Janine Korduan ist Referentin für Kreislaufwirtschaft beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Sie setzt sich für gerechten Ressourcenschutz und systemische Lösungen gegen die ökologischen Krisen unserer Zeit ein. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie das gelingen kann – und was Politik, Wirtschaft und Gesellschaft jetzt tun müssen.
Frau Korduan, der Erdüberlastungstag wird Jahr für Jahr früher erreicht. Welche politischen und gesellschaftlichen Maßnahmen sind am dringendsten notwendig, um die ökologischen Belastungen zu verringern?
Ein zukunftsfähiges Wirtschaften muss sich an den planetaren Grenzen orientieren, soziale Gerechtigkeit eingeschlossen. Für die Kreislaufwirtschaft heißt das: Wiederverwendung vor Recycling, Recycling vor Verbrennung. Denn die Gewinnung von Primärrohstoffen ist eine der größten Treiber von Umweltzerstörung, Emissionen und Flächenverbrauch.
Dazu muss Mehrweg in allen Bereichen zum Standard werden – bei Getränken, Lebensmitteln, Kosmetik und To-Go-Produkten. Öffentliche Trinkwasserbrunnen können dazu beitragen, Einwegflaschen überflüssig zu machen. Außerdem sind auch eine flächendeckende Wertstofftonne sowie verpflichtende Bioabfallsammlungen nötig.
Was wir brauchen, ist ein systemischer Wandel, der ökologische und soziale Ziele verbindet und Ressourcenschonung ins Zentrum politischer Entscheidungen rückt.

Grafik Country Overshoot Days 2025
Quelle: Global Footprint Network 2025, www.overshootday.org and www.footprintnetwork.org
Die US-Biologin Nancy Knowlton plädiert dafür, in der Klimakommunikation verstärkt positive Entwicklungen sichtbar zu machen, um Menschen für den Klimaschutz zu gewinnen. Wie sehen Sie das?
Visionen sind wichtig, um Mut zu machen und Menschen für Veränderung zu gewinnen. Das heißt jedoch nicht, dass wir die Realität beschönigen dürfen. Für viele, gerade im globalen Süden, ist die Klimakrise längst bittere Realität. Diese Wahrheit muss sichtbar bleiben.
Wir glauben beim BUND an eine bessere Zukunft – eine sozial-ökologische Transformation, die allen zugutekommt. Es geht um schadstofffreie, haltbare und reparierbare Produkte, die für alle zugänglich und bezahlbar sind, unabhängig von Zeit, Geld oder Bildungsgrad.
Kreislaufwirtschaft muss alltagstauglich sein, auch für Menschen mit wenig Geld. Zudem benötigen wir zum Beispiel Reparaturangebote in lokalen Werkstätten. Der BUND betreibt selbst zahlreiche Reparaturcafés, die genau das ermöglichen.
Über Janine Korduan:
Janine Korduan ist Umweltingenieurin (M.Sc.) und seit 2020 Referentin für Kreislaufwirtschaft beim BUND. Dort engagiert sie sich für Ressourcenschonung, Mehrweg-Systeme und die Reduktion von Einwegplastik. Ihr umweltpolitisches Engagement begann nach dem Abitur mit einem Freiwilligenjahr bei „Friends of the Earth“ in Brüssel. Besonders prägte sie ihre Zeit in Äthiopien und Westafrika, wo sie sich mit Fragen rund um die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung beschäftigte. Von 2014 bis 2019 arbeitete Korduan bei der Heinrich-Böll-Stiftung im Bereich internationale Umweltpolitik mit Fokus auf Geoengineering.
Wie erleben Sie den politischen und medialen Diskurs zur Kreislaufwirtschaft?
Der Diskurs zur Kreislaufwirtschaft ist wichtig – und er ist notwendig konfliktgeladen mit den unterschiedlichen Interessenlagen. In der Politik stehen Entscheidungsträger häufig unter starkem wirtschaftlichem Druck. Die Medien wiederum bewegen sich im Spannungsfeld zwischen aufklärerischem Anspruch und Aufmerksamkeitslogik. Und auch innerhalb der Umweltbewegung führen wir durchaus kontroverse, aber konstruktive Debatten darüber, welcher Weg der wirksamste ist.

Quelle: BUND
Fest steht für uns: Der Markt allein wird die Transformation nicht leisten. Freiwillige Lösungen reichen nicht aus, das zeigt ein Blick auf den grünen Punkt, der seit über 30 Jahren existiert. Trotzdem steigen die Verpackungsmüllmengen weiterhin an.
Wir brauchen deshalb verbindliche politische Leitplanken und klare Vorgaben. Ein zentraler Schritt wäre ein Ressourcenschutzgesetz – analog zum Klimaschutzgesetz –, das den Rahmen für eine absolute Reduktion des Ressourcenverbrauchs schafft. Immerhin: In der nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) ist dieses Ziel mittlerweile verankert, ein wichtiger Fortschritt. Nun gilt es, diesen Anspruch mit konkreten und wirksamen Maßnahmen zu hinterlegen.
Wie bewerten Sie die aktuelle Diskussion rund um die EU-Verpackungsverordnung (PPWR), und welche Erwartungen richten Sie an Hersteller, Abfüller und Recycler?
Wir begrüßen, dass die PPWR erstmals verbindliche Vorgaben zur Abfallvermeidung und Mehrwegförderung enthält, das ist ein wichtiger Schritt. Allerdings sind die angestrebten Quoten zu niedrig, und wichtige Bereiche wie Lebensmittel im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) oder Kosmetik bleiben außen vor. Ein großes Problem ist die Zersplitterung durch unternehmenseigene Einzellösungen, etwa bei Mehrwegbehältern aller Art. Das ist weder effizient noch ökologisch sinnvoll. Es braucht stattdessen gemeinsame Standards und Infrastrukturen sowie eine geteilte Verantwortung entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

Weniger Lebensmittelverderb dank Plastikverpackung

Weniger Verderb von Lebensmitteln dank Plastikverpackung
Auch beim Recycling besteht Aufholbedarf: Verpackungen wurden lange rein funktional gedacht, Recyclingfähigkeit spielte kaum eine Rolle. Heute müssen Hersteller und Recycler enger kooperieren, strategisch und technisch. Dabei ist Transparenz ein entscheidender Faktor. Methoden wie die Massenbilanzierung täuschen Recyclinganteile vor, die im Produkt gar nicht enthalten sind. Um echte Kreislaufwirtschaft erkennen zu können, benötigen Verbraucher klare, überprüfbare Informationen. Transparenz und Vertrauen sind ein Schlüssel für Akzeptanz. Hier haben Unternehmen und Umweltschützer eigentlich ganz ähnliche Interessen.
Die Massenbilanzierung beschreibt den rechnerischen Anteil nachhaltiger Rohstoffe – wie Rezyklate oder biobasierte Materialien – in einem Kunststoff oder Endprodukt. Dabei handelt es sich um eine methodische Zuordnung, die das Verhältnis zwischen nachhaltigen und konventionellen Rohstoffen quantitativ abbildet, ohne dass sich dies zwangsläufig physisch im Produkt widerspiegeln muss.
Wie bewerten Sie aktuelle Entwicklungen in der Industrie – sehen Sie echte Fortschritte?
Es bewegt sich etwas. Der wachsende Druck von der Verbraucherseite, aus der Politik und der Öffentlichkeit zeigt Wirkung. Immer mehr Unternehmen sind bereit, Verantwortung zu übernehmen, und es entstehen vielversprechende Innovationen.
Gleichzeitig dürfen wir die Realität nicht aus den Augen verlieren. Noch immer werden in Deutschland über 60 Prozent der Kunststoffverpackungen verbrannt, auch im Jahr 2025 hat sich daran kaum etwas geändert. Das zeigt, wie begrenzt die Wirkung einzelner Initiativen bleibt. Damit sich das wirklich ändert, braucht es mehr als gute Ansätze. Wir brauchen einen grundlegenden Wandel mit Gesetzen und gezielter Förderung – und vor allem eine bessere, flächendeckende Infrastruktur, die eine funktionierende Kreislaufwirtschaft überhaupt erst ermöglicht.
In welchem Rahmen beschäftigt sich der BUND mit dem Thema „Schadstoffe in Kunststoffverpackungen“?
Der BUND weist zum Beispiel PFAS – Chemikalien mit hoher Umwelt- und Gesundheitsrelevanz – in Produkten nach. Wir fordern eine schadstofffreie Kreislaufwirtschaft. Die Chemikalienstrategie der EU muss jetzt konsequent umgesetzt werden. Sie sieht eine Überarbeitung der PFAS-Regulierung, ein Verbot besonders gefährlicher Stoffe sowie Anpassungen der REACH-Verordnung vor – zunächst für Verbraucherprodukte, langfristig auch für industrielle Anwendungen.
Zudem braucht es eine Registrierungspflicht für alle relevanten Polymere unter REACH, um echte Transparenz über Inhaltsstoffe herzustellen. Eine Vereinfachung von REACH darf nicht auf Kosten des Schutzes gehen. Ziel muss sein, Behörden zu entlasten und Verfahren zu beschleunigen – etwa durch die gruppenweise Regulierung schädlicher Chemikalien statt Einzelbewertungen. Beispiele wie der Ersatz von BPA durch BPS oder problematische Weichmacher zeigen: Schadstofffreiheit muss zum Standard werden – nur so kann Kreislaufwirtschaft funktionieren.
REACH steht für „Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals“ und ist die europäische Chemikalienverordnung (EG) Nr. 1907/2006. Sie ist am 1. Juni 2007 in Kraft getreten und ist eine der weltweit strengsten Regelungen für den Umgang mit chemischen Stoffen. REACH verfolgt das Ziel, Gesundheit und Umwelt vor Chemikalienrisiken zu schützen, Transparenz durch Registrierungspflichten für Hersteller und Importeure zu schaffen, sichere Alternativen zu besonders besorgniserregenden Stoffen zu fördern und die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Chemiebranche durch Innovation zu stärken.
Die IK sieht Deutschland auf dem Weg zum innovativsten Circular-Economy-Standort. Wie schätzen Sie diese Vision aus Sicht des BUND ein?
Deutschland hat das Potenzial, als rohstoffarmes Land zum Vorreiter einer echten Ressourcenwende zu werden. Die Einschätzung der IK, Kreislaufwirtschaft sei ein „ökologisches Muss“, teilen wir. Angesichts steigender Rohstoffpreise bietet sie auch wirtschaftliche Chancen – etwa für neue Arbeitsplätze in Vermeidung, Wiederverwendung und hochwertigem Recycling.
Klar ist aber auch: Recycling allein wird nicht reichen. Entscheidend ist, den Bedarf an Primärrohstoffen spürbar zu senken. Es darf keine Illusionen über Kreisläufe geben, die in der Praxis nicht funktionieren – weil sie zu energieintensiv sind, hohe Verluste verursachen oder ständig neue Rohstoffe benötigen. Deshalb fordern wir eine echte Ressourcenwende – klimawirksam, sozial gerecht und für alle zugänglich. Die Industrie muss dabei Verantwortung übernehmen. Sie trägt maßgeblich zur Umweltbelastung bei und verfügt über die Mittel, in zukunftsfähige Infrastrukturen zu investieren. Die EU-Kommission hat längst erkannt, dass genau diese Infrastruktur der Schlüssel für funktionierende Kreisläufe ist. Wohlstand, Freiheit und Sicherheit sind in einem ressourcenarmen Land nur mit konsequentem Ressourcenschutz zu sichern.
Wie sieht Ihre persönliche Vision für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft aus?
Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der Ressourcenschutz gesetzlich verankert ist – mit klaren Zielen, messbaren Erfolgen und einer echten Steuerung von Wirtschaft und Konsum. Kreislaufwirtschaft sollte nicht nur ein Schlagwort sein, sondern gelebte Realität.
Das bedeutet: schadstofffreie, haltbare, reparierbare Produkte. Flächendeckende Infrastrukturen für Mehrweg, Rückgabe und Wiederverwendung. Kooperation statt Insellösungen – besonders zwischen Herstellern, Recyclern und politischen Entscheidungsträgern. Und nicht zuletzt: eine neue Debatte über unsere gesellschaftlichen Werte. Maja Göpel hat mit ihrem Vorschlag zu einem neuen Wohlstandsverständnis („Wohlstand, Freiheit, Sicherheit“) einen wichtigen Impuls gesetzt. Diesen müssen wir aufnehmen.
Wirklich zukunftsfähig ist unsere Gesellschaft nur, wenn sie soziale und technologische Innovationen zusammendenkt – und Umweltgerechtigkeit zum Maßstab ihres Handelns macht.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Korduan.
BUND
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) ist mit insgesamt über 674.000 Mitgliedern und Unterstützern einer der größten Umweltverbände Deutschlands. Seit 50 Jahren engagiert er sich unter anderem für eine ökologische Landwirtschaft, den Klimaschutz, den Schutz bedrohter Arten, des Waldes und des Wassers. Finanziert durch Spenden und Mitgliedsbeiträge ist der BUND unabhängig von Politik und Wirtschaft.

Logo BUND 2024
Quelle: BUND