,7 Millionen Tonnen. Italien hat die höchste installierte Kapazität für diese Ströme mit einer Rate von 25%, Deutschland 22%, Spanien 22%, das Vereinigte Königreich 15% und Frankreich 9%. Das bedeutet, dass sich die übrigen Mitgliedstaaten die restlichen 7% teilen. Dies spiegelt sich auch in den Gesamtraten der Verwertung von Kunststoffverpackungen in Europa wider:
Paradoxerweise wird die Abgabe also diejenigen Länder am stärksten betreffen, die beim Aufbau ihrer Recycling-Infrastruktur am meisten Unterstützung benötigen. Statt Unterstützung werden diese Länder gezwungen, unverhältnismäßig mehr zum allgemeinen EU-Haushalt beizutragen als andere.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Mitgliedstaaten bestrebt sein werden, “ihr” Geld über nationale Abgaben für die Kunststoffindustrie und damit für die Verbraucher wieder einzusammeln. In Italien hat sich die populistische 5-Sterne-Bewegung für eine nationale Plastiksteuer von 1 Euro pro Kilogramm Kunststoffverpackungen, die nicht aus recycelten oder biologisch abbaubaren Materialien bestehen, eingesetzt. Nach einem Aufschrei von Industrie und Verbraucherverbänden wurde die Steuer auf 0,45 Euro pro Kilogramm gesenkt.
Plastiksteuer – Rückschlag für die Kreislaufwirtschaft
In den letzten Monaten haben die Politiker ehrgeizige Ziele für Kunststoffverpackungen in der Kreislaufwirtschaft festgelegt. Bis 2030 sollen beispielsweise alle Verpackungen in Europa recyclingfähig sein. Bis dahin sollen 10 Millionen Tonnen recycelte Materialien zur Herstellung von Kunststoffprodukten verwendet werden.
Die Industrie arbeitet hart daran, Kunststoffverpackungen besser recyclingfähig zu machen und den Einsatz von recycelten Materialien zu erhöhen. All dies kostet jedoch Milliarden von Euro. Wenn dieses Geld nun via Plastiksteuer den Unternehmen weggenommen und zum Stopfen von Löchern im EU-Haushalt verwendet wird, würde dies einen großen Rückschlag für die Kreislaufwirtschaft bedeuten.
Allein die Diskussion um die Steuer ist beunruhigend, vor allem für mittelständische Unternehmen. Diese Unternehmen, die derzeit vor der Entscheidung stehen, große Investitionen für mehr recycelbare Verpackungen und einen höheren Einsatz von Recyclingmaterial zu tätigen, brauchen Planungssicherheit und Verlässlichkeit.
Deshalb kann die Hoffnung nur sein, dass sich die Mitgliedstaaten, die einstimmig entscheiden müssen, gegen eine solche Steuer aussprechen und sich für einen EU-Haushalt aussprechen, der die Unternehmen bei der Erreichung der gemeinsamen Ziele für eine Kreislaufwirtschaft unterstützt.