„Wenn wir unsere Kräfte bündeln, können wir viel mehr erreichen“
Wenn Kreislaufwirtschaft gelingen soll, müssen recycelte Stoffe, sogenannte Rezyklate, eine deutlich größere Rolle bei der Herstellung neuer Produkte spielen. Die Drogeriemarktkette dm engagiert sich hier besonders, um das Bewusstsein der Verbraucher für Kreislaufwirtschaft zu fördern.
Wir haben mit Daiga-Patricia Kang über die Vorreiterposition von dm gesprochen und darüber, was sich zukünftig in der Branche verändern muss. Unsere Interviewpartnerin ist verantwortlich für Nachhaltigkeitsthemen in der Kommunikation bei dm und gleichzeitig Projektleiterin des #ForumRezyklat.
Daiga-Patricia Kang beschäftigt sich mit dem Thema Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung bei dm. Sie setzt sich dafür ein, das Konzept der Nachhaltigkeit als Chance zu begreifen, scheinbare Gegensätze zwischen ökonomischen Zielen und ökologischen Erfordernissen sowie sozialen Ansprüchen zu überwinden und zudem kulturelle Aspekte, stärker ins Bewusstsein zu rücken. Heute arbeitet sie in der Nationalen Kommunikation bei dm und ist für die Verankerung dieser Themen in der Unternehmenskommunikation verantwortlich. Daiga Kang studierte Betriebswirtschaftslehre an den Universitäten Frankfurt und Mannheim und stieg 1996 direkt bei dm ein.
Frau Kang, wie sehen Sie die Rolle von dm in der Kreislaufwirtschaft von Verpackungen und speziell Kunststoffen?
Mit der Gründung des #ForumRezyklat haben wir auf jeden Fall eine Vorreiterrolle eingenommen. Vor zweieinhalb Jahren fuhren wir in Nordrhein-Westfalen einen Testlauf in etwa 100 Filialen. Insbesondere unsere Mitarbeiter haben großartig mitgezogen und konnten unsere Kunden begeistern. Nach diesem positiven Testlauf haben wir das #ForumRezyklat gegründet. Mittlerweile hat das Forum aus Industrie- und Handelssicht eine wichtige Rolle eingenommen. Wir haben sowohl große als auch kleine und mittlere Player an Bord. Darüber hinaus haben sich auch Organisationen der gesamten Wertschöpfungskette angeschlossen: vier Umweltministerien der Länder, das Bundesumweltamt, wie auch Berater und Plattformen sowie Entsorger, Recycler, Rezyklat-Hersteller und Verpackungshersteller.
Das #ForumRezyklat wurde 2018 von dm-drogerie markt initiiert. 32 Mitglieder bestehend aus Händlern, Herstellern, Entsorgern, Verpackungsherstellern und Vertretern der Politik bilden die gesamte Wertschöpfungskette entlang der Kreislaufwirtschaft ab. Gemeinsam arbeitet das #ForumRezyklat daran, das Bewusstsein der Verbraucher für Kreislaufwirtschaft zu fördern, um eine sortenreine Trennung der Wertstoffe zu erreichen. Dadurch wird langfristig die Recyclingquote sowie der Recycling-Anteil in Produkten und Verpackungen erhöht. Zudem strebt das Forum an, Verpackungen zu reduzieren und schon im Entstehungsprozess neuer Verpackungen darauf zu achten, dass die Verpackungen recyclingfähig sind, damit sie als Ressource dem Kreislauf erhalten bleiben.
Fühlen Sie sich von der Politik ausreichend unterstützt?
Die Umweltministerien, die wir an Bord haben, pushen die Kreislaufwirtschaft natürlich. Ich würde mir aber wünschen, dass das Thema Rezyklat von politischer Seite noch mehr befeuert wird. Es ist insgesamt noch viel Aufklärungsarbeit notwendig. Denn Kreislaufwirtschaft bedeutet Ressourcenschutz und damit auch Klimaschutz.
Normalerweise sind die lokalen Kampagnen bei dm zentral gesteuert. Wie war das beim Thema Rezyklat?
Die Initiative kam von den Mitarbeitern selbst. Sie haben ein großes Bedürfnis, aktiv zu werden. Denn das Bewusstsein der Menschen und unserer Kunden ist gestiegen, selbst einen Beitrag für Umwelt- und Klimaschutz zu leisten. Das ist der Trigger. Bei der Rezyklat-Kampagne haben die Mitarbeiter in den Filialen viel Einsatz gezeigt und die Kampagnen sogar selbst gestaltet. Das gilt auch für die Kundenansprache am Point of Sales in unseren Filialen. Am Ende des erfolgreichen Tests hat der Vertrieb Druck auf uns gemacht, dass die Mitarbeiter daran anknüpfen und die Kampagne fortsetzen wollten.
Bei dm kommen auch Kunststoffverpackungen zum Einsatz – beispielsweise Kunststofftragetaschen an der Kasse. Bekommen Sie da auch Gegenwind?
Der Gegenwind hält sich in Grenzen. Ich habe den Eindruck, dass die meisten Kunden ihre Taschen selbst mitbringen. Sicherlich sind Kunststofftragetaschen schlecht, wenn sie in der Umwelt landen. Aber – und das wissen leider noch nicht alle Kunden – ist die Ökobilanz einer Kunststofftragetasche deutlich besser als die einer Papiertüte, die ja oftmals als Alternative genutzt wird. Wir bei dm verteufeln Kunststoff nicht, denn das Material bietet viele Vorteile. Es bedarf aber noch viel Aufklärungsarbeit, um dies allen zu verdeutlichen.
Inwieweit sind Sie als großer Player in der Lage, Ihre Kunden zu mehr Nachhaltigkeit anzuhalten?
Bei der breiten Masse ist der Preis ein sehr starker Trigger für den Kauf eines Produktes. Hier spielt die Maslowsche Bedürfnispyramide eine große Rolle. Zunächst müssen die Grundbedürfnisse gedeckt sein, bevor sich die Konsumenten mit weiteren Themen auseinandersetzen. Es gibt jedoch auch eine wachsende Anzahl von Kunden, die Wert auf Nachhaltigkeit legen. Verbraucher wissen zunehmend, dass Bio aus China nicht die gleiche Qualität hat wie Bio aus Deutschland. Die Gruppe derer, die das hinterfragen, nimmt stetig zu. Zudem stellen wir fest, dass insbesondere die jüngeren Kunden zunehmend bewusster einkauft.
Inwieweit haben Sie mit anderen Markenherstellern jetzt Mitstreiter?
Alle Markenhersteller haben Bekenntnisse hinsichtlich des Einsatzes von Kunststoffen und auch beim Klimathema gemacht. Gerade bei großen Herstellern stehen diese Themen ganz oben auf der Agenda. Derzeit ist der Einsatz von Rezyklaten oder das Klimathema vielleicht noch ein Differenzierungsmerkmal. Ich gehe aber davon aus, dass das bald ein Hygienefaktor wird.
Welche Erwartungen haben Sie an die Kunststoffverpackungsindustrie?
Bereits bei der Herstellung sollte darauf geachtet werden, dass ein recyclebarer Stoff verwendet wird – hier spielt das Thema „Design for Recycling“ eine wichtige Rolle. Bevor Rezyklate eingesetzt werden können, muss erst einmal der Stoff dazu vorhanden sein. Bei Verpackungen ist die Recycling-Fähigkeit besonders wichtig, weil sie meist kurzlebig sind. Hier würde ich mir wünschen, dass verstärkt ein Augenmerk darauf gelegt wird, Technologien zu fördern, die das möglich machen. Aktuell haben Entsorger sehr viel zu tun und verfolgen daher nicht unbedingt den Ansatz, neue Technologien zu implementieren, um noch mehr Material wiederverwenden zu können.
Sie beschäftigen sich im #ForumRezyklat aktuell damit, einen weiteren Rezyklatstandard zu entwickeln. Was sind die Hintergründe?
Das Rezyklat, das den sogenannten Food-Grades entspricht und damit als lebensmitteltaugliches Verpackungsmaterial gilt, ist sehr begrenzt verfügbar, wird aber ganz stark nachgefragt. Demgegenüber steht das andere Rezyklat, das man nicht im Lebensmittelbereich einsetzen kann. Dieses ist in großen Mengen verfügbar. Im #ForumRezyklat arbeiten wir gemeinsam mit der Hochschule Wien und dem Fraunhofer Institut daran, einen oder zwei neue Rezyklatstandards zu entwickeln. Ziel ist es beispielweise, dass es irgendwann möglich ist, die Materialien aus dem gelben Sack für Verpackungen wiederzuverwenden. Generell gibt es sehr viele Produkte, die aus Rezyklaten herstellbar sind. Der große Anspruch liegt darin, keinen Wertverlust zu erleiden. Das ist momentan schwierig und lässt sich nur in geschlossenen Kreisläufen umsetzen. Daher wäre es gut, wenn die Hersteller bald Rechtssicherheit bekommen und ein zusätzlicher Standard existiert.
Werden auch Mehrweg- und Unverpackt-Lösungen ein Thema bei dm werden?
Es findet sicherlich ein Umdenken statt. Wir achten darauf, dass Produkte nicht mehrfach verpackt sind und natürlich versuchen wir, Verpackung zu vermeiden. Das Unverpackt-Thema wird uns begleiten. In Österreich testen wir schon seit einiger Zeit Refill-Stationen, die ganz gut angenommen werden. Das ist sicherlich eine Perspektive, die wir nicht außer Acht lassen dürfen. In Kürze werden Sie auch in den ersten dm-Filialen Abfüllstationen vorfinden. Früher hatten wir auch viele Nachfüllverpackungen im Sortiment, die allerdings von den Kunden nicht so nachgefragt wurden. Jetzt ist die Zeit vielleicht reifer dafür. Denn das Thema Gewicht- und Ressourceneinsparungen werden immer wichtiger.
Aktuell lesen wir viel über Steuern, Quoten, Abgaben, Verbote. Wie stehen Sie dazu?
Gewisse Abgaben haben eine gute Lenkungswirkung – beim Thema CO2 und auch bei Kunststoff. Derzeit wird das Virgin Plastik nicht besteuert, aber das Rezyklat. Das ist eigentlich eine schlechte Ausgangsposition für das Rezyklat. Es sollte sich schon preislich bemerkbar machen, wenn man sich bemüht, Ressourcen einzusparen. Hier wäre eine politische Lenkung durch Steuern sicherlich sinnvoll. Wichtig ist es aber, alle Akteure der Wertschöpfungskette zu beteiligen.
Können Sie uns das näher erläutern?
Wir wären mit dem #ForumRezyklat niemals so weit gekommen, wenn wir nicht alle an der Wertschöpfungskette Beteiligten miteinbezogen hätten. Die kooperative Arbeitsweise hat viel bewirkt – auch untereinander. Unternehmen haben sich mit Playern verknüpft, mit denen sie vorher noch nie in Kontakt waren, weil immer jemand dazwischen stand. Deshalb waren manche Hintergründe schwer verständlich, beispielsweise, warum das Rezyklat so schwer zu beschaffen ist und warum manche Verpackungen nicht recyclingfähig sind.
Arbeiten Sie auch mit den Verbänden zusammen?
Ja, das machen wir. Verbände haben die Herausforderung, dass sie den kleinsten gemeinsamen Nenner finden müssen, um ihren Mitgliedern gerecht zu werden. Das ist nicht immer einfach. Deshalb behandeln auch wir Themen wie Rezyklat, die eigentlich Verbandsarbeit wären. Denn die Verbändetun sich hier schwerer. Wir wollen voran gehen und nehmen auch Geld in die Hand, um beispielsweise den neuen Rezyklat-Standard zu entwickeln. Komplexität lässt sich nur reduzieren, wenn man das tut, was man gut kann. Die anderen Dinge muss man an Spezialisten vergeben.
Wie sieht es mit der Zusammenarbeit innerhalb der Branche aus?
In unserer heutigen Welt können wir nur gemeinsam voran gehen. Daher haben wir auch unseren Mitbewerber Rossmann mit in das #ForumRezyklat aufgenommen. Das Thema Nachhaltigkeit eignet sich nicht, um Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Denn für den Kunden steht die Gesundheit der Erde und damit seine eigene Gesundheit im Mittelpunkt. Wenn wir unsere Kräfte bündeln, können wir viel mehr erreichen. Leistet jeder seinen eigenen Beitrag, der sich dann auch von dem Nachbarn unterscheidet, dann kommen wir schneller zu einer guten Entwicklung.
Das Gespräch „Im Dialog mit Daiga-Patricia Kang“ ist der Auftakt einer Interviewserie mit Partnern und Experten aus Handel, Wirtschaft und Politik rund um die Themen Nachhaltigkeit, Kunststoff, Kunststoffverpackungen, Recycling und Kreislaufwirtschaft.
Fakten zu dm-drogerie markt
Täglich gehen rund 1,9 Millionen Kunden in die fast 2.000 dm-Märkte in Deutschland einkaufen. Mehr als 62.000 Menschen in über 3.600 Märkten arbeiten in dem Unternehmen. dm ist aktuell in 13 europäischen Ländern vertreten und erreichte im vergangenen Geschäftsjahr 2018/2019 einen Umsatz von rund 11,2 Milliarden Euro. Die rund 41.000 dm-Mitarbeiter in Deutschland erwirtschafteten in diesem Zeitraum einen Umsatz von 8,37 Milliarden Euro. dm arbeitet stetig daran, Prozesse innerhalb des Unternehmens zu verbessern und seiner Verantwortung für nachhaltige Entwicklung gerecht zu werden.
Im Dialog – Unser Magazin zur Interviewreihe um Kunststoff Recycling Klima- und Umweltschutz.