7,2 Milliarden Euro: So viel planen die europäischen Kunststofferzeuger bis 2030 an Investitionen in das chemische Recycling zu stecken. Ihre Hoffnung: möglichst viele marktgängige Verfahren zu etablieren, mit denen eine kraftvolle Ergänzung zum klassischen mechanischen Recycling erreicht wird. Das große Ziel dahinter: eine effizientere Verwertung von Plastikabfällen und eine engmaschigere Kreislaufführung von Kunststoffen.

Ob im Park, im Wald, im Fluss oder an entlegenen Stränden: Plastikmüll findet sich mittlerweile fast überall auf unserem Planeten. Dadurch gehen kohlenstoffhaltige Abfälle verloren, die eigentlich einer zweiten Nutzung zugeführt werden sollten. Denn nur so lassen sich Klimaneutralität, Ressourcenschonung und Umweltschutz schnellstmöglich erreichen.

Zitat - Dr. Markus Steilemann „Um Kunststoff endlich in großem Stil wiederzuverwerten, führt kein Weg am chemischen Recycling vorbei. Wir müssen es im industrieweiten Schulterschluss und mit Rückenwind aus der Politik rasch zur Reife bringen und zu einem Standard in der Kreislaufwirtschaft machen.“Potenzial für Kreislaufführung

Die Kreislaufwirtschaft ist das zentrale Konzept, um Kunststoffen, die ihren Zweck erfüllt haben, ein neues Leben zu geben. Chemisches Recycling hat dafür großes Potenzial und ist dann die Technologie der Wahl, wenn das klassische, mechanische Recycling an seine Grenzen stößt. An diese kommt es mit seinem Prinzip des Schredderns und Einschmelzens besonders bei solchen Abfällen, die stark verschmutzt und nicht sortenrein sind, beziehungsweise aus vielen unterschiedlichen Kunststoffen bestehen, welche nur schwer voneinander zu trennen sind.

Anders sieht es aus, wenn der Plastikmüll chemisch aufgelöst, in seine Moleküle zerlegt und in neue Molekülketten umgewandelt wird. Dank solcher chemischen Verfahren kann jedes Produkt, das ansonsten verbrannt werden müsste, in ein beliebiges anderes verwandelt werden. Insgesamt können so mehr Kunststoffmengen recycelt werden als bislang.

Kunststofferzeuger engagieren sich

Innerhalb der kunststofferzeugenden Industrie werden die verschiedenen Verfahren des chemischen Recyclings wie etwa die Pyrolyse als wichtige Instrumente gesehen, um den Erdölverbrauch in der Produktion zu reduzieren. In der engen Zusammenarbeit mit innovativen Partnern aus der Wertschöpfungskette und agilen Start-ups setzen sich die Mitgliedsunternehmen des Kunststofferzeugerverbandes PlasticsEurope das Ziel, die durch chemisches Recycling wieder gewonnene, anvisierte Kunststoffmenge von 1,2 Mio. Tonnen im Jahr 2025 auf 3,4 Mio. Tonnen in 2030 zu steigern.

Britische Verpackungsprodukte

Beispiel gefällig? Der Kunststofferzeuger Dow Chemical baut gerade im britischen Teesside eine Anlage auf, die ab dem Jahr 2022 mithelfen soll, Plastikabfälle zurück in Öl zu verwandeln – und das Unternehmen mit den so gewonnenen Rohstoffen zu versorgen. Ziel ist es, daraus neue Kunststoffe für Lebensmittelverpackungen und andere Verpackungsprodukte zu entwickeln. Der Know-how-Partner Mura Technology verspricht bei dem hier verwendeten hydrothermischen Verfahren, dass die Verwertung von Plastikabfällen in nicht einmal einer halben Stunde von statten geht.

Französische Milchflaschen

INEOS und Lactalis produzieren Milchflaschen aus Pyrolyseöl.

INEOS und Lactalis produzieren Milchflaschen aus Pyrolyseöl, Foto: LACTEL

Ebenfalls ein Kooperationsprojekt beschreiten der britische Kunststofferzeuger INEOS und der französische Molkereikonzern Lactalis. Die Unternehmen planen, Pyrolyseöl, das aus gemischten Kunststoffabfällen aus Haushalten in Frankreich gewonnen wird, für die Produktion von heimischen Milchflaschen einzusetzen. Die Flaschen erfüllen alle Auflagen in puncto Lebensmittelsicherheit und sind vollständig recycelbar, versichern die Partner. INEOS gibt an, das Öl in mehreren seiner europäischen Anlagen als massenbilanzierten Rohstoff verfügbar zu machen.

 

Deutsche Autoteile

Doch auch in Deutschland gehen Forschung und Entwicklung beim chemischen Recycling voran, so etwa am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Dort wurde zusammen mit einem deutschen Autobauer das Pilotprojekt „Chemisches Recycling von Kunststoffen aus dem Automobilbau“ durchgeführt. Viele besonders beanspruchte Bauteile in heutigen Autos werden aus Kunststoffen gefertigt. Für Kraftstofftanks, Airbagabdeckungen, Kühlerschutzgitter und viele Teile mehr gelten strenge Anforderungen an Sicherheit, Hitzebeständigkeit und Qualität. Eigenschaften, die bislang fast nur Materialien mit Neuwarenqualität erfüllen – mechanisch recycelte Kunststoffe kommen also kaum in Frage.

Im KIT wurde nun getestet, inwieweit automobile Kunststoffmischfraktionen über das chemische Recycling zurück in den Kreislauf geführt werden können. Und tatsächlich: Das durch Pyrolyse gewonnene Öl aus gemischten Kunststoffen von Altautos konnte wieder zu Materialien verarbeitet werden, die genauso hochwertig wie Neuwaren sind. Sie eigneten sich so erneut für den Einsatz in hoch beanspruchten Under-the-hood-Anwendungen oder ähnlichen Kunststoffbauteilen für die Automobilproduktion.

Audi und KIT arbeiten an Recyclingmethoden für Automobil-Kunststoffe

Audi und KIT arbeiten an Recyclingmethoden für Automobil-Kunststoffe, Foto: Audi AG

Nachhaltig kreislauffähig

Klar ist: Solche Verfahren benötigen eine große Menge an Energie. Damit das chemische Recycling wirklich nachhaltig wird, muss es gelingen, viel Energie aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen. Die Kunststoffindustrie, die bereits auf alternative Rohstoffe und erneuerbare Energie für Produktionsprozesse setzt, arbeitet mit vielen Partnern auch daran mit.

Durch Investitionen in Forschung und Entwicklung treiben die kunststofferzeugenden Unternehmen Innovationen rund um das chemische Recycling kräftig voran; Prozesse und Verfahren werden so ausgefeilter und effizienter – immer bei Einhaltung strengster Umweltstandards. Im Verbund mit Anreizen für ein verbessertes Sammeln, Sortieren und Trennen von Altkunststoffen rückt die Verwirklichung einer echten Kreislaufwirtschaft auf diese Weise immer näher.