Wenn Mehrwegquoten am Ende die CO2-Bilanz erhöhen, wer gewinnt dann noch in Sachen Klimaschutz? Die verpflichtenden Mehrwegquoten für Kunststoff im Kontext des deutschen Verpackungsgesetzes und der geplanten EU-Verpackungsverordnung scheinen aktuell nicht wirklich auf Ökobilanzen zu beruhen. Betrachten wir die Ökobilanzen verschiedener Materialien, wie es auch das Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu) und seine Partner im innoredux-Projekt tun, zeigt sich, dass Kunststoffverpackungen häufig ökologisch vorteilhafter sind. Trotzdem stehen sie im Fokus der politischen und gesellschaftlichen Debatte. Die IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen sieht dies kritisch, schließlich zählt für mehr Klimaschutz die echte und nicht nur gefühlte Nachhaltigkeit.
Lidl-Kampagne fördert Debatte
Die Lidl-Kampagne „Aus Liebe zur Natur“ hat die Diskussion über Mehr- und Einweg anhand von Studien und Ökobilanzen befeuert. Im April 2023 informiert Lidl in einer umfassenden Kampagne über die ökologischen Stärken seiner Kreislaufflasche, deren Flaschenkörper durch ein Bottle-to-Bottle-System zu 100 Prozent aus recyceltem Polyethylenterephthalat-Kunststoff (rPET) besteht. In diesem Kreislauf wird das Material des Flaschenkörpers wiederverwendet und der Einsatz von PET-Neumaterial ausgeschlossen. Dank des Einweg-Pfandsystems bleibt das hochwertige PET-Material in lebensmittelgeeigneter Qualität für Getränkeflaschen erhalten. Hinzu kommt das niedrige Gewicht der 1,5-Liter-Kreislaufflasche, das einen klimaschonenden Transport ermöglicht. Sie ist 20 Prozent leichter im Vergleich zu durchschnittlichen PET-Mehrwegsystemen und fast 50 Prozent leichter als die 0,7-Liter-Glas-Mehrwegflasche.
Eine neue Ökobilanz des ifeu zeigt: Lidls Kreislaufflasche ist eine der ökologischsten Flaschen im Vergleich zu den untersuchten marktüblichen Mehrwegflaschen. „Diese neuen Erkenntnisse, die wir auch auf der Website diekreislaufflasche.de vorstellen, zeigen, dass gute Einwegsysteme mit Pfand genauso klimaschonend sein können wie gute Mehrwegsysteme, wenn sie das Material im Kreis führen und neue Flaschen aus alten Flaschen hergestellt werden“, sagt Wolf Tiedemann, Vorstandsmitglied der Lidl Stiftung & Co. KG.
Der Einsatz von rPET und konsequente Kreislaufführung wirken
Das Klima profitiert von recycelten Materialien und konsequenter Kreislaufführung. Dies belegen auch Studien des ifeu und der GVM Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung. In einer gemeinsamen Untersuchung zeigte sich, dass in Deutschland im Jahr 2021 etwa 425.000 Tonnen Kunststoff für die Produktion von Einwegflaschen aus PET verwendet wurden. Der PET-Flaschenkreislauf ist bereits ausgesprochen effizient: Durch das Pfandsystem konnten 97 Prozent des PET eingesammelt und wieder aufgearbeitet werden. Dieses Recycling-Material ist sortenrein und lässt sich auch als Lebensmittel-Verpackung wieder einsetzen.
Doch aufgrund seiner Eigenschaften ist das Material auch ein begehrtes Produkt auf den Sekundär-Kunststoffmärkten. Rund 55 Prozent des Recycling-PET kaufen die Hersteller von Folien, Textilien und Verpackungen für Putzmittel oder Kosmetik und verwenden es für ihre Produkte. „Wenn das hochwertige PET aus dem Recycling der Einwegpfandflaschen in solchen Anwendungen landet, ist es für die Kreislaufführung in neuen PET-Flaschen meist verloren – mit negativen ökologischen Auswirkungen“, erklärt Benedikt Kauertz, Experte für Kreislaufwirtschaft am ifeu. Die Studie zeigt auch, dass das ursprüngliche Primär-PET heute höchstens drei statt rechnerisch möglichen neun Mal wiederverwendet wird. Danach landet es in Deutschland meist in der thermischen Verwertung. „2021 mussten die Hersteller 235.000 Tonnen Primär-PET einspeisen. Im geschlossenen Flaschenkreislauf würde der Einsatz von Primär-PET um mehr als 90 Prozent auf 21.000 Tonnen zurückgehen“, sagt GVM-Projektleiter Nicolas Cayé. In dem Szenario sinken die CO2-Emissionen um rund 60.000 Tonnen (-20 %) pro Jahr.
Einsatz von rPET in PET-Getränkeflaschen steigt
Trotzdem: In der Herstellung von PET-Getränkeflaschen kommt laut einer Studie der GVM dem Einsatz von recyceltem PET (rPET) eine immer größere Bedeutung zu. Zwischen 2019 und 2021 stieg der durchschnittliche Anteil an rPET in Getränkeflaschen in Deutschland um mehr als 10 Prozent auf 44,8 Prozent an, Tendenz steigend. Dies zeigt, dass die Getränkeindustrie zunehmend auf geschlossene Kreisläufe setzt. Treiber sind zum einen die Hersteller und Inverkehrbringer von PET-Getränkeflaschen, die ihre selbst gesteckten Nachhaltigkeitsziele erreichen wollen. Zum anderen müssen die gesetzlichen Vorgaben der Europäischen Union eingehalten werden, die ab 2025 in ganz Europa einen durchschnittlichen rPET-Anteil von 25 Prozent in Einweg-Getränkeflaschen vorschreiben.
Positiv zu bewerten ist laut der Studie auch der Trend zu immer leichteren PET-Flaschen: Der Materialverbrauch in der Produktion und damit auch der Ressourceneinsatz wurde deutlich um 4,5 Prozent reduziert. „Konsument:innen können in Deutschland mit gutem Gewissen zu PET-Getränkeflaschen greifen. Sie werden besonders energieeffizient transportiert und recycelt und landen wegen des Pfands nicht in der Umwelt“, so IK-Geschäftsführerin Dr. Isabell Schmidt.
Mehrweg To-go erfolgreich umsetzen
Vor dem Hintergrund geplanter Mehrwegquoten und der genannten Vorteile von Einwegkunststoff stellt sich die Frage, was erfolgreiche Mehrwegsysteme eigentlich ausmacht und wie die Umwelt am meisten profitiert. Dazu forschen das ifeu und das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) im Projekt REPAID. Auch die Anbieter RECUP und Vytal sind an dem Projekt beteiligt, das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gefördert wird. REPAID untersucht, welchen Einfluss das Zusammenspiel von Handel, Gastronomie, Logistik und Verbraucher:innen auf den Erfolg von Mehrwegsystemen hat.
„Bei jährlich bundesweit 280.000 Tonnen Müll aus Verpackungen allein für Speisen und Getränke geht das Gesetz in die richtige Richtung. Viele der jetzt eingeführten Mehrwegsysteme haben aber bisher noch zu geringe Umlaufzahlen“, sagt Benedikt Kauertz. „Damit ein Kunststoff-Mehrwegbecher ökologisch besser abschneidet als ein beschichteter Pappbecher, muss dieser mindestens 10- bis 15-mal wiederverwendet werden“, so Kauertz weiter. Doch dafür muss die Kundschaft einen hohen Anreiz haben, die Becher und Schalen zu nutzen und auch tatsächlich zurückzubringen.
Viele offene Fragen
Unternehmen hingegen stehen mit dem Einweg-Kunststoff-Fondsgesetz (EWKFondsG) vor ganz anderen Herausforderungen: Hersteller bzw. Inverkehrbringer von bestimmten Einweg-Kunststoffprodukten für Speisen und Getränke – darunter beispielsweise feste Verpackungen aus oder mit Kunststoff für Lebensmittel zum Sofortverzehr, flexible Kunststoff-Verpackungen mit Lebensmitteln für den Sofortverzehr, Kunststoff-Getränkebehälter (inkl. Flaschen) und Kunststoffbecher sowie leichte Kunststofftragetaschen – sollen die Kosten der Kommunen für die Sammlung und Entsorgung dieser Abfälle im öffentlichen Raum übernehmen. Anders als in anderen Ländern soll dies in Deutschland mit Hilfe einer staatlichen Sonderabgabe geschehen.
Die praktischen Schwierigkeiten beginnen jedoch bereits bei der Frage, welche Verpackungen überhaupt von dem Gesetz erfasst werden. Umstritten ist auch, wer verantwortlicher „Hersteller“ der Einweg-Kunststoffverpackungen ist. Nach dem Gesetz sollen beispielsweise die Produzenten von (leeren) „Lebensmittelbehältern“ erfasst sein, sofern sie diese Behälter „erstmals auf dem Markt bereitstellen“. Dabei ist eine leere Verpackung nach dem deutschen Verpackungsgesetz noch keine Verpackung. Bei den „Tüten und Folienverpackungen“ sollen dagegen nicht die Verpackungsproduzenten, sondern erst die Abfüller „Hersteller“ im Sinne des Gesetzes sein. Beraten wird das UBA bei der Suche nach Antworten auf diese Fragen durch eine Einwegkunststoff-Kommission, in der die IK einen der sechs für die Hersteller reservierten Plätze einnimmt.
Kunststoff ist ein Kreislaufmaterial
Schlussendlich ist die Politik aus Sicht der IK gut beraten, die Diskussion über Verpackungen, Materialien sowie Ein- und Mehrweg faktenbasiert zu führen, damit am Ende Mensch, Umwelt und Klima profitieren. Die Wissenschaft liefert Erkenntnisse und die Politik steckt den Rahmen, in dem neue Märkte entstehen oder sich bestehende Lösungen behaupten können. Für den Kunststoff eröffnen Mehrweg-Systeme sowohl in der Außer-Haus-Gastronomie als auch im Versandhandel große Potenziale. Die Eigenschaften des Materials können hier mit Langlebigkeit, Flexibilität, Leichtig- und Nachhaltigkeit punkten. Genau darum muss es gehen: um nachhaltigen Konsum und Kunststoff als Kreislaufmaterial, mal Ein-, mal Mehrweg.
Beitragsbild: © iStock | HATICE GOCMEN
Lesen Sie gerne den ungekürzten Beitrag aus der Ausgabe 3–6/2023 der IK-Aktuell: