„Mich begeistern Verpackungslösungen, die besondere Mehrwerte schaffen“ - Zitat-Highlight von Uwe Melichar, Partner Europe bei der Agentur für Structural Packaging Innovation Touch Design
„Mich begeistern Verpackungslösungen, die besondere Mehrwerte schaffen“ - Zitat-Highlight von Uwe Melichar, Partner Europe bei der Agentur für Structural Packaging Innovation Touch Design

Verpackungen schützen Produkte und sorgen für Convenience für Verbraucherinnen und Verbraucher. Darüber hinaus tragen sie über ihr Aussehen die Werte und Qualität des Produkts nach außen. Verpackungsexperte Uwe Melichar spricht im zweiten Teil unseres Interviews über Verpackungstrends und Innovationen, Irrwege bei der Verpackungsentwicklung, Gewohnheiten und nötige Aufklärung von Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie ganzheitliche Lösungen, die Funktionalität, Nachhaltigkeit und Kundenbedürfnisse gleichermaßen berücksichtigen.

Über Uwe Melichar:

Uwe Melichar, geboren 1968, ist seit April 2024 Partner Europe bei der Agentur für Structural Packaging Innovation Touch Design und führt das europäische Geschäft. Zuvor studierte er Kommunikationsdesign an der Kunsthochschule in Kiel und war 25 Jahre lang geschäftsführender Gesellschafter bei der Markenagentur FACTOR. Im Jahr 2020 gründete er sein Unternehmen MELICHAR Bros., das er über vier Jahre führte und das sich bis heute auf nachhaltige Verpackungslösungen konzentriert. Uwe Melichar hat bereits Projekte für adidas, Nestlé, Bosch, C&A, Gardena und Miele realisiert. Gemeinsam mit seinem Team entwickelt er heute Verpackungs- und Kommunikationsdesigns für Kunden in Asien, den USA und Europa. Darüber hinaus ist er Dozent an mehreren Universitäten, wie der Universität Augsburg und der CYUT in Taiwan. Er sitzt in der Jury des Red Dot und des Deutschen Verpackungspreises, ist Mitglied des Type Directors Club New York und Präsident der European Brand & Packaging Design Association (epda).

Portrait Heike Vesper © Kathrin Tschirner WWF

Portrait Uwe Melichar, Partner Europe bei der Agentur für Structural Packaging Innovation Touch Design

Copyright: Touch Design

Sie arbeiten für Kunden auf der ganzen Welt. Wie unterscheiden sich die Wahrnehmung und Entwicklung von nachhaltigen Verpackungslösungen bzw. Design for Recycling in verschiedenen Ländern, in der Industrie, im Handel und bei Verbraucher:innen?

Die Erwartungen der Konsumentinnen und Konsumenten sowie das Kaufverhalten unterscheiden sich stark. Bei Waschmittel zum Beispiel findet man in Südamerika sehr große Gebinde. In Südostasien hingegen, etwa in Indonesien, ist das komplett anders – dort wird alles in sehr kleinen Sachets angeboten. Dafür haben wir gerade einen Weg gefunden, dort ein Reuse-Konzept zu etablieren. Und auch am anderen Ende der Kette, der Value Chain, bestehen wiederum ganz unterschiedliche Waste-Management-Konzepte – oder eben gar keine. Schaut man nach Indonesien, wird dort vieles auf Deponien abgelagert, oder es gelangt über den Wind oder über Flüsse in die Natur, in die Meere und letztlich in die großen Müllstrudel.

Welche Innovationen oder Technologien begeistern Sie im Moment besonders?

Mich begeistern Lösungen, bei denen das Thema Nachhaltigkeit nicht isoliert betrachtet wird. Es geht darum, Mehrwerte zu schaffen – sei es wirtschaftlicher Natur für den Inverkehrbringer des Produkts oder im Hinblick auf die Convenience für die Verbraucherinnen und Verbraucher.

Für die Thunfischverpackung von John West habe ich mit meinem Team in einem meiner Projekte statt der bisherigen Schrumpffolie einen Metallsticker entwickelt, der die fünf Dosen des Multipacks zusammenhält. Dieser materialgleiche Sticker kann im gleichen Recyclingstrom wiederverwertet werden. Das Besondere daran ist nicht nur die Reduktion von Kunststoff und eine CO₂-Ersparnis von 3.400 Tonnen CO₂-Äquivalenten pro Jahr. Zusätzlich punktet die Lösung im Handling, denn die Dosen lassen sich durch einfaches Drehen deutlich einfacher entnehmen und es fällt kein zusätzlicher Abfall an.

Außerdem bin ich beispielsweise ein großer Fan der Pool-Flaschen von SEA ME aus dem Verpackungsmaterial von zerooo, dem Mehrwegsystem für Kosmetik und Drogerie. Solche Systeme sind nicht nur für die Industrie kostensparend, sondern erleichtern auch den Alltag der Verbraucherinnen und Verbraucher. Interessant ist hier nicht die Verpackungsform an sich, denn es handelt sich um Mehrweg-PET-Flaschen – soweit nichts Neues. Die Innovation besteht darin, dass man diese Flaschen für Pflegeprodukte genau wie Getränkeflaschen am Pfandautomaten abgeben kann. Man muss nicht mehr mit einer Flasche zu Lidl und mit einer anderen zu Müller, um sie dort umständlich an der Kasse zurückzugeben. Auch für Kunststoffmixe wären Standards wünschenswert, hier bereiten den Recyclern die vielen unterschiedlichen Materialien oft Schwierigkeiten. Große Marken prüfen deshalb bereits gemeinsam die Umsetzung von Pooling-Konzepten. Und das nicht nur bei Mehrweg, wo dies schon gängige Praxis ist. Dabei bleibt weiterhin Raum für Differenzierung auf der Verpackung: Es gibt ausreichend Möglichkeiten, sich darauf kreativ auszuleben – auch und gerade für Designerinnen und Designer.

Sie setzen sich also dafür ein, Standards zu schaffen?

Ganz klar ja. Schauen Sie sich zum Beispiel den Bereich Biere an: Heute haben wir rund 150 verschiedene Marketingflaschen, die alle mit eigenem Branding, Prägungen oder Bügelverschlüssen daherkommen. Wenn ich also in Hamburg ein bayerisches Bier trinken möchte, muss die Flasche erst zu mir transportiert werden und danach den gesamten Weg zurück, um bei der ursprünglichen Brauerei wieder befüllt zu werden. Das ist alles andere als effizient. Mit einer Poolflasche hingegen könnte ein Astra problemlos als Berliner Pils weiterleben oder als Duvel in Belgien. Darin sehe ich großes Zukunftspotenzial.

Welche Trends sehen Sie hinsichtlich der verwendeten Verpackungsmaterialien?

In Traceless zum Beispiel sehe ich viel Zukunftspotenzial. Das Material wird aus Agrarabfällen hergestellt, besteht also vollständig aus nachwachsenden Rohstoffen. Gleichzeitig besitzt es viele Eigenschaften, die auch ein Kunststoff aufweist. Angeblich soll es zudem preislich attraktiv sein – das lässt sich heute allerdings vermutlich noch nicht abschließend beurteilen, da das Unternehmen gerade erst den nächsten Skalierungsschritt vollzogen hat. Es gibt zudem einige Materialien, die eine Art Renaissance erleben könnten. Zellophan zum Beispiel – das gibt es bereits seit über 100 Jahren. Oder Shellack, ein weiterer Vorläufer von Kunststoff, ebenso wie Kautschuk. Das sind Materialien, die definitiv einen zweiten Blick wert sind.

Kunststoff gilt als Verpackungsmaterial fälschlicherweise als weniger nachhaltig, Papier als sehr nachhaltig. Worin sehen Sie die Ursachen für diese Fehleinschätzungen und welchen Einfluss haben Verbraucherpräferenzen auf die Verpackungsentwicklung?

Dass Papier recycelt werden kann, ist uns schon deutlich länger vertraut, als wir es im Kunststoffbereich kennen. Für Papier existiert – zumindest in Deutschland – zudem eine eigene Entsorgungsmöglichkeit, die blaue Tonne. Kunststoffabfälle hingegen landen zusammen mit anderen Verpackungsabfällen in der Gelben Tonne oder im Gelben Sack. Was wir vermitteln müssen, ist doch Folgendes: Wenn Kunststoff im Kreislauf gehalten und hochwertig recycelt wird, dann ist er ein wertvoller Rohstoff, den wir in vielen Bereichen brauchen. Hier fehlt einfach Aufklärung.

Kunststoffkreislauf - Abfallsortierung Recycling Kreislauf Plastik Min

Wie kann diese Aufklärung aussehen?

In diesem Fall helfen keine Claims auf der Verpackung. Vielmehr müssen Unternehmen eine nachhaltige Gesamtstrategie konsequent für eine gesamte Produktlinie umsetzen. Ein gutes Beispiel ist Werner & Mertz mit ihrer Marke Frosch. Als Verbraucherin oder Verbraucher weiß ich, dass ich mich in diesem Fall auf die versprochene Nachhaltigkeit verlassen kann. Von solchen Beispielen müsste es deutlich mehr geben.

Sind Unternehmen denn nicht verlässlich?

Leider sehe ich hier oft noch eine gewisse Unentschlossenheit – Unternehmen, die noch experimentieren und abwägen, wo sie am meisten punkten können. Es gibt immer wieder Projekte, die auf mich und viele andere Verbraucherinnen und Verbraucher befremdlich wirken – zum Beispiel die Papierflasche. Plötzlich springen alle auf diesen Trend auf: Lenor, Johnny Walker, Heinz Ketchup. Carlsberg hatte das Thema einst aufgebracht und inzwischen sieht man Papierflaschen überall. In den meisten Fällen handelt es sich dabei jedoch lediglich um PET-Flaschen mit einer papierartigen Ummantelung oder mit Beuteln im Inneren. Dann gibt es Unternehmen wie zum Beispiel Coca-Cola, die tolle Entwicklungen im Bereich Kunststoff und geschlossene Kreisläufe vorweisen können. Gleichzeitig halten sie dann aber eine Papierflasche in die Höhe. Das wirkt auf Verbraucherinnen und Verbraucher inkonsequent. Wenn ich ein glaubwürdig nachhaltiges Produkt habe – mit transparenter Lieferkette und nachvollziehbaren Prozessen – und dann noch eine recycelbare Verpackung aus Rezyklat verwende, ergibt das ein stimmiges Gesamtbild.

Gleichzeitig dürfen wir bei all den aktuellen Veränderungen nicht zu ungeduldig werden. Manches braucht einfach Zeit und erfordert gute Anreize. Wenn Nachhaltigkeit, Convenience und das gesamte Konzept im System verankert sind, dann gibt es auch gute Gründe – und eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit –, dass sich tatsächlich etwas bewegt und Veränderungen auch umgesetzt werden.

Lesen Sie mehr!

Im ersten Teil unseres Interviews mit Uwe Melichar geht es um Herausforderungen, Chancen und klare Prioritäten bei der Verpackungsentwicklung, um die Vereinbarkeit von Funktionalität und Nachhaltigkeit sowie um Regulierungen, die Innovation fördern. Teil 1 finden Sie hier.