Littering ist nicht nur inakzeptabel, es schadet auch dem Image des Schlüsselwerkstoffs Kunststoff – und einer ganzen Branche. Eine Krise, die die Kunststoffverpackungshersteller nur bedingt beeinflussen können. Acht bis zwölf Millionen Tonnen Plastik landen jedes Jahr in Ozeanen, 80 Prozent gelangt über Flüsse dorthin. Plastic Fischer hält mit schwimmenden Barrieren Kunststoffabfälle auf, bevor sie ins Meer gelangen. Wir haben mit Karsten Hirsch, CEO und Co-Gründer von Plastic Fischer, über Ursachen, Verantwortung und Lösungsansätze gesprochen.
Du arbeitest in Schwellenländern wie Indonesien und Indien. Wie kam es dazu?
Ich bin gelernter Jurist, war mit Freunden nach meinem Abschluss im Urlaub und habe gesehen, wie Plastik im Fluss Richtung Meer schwappt und die Artenvielfalt der Meere bedroht. Diese Vermüllung entsteht, weil es in den betroffenen Ländern weder Recyclingmöglichkeiten noch Incentivierung dafür gibt, Verpackungsmaterial zu sammeln und zu recyceln. Wir haben festgestellt, dass sich zu diesem Zeitpunkt keine Firma auf der Welt dieses Problems angenommen hat – und wollten aktiv werden. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt nur wenig Ahnung von Technologie, den konkreten Lebens –und Umweltbedingungen in Asien, Müll oder Plastikverschmutzung. Trotzdem haben wir ein Unternehmen gegründet, sind nach Indonesien gezogen, haben unsere Technologie entwickelt und sind damit seit sechs Jahren erfolgreich.
Über Karsten Hirsch:
Karsten Hirsch ist ein in Köln geborener, gelernter Jurist, der nach dem Abschluss seines Studiums gemeinsam mit zwei Freunden Plastic Fischer gegründet hat – die weltweit erste Firma, die Ozean Plastik bereits in Flüssen stoppt. Seit der Gründung leitete Karsten Hirsch das Unternehmen als Geschäftsführer von einem Konzept zu einer international anerkannten Organisation. Für den effektiven, holistischen und skalierbaren Ansatz wurde das Sozialunternehmen unter anderem vom Deutschen Nachhaltigkeitspreis und dem Weltwirtschaftsforum ausgezeichnet.

Karsten Hirsch CEO und Co-Gründer von Plastic Fischer
Copyright: Plastic Fischer
Wie funktioniert der Ansatz zur Abfallverarbeitung vor Ort?

Copyright: Plastic Fischer
Unser selbst entwickelter TrashBoom ist ein schwimmender Zaun mit Auftriebskörpern aus recyceltem LDPE. Er stoppt einen Großteil des Plastiks, das in Flüssen – im Gegensatz zum Ozean – noch oben schwimmt, während Fische darunter durchschwimmen können. Wir beschäftigen gezielt Mitarbeiter:innen aus der lokalen Bevölkerung und schaffen somit Arbeitsplätze, um das Material verantwortungsbewusst weiter zu verarbeiten. Unser Team sammelt das Flussplastik aus dem System, bringt es zu unseren eigenen Sortieranlagen vor Ort und verarbeitet es nach internationalen Standards weiter. Ungefähr 95 Prozent davon sind nicht recycelbar, hauptsächlich Verpackungsmaterialien aus Multi-Layer-Plastik oder LDPE-Folien.
Es mangelt also an funktionierenden Abfallentsorgungssystemen. Wie unterstützt Plastic Fischer diese Länder sinnvoll, ohne lediglich Symptome zu bekämpfen?
Wir sind uns mittlerweile bewusst, dass wir in erster Linie Symptome bekämpfen. Wir streiten dies auch gar nicht ab, sondern kommunizieren es sogar aktiv. Die Ursachen von Plastikverschmutzung sind eben sehr komplex: Fehlende Abfallwirtschaftssysteme, mangelnde Verantwortung der produzierenden Unternehmen in diesen Ländern, fehlende Bereitschaft für das Inverkehrbringen von Plastik zu zahlen und Regierungen, die keine funktionierende Infrastruktur aufbauen, sind nur einige davon.
Was muss sich also langfristig ändern, um das Problem an der Wurzel zu packen?
Ich höre oft, dass wir mehr Aufklärung leisten und in Bildung investieren müssen. Aber was bringt Wissen, wenn es gar keine Möglichkeit gibt, recycelbares Material zu kaufen oder es keine Recycling-Mülltonnen gibt? Oder wenn sich die Menschen nur Konsumgüter in sehr kleinen Mengen leisten können, die fast immer in Plastik verpackt sind, wodurch extrem viel Müll entsteht? Zuerst braucht es eine funktionierende Infrastruktur, erst dann kann man über Bildung sprechen. Für den Infrastrukturaufbau sollte man die produzierenden Unternehmen, die Regierungen und später auch die Haushalte in die Verantwortung nehmen. Aber auch Industrieländer könnten hier mit wenig Geld viel bewirken, indem sie grundlegende Infrastruktur vor Ort aufbauen und danach Bildungsarbeit leisten.
Solche Maßnahmen brauchen allerdings Zeit. Was passiert bis dahin – und wie könnte die Kunststoffbranche aktiv zur Lösung beitragen, damit es Initiativen wie Plastic Fischer in Zukunft nicht mehr braucht?
In der Zwischenzeit sollten Kunststoffverpackungshersteller zirkulärer produzieren. Darüber hinaus sollten Länder, die Plastik in einen Markt ohne funktionierendes Abfallwirtschaftssystem emittieren, in ein globales System einzahlen, das den Aufbau von Infrastruktur ermöglicht. Ich würde es lieben, wenn ich diesen Job nicht für immer machen müsste. Aber bis all diese Lösungen in der Praxis funktionieren, gelangt Plastik weiter in die Umwelt – und so lange braucht es uns.
Die Kunststoffverpackungshersteller engagieren sich seit vielen Jahren für mehr Nachhaltigkeit, beispielsweise durch Eco Design, neue Materialien und Technologien. Wie beurteilen Sie dies vor dem Hintergrund Ihrer Arbeit?
Plastik ist für mich kein per se schlechtes Material und ich befürworte alle Bestrebungen in Richtung nachhaltigem, zirkulärem und ressourcenschonenden Design von Materialien. Aber dieses muss dann auch global ausgerollt werden – nicht nur in den Ländern, wo es Verbraucherinnen und Verbrauchern fordern. Sondern auch oder gerade dort, wo mehr Engagement in diesem Bereich notwendig ist, weil es an den grundsätzlichen Abfallwirtschaftssystemen fehlt. Ein Unternehmen kann sich dafür entscheiden, ein nachhaltiges Produkt auf den Weg zu bringen, auch wenn eine Regierung dies nicht direkt verlangt. Hierbei ist wirtschaftliches Geschick gefragt, aber trotzdem haben Unternehmen ihr Handeln selbst in der Hand. Ich glaube allerdings, dass ein Wandel ohne Anreize oder Druck von oben nicht stattfindet.
Sie finanzieren sich unter anderem über Kooperationen mit Unternehmen. Stehen Sie Unternehmen aus der Kunststoffbranche dabei kritisch gegenüber?
Wir arbeiten bereits mit einer Handvoll Unternehmen aus der Kunststoffbranche zusammen – und es liegt nicht in unserem Interesse, Unternehmen bloßzustellen und Schuldzuweisungen auszusprechen.
Im Gegenteil: Ich glaube, dass sie diejenigen sind, die mit gutem Beispiel vorangehen sollten. Ich hoffe, dass sich noch mehr solcher Unternehmen finden, die sich der Aufgabe und ihrer Verantwortung bewusst sind. Wir haben Lust auf weitere Projekte und sehen das Potenzial in der Kunststoffbranche. Man löst die Probleme zwar nicht sofort, aber man leistet einen Beitrag zur Lösung, ohne sich damit freizukaufen von Verantwortung. Wer sozialen und ökologischen Impact erzielen und darüber anständig kommunizieren möchte, für den sind wir optimale, sehr verlässliche Kooperationspartner.
Über Plastic Fischer:

Plastic Fischer TrashBoom voller Kunststoffabfälle
Copyright: Plastic Fischer
Plastic Fischer ist ein in Deutschland ansässiges Sozialunternehmen, das Plastik in Flüssen aufhält, damit es nicht in den Ozean gelangt. Die Organisation wurde im April 2019 von drei Freunden gegründet, nachdem sie die Plastikverschmutzung im vietnamesischen Fluss Mekong beobachtet hatten. Inzwischen ist Plastic Fischer ein international anerkanntes und vom World Economic Forum ausgezeichnetes Unternehmen mit Standorten in Indien und Indonesien. Die 3L-Initiative™ beschreibt den effektiven und pragmatischen Ansatz, mit dem Plastic Fischer Plastik in Flüssen stoppt, sammelt und verarbeitet. Die verwendete Technologie heißt TrashBoom und ist eine lokal hergestellte (local), technisch einfache (low-tech) und kostengünstige (low-cost) Lösung. Plastic Fischer setzt nicht nur die Technologie ein, sondern schafft auch Arbeitsplätze vor Ort.