Interview mit Heike Vesper, Vorständin beim WWF Deutschland
Die Biologin Heike Vesper ist seit mehr als 20 Jahren beim WWF Deutschland tätig und mittlerweile als Vorständin für Transformation, Politik und Wirtschaft für die strategische Ausrichtung verantwortlich. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie Politik, Industrie, Gesellschaft und NGOs gemeinsam die Transformation hin zu einer nachhaltigen Zukunft erreichen können.
Unser Konsum macht den größten Anteil der Treibhausgasemissionen pro Kopf aus. Warum fällt uns nachhaltiger Konsum oft so schwer und wie finden wir als Gesellschaft zugängliche Ansätze?
Der Großteil der Emissionen, die an Konsumgütern haften, entsteht durch die Produktionsweise von Gütern und Dienstleistungen und nicht durch Konsumentinnen und Konsumenten. Deshalb haben Verbraucherinnen und Verbraucher auch nur bedingten Einfluss, diese Emissionen zu verändern.
Wir benötigen definitiv Rahmenbedingungen für Bereiche wie eigene Mobilität, unser Konsumverhalten im Lebensmittelbereich und das Wohnen, das für 70 bis 80 Prozent unseres individuellen Fußabdrucks im CO2-Bereich verantwortlich ist. Der Veränderungsprozess ist eine gemeinschaftliche Aufgabe von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Verhaltensänderungen gehören zum das Kompliziertesten, was man erreichen möchte. Wir benötigen auf jeden Fall niedrigschwellige Angebote, damit es den Konsumentinnen und Konsumenten leichtfällt etwas zu verändern.
Mit welchem Mechanismus sollte man an Verbraucherinnen und Verbraucher appellieren, damit sie ihr Verhalten ändern?
Es wäre fatal, alles auf die Schultern der Konsumentinnen und Konsumenten zu legen. Für Verbraucherinnen und Verbraucher muss es leicht sein, die bessere Alternative zu wählen. Wenn man z.B. als Hersteller ein Versprechen gibt, muss man es auch erfüllen – das heißt, nachhaltige Produkte verfügbar machen. Wir brauchen die Politik, um einen vernünftigen Rahmen zu setzen, damit die Wirtschaft eine Ebene hat, auf der sie agieren kann. Nur so gibt es einen ehrlichen Wettbewerb, bei dem für alle die gleichen Regeln gelten.
Auch die Wirtschaft kann alleine Impulse setzen. Denn oftmals dauert es bis zu zehn Jahre, bis ein Gesetz durch alle Instanzen durch ist. Unternehmen und Branchen können hier viel schneller sein und aus eigener Verantwortung handeln. Um zukunftsfähig zu sein, können sie Dinge verändern und entsprechende Angebote machen. Trotzdem sollte man weiter an das Verantwortungsgefühl der Konsumenten und Konsumentinnen appellieren. Wenn wir 80 Prozent der Gesellschaft bewegen können, Dinge zu verändern, dann müssen wir uns keine Sorgen mehr machen.
An welchen Stellschrauben muss man hier ansetzen?
Für die Transformation brauchen wir einen tiefgreifenden Wandel unser Lebens- und Wirtschaftsweise, weil wir vor der dreifachen Herausforderung stehen: Die Klima- Biodiversitäts- und die soziale Krise müssen gemeinsam gelöst werden. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für Lösungsansätze brauchen wir Allianzen.
Oft erlauben uns Entwicklungen, an mehreren Enden gleichzeitig zu arbeiten. Das Plastikproblem ist ein gutes Beispiel: Dass Kunststoffverpackungen in der Umwelt landen, ist schon seit über 15 Jahren ein Problem. Es hat aber niemanden interessiert, auch wenn es schon länger Unternehmen und Branchen gab, die daran gearbeitet haben, Alternativen zu finden. Aber erst, seit es den öffentlichen Sturm gegeben hat, wurde das Problem als solches wahrgenommen und es wurde gehandelt.
Ich habe in meiner Zeit als Umweltschützerin noch nie erlebt, dass ein Gesetz auf EU-Ebene innerhalb von sechs Monaten verabschiedet wurde. Bei dem Gesetz zur Reduzierung des Plastikmülls ging das so schnell, weil die öffentliche Meinung dahintergestanden hat. Die Politik hat die Dringlichkeit dann plötzlich erkannt.
Um Dinge zu ändern, muss es zudem Frontrunner geben, die versuchen ein Problem trotz aller Hindernisse zu lösen – sie fangen meist klein an. Sobald Unternehmen erkennen, dass eine gesetzliche Regulierung kommen wird, gibt es in der Regel den größten Veränderungsschub. Sie warten dann nicht, bis das Gesetz da ist, sie fangen schon vorher an, beispielsweise ihre Produktion umzustellen. Das zieht dann auch den gesetzgeberischen Rahmen nach vorn.
Wir brauchen ein ganzes Orchester, um das Problem zu lösen. Dabei muss jeder in seiner geteilten Verantwortung darauf hinarbeiten.
Sie als NGO beschäftigen sich grundsätzlich mit den Fragen zu Nachhaltigkeit und Circular Economy. Welche Rolle können beide im Prozess einnehmen, um einen nachhaltigen Konsum von Verpackungsmaterial zu fördern?
Circular Economy ist der Schlüssel, um innerhalb der Grenzen eines Planeten zu leben und zu arbeiten. Die meisten Probleme für den CO2-Fußabdruck und den Biodiversitätsverlust lassen sich lösen, indem ein zirkuläres Wirtschaften etabliert wird. Das ist ein weiter Weg, den wir in Etappen gehen müssen. Unsere Studie „Modell Deutschland für Circular Economy“ betrachtet für sieben Sektoren, wie tatsächlich eine Kreislaufwirtschaft erreicht werden kann. Neben den Rahmenwerken seitens der Politik zeigen wir auf, was die Industrie tun muss und was Konsumentinnen und Konsumenten wissen müssen.
Wie sehen die nächsten Schritte aus, um eine Circular Economy in Deutschland ganzheitlich und langfristig aufzubauen?
Wir müssen es schaffen, das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Sonst haben wir ein Riesenproblen, denn die natürlichen Ressourcen des Planeten sind endlich.
Circular Economy ist ein Schlüssel zum Erfolg. Wir stehen am Anfang und es wird noch viele Weichenstellungen brauchen, denn wir müssen noch viel über ihre Entwicklung lernen. Marktkräfte, sprich Unternehmen allein, können das nicht stemmen. In diesem Bereich spielt Regulatorik eine wirklich große Rolle, weil sie die Richtung vorgibt und Hemmnisse wirksam adressieren kann.
Was kann die Politik hier konkret tun?
In unserer Studie geben wir der Politik einen Blueprint an die Hand mit den nächsten Schritten. Einer der wichtigsten – und der uns am meisten am Herzen liegt – ist ein Ressourcenschutzgesetz, analog zum Klimaschutzgesetz. Es muss das Endziel für den Ressourcenverbrauch vorgeben, beispielsweise in den nächsten zehn, 20 Jahren. Gibt es hier eine Begrenzung, dann deklinieren sich die Maßnahmen für die Zielerreichung automatisch darunter.
Um die Kosten dafür zu decken, benötigen wir ökonomische Instrumente wie Subventionen. Da es kein zusätzliches Geld geben wird, müssen umweltschädliche Subventionen in ein positives Anreizsystem für das richtige Handeln gewandelt werden. Wir brauchen einen Mechanismus, der das mitfinanziert, indem die Grundressource besteuert wird. Sie muss vom Erst-Inverkehrbringer gezahlt werden. Zudem muss sich die Steuer am CO2-Fußabdruck des Materials ausrichten, damit sich der Einsatz nachhaltiger Materialien lohnt. Nehmen wir beispielsweise Kunststoff: Wenn der Rezyklatanteil im Produkt hoch ist, ist die Steuer etwas geringer. So lassen sich Anreizsysteme aufbauen, die diese Transformation mitfinanzieren. Das halten wir vom WWF für zentral.
Finden Sie Mitstreiter in Unternehmen und Industrie bei diesem Thema?
Uns ist es sehr wichtig, Probleme nicht nur aufzuzeigen, sondern auch praktikable Lösungen zu finden. Wir arbeiten mit Unternehmen zusammen, die sich genau damit beschäftigen, z. B. wie sich mehr Rezyklat in Produkten einsetzen lässt. Dabei gibt es viele Herausforderungen in punkto Haltbarkeit, UV-Beständigkeit, Lebensmittelechtheit und auch in der Grundstoffverfügbarkeit. In den Partnerschaftsverhältnissen mit Unternehmen sind wir zudem auf einer übergeordneten Ebene in der Diskussion.
Kunststoff ist oft die aus ökologischer Sicht bessere Alternative. Warum hat Kunststoff – und im Speziellen Kunststoffverpackungen – dennoch ein so schlechtes Image?
Bei Verpackungen aus Kunststoff, die nicht sachgerecht entsorgt werden und in der Umwelt landen, hat jeder von uns direkt bestimmte Bilder vor Augen. Und das zurecht, denn Plastikmüll im Ozean, in der Natur ist ein Riesenproblem. Die OECD prognostiziert, dass die Anzahl der Kunststoffverpackungen in den nächsten Jahrzehnten noch weiter ansteigen wird. Wenn wir es nicht schaffen die Herstellung zu reduzieren und global vernünftige Abfallentsorgungssysteme zu etablieren, werden wir ein wachsendes Abfallproblem haben.
Sollte Plastik verboten werden?
Es gibt Bereiche, in denen Plastik nicht wegzudenken ist. Allein im medizinischen Bereich, oder bei der Haltbarkeit von Lebensmitteln spielt Kunststoff eine sehr wichtige Rolle. Ohne Plastik würden wir deutlich mehr Lebensmittel wegwerfen. Denn Kunststoffverpackungen sorgen dafür, dass Lebensmittel länger frisch bleiben. Wir sehen aber auch viele übertriebene, überflüssige Verpackungen. Es gibt zwischen beiden Extremen viele Möglichkeiten, Dinge besser zu machen.
Was müssen wir konkret ändern?
Wir werden nicht umhinkommen, weniger Verpackungen zu produzieren und existierende Verpackungen länger zu nutzen. Zudem ist in Zukunft Mehrweg in bestimmten Anwendungsbereichen absolut sinnvoll, wie beispielsweise bei Getränken. Diese Bereiche müssen wir weiter ausbauen.
Darüber hinaus gibt es Bereiche, in denen Konsumentinnen und Konsumenten Mehrweg noch nicht gewöhnt sind, wie beispielsweise beim Coffee-to-go-Becher oder Speisen zum Mitnehmen. Bislang stehen diese Verpackungen oftmals noch ganz hinten in der Ecke und werden nur aufgrund der gesetzlichen Mehrwegangebotspflicht überhaupt angeboten. Es gibt allerdings ein Experiment, bei dem per se Mehrwegverpackungen angeboten wurden. Die Konsumentinnen und Konsumenten mussten gezielt nach Einweg fragen, wenn sie Mehrweg nicht mit sich herumtragen wollten. Und das hat funktioniert!
Generell haben wir in Deutschland ein gutes Abfallwirtschaft-Management-System, auch für Einwegverpackungen. Aber wir wissen, dass die Recyclingquoten viel zu gering sind.
Warum ist das Ihrer Meinung nach so?
Oftmals ist aufgrund der Materialzusammensetzung kein Recycling möglich. An diesen Stellschrauben muss gedreht werden. Und die Konsumentinnen und Konsumenten und Hersteller müssen verstehen, dass es nicht nur schwarz und weiß gibt. Diese Ausweichbewegung, alles mit Papiermaterial machen zu wollen, löst das Problem nicht. Denn wir haben nicht so viele Wälder, um den Bedarf an Verpackungsmaterial zu decken. Ein gesundes Wald-Ökosystem, das Sauerstoff produziert und Wasser in der Landschaft hält, muss bestehen bleiben. Zudem brauchen wir Holz für andere Dinge, beispielsweise für nachhaltiges Bauen.
Die Kunststoffindustrie befindet sich aktuell in einem starken Transformationsprozess. Wie nehmen Sie diesen wahr?
Aus Sicht eines Umweltverbandes kann es natürlich immer noch schneller gehen. Doch wir merken unter anderem im politischen Diskurs, dass es große Veränderungen gibt. Es wurde bereits einiges auf den Weg gebracht. Es gibt jedoch auch starke Lobby-Kräfte aus der Kunststoffindustrie, die vehement Einfluss auf die Politik nehmen, um wirksame Regeln zu verhindern. Dabei handelt es sich nicht um die deutsche Kunststoffindustrie, sondern eher um international angesiedelte Unternehmen der Fossil-Industrie.
Den Weg, den die Kunststoffindustrie hierzulande eingeschlagen hat, geht in die richtige Richtung. Man darf nur nicht nachlassen, auch wenn der Weg noch länger ist. Und wir könnten Tempo brauchen. Die Industrie könnte die Politik auch herausfordern und schneller vernünftige Rahmenwerke fordern. Denn gerade im internationalen Wettbewerb, benötigen Unternehmen auf EU-Ebene eine Regulierung, die Klarheit schafft.
Wirtschaftsverbände werden oftmals in den Medien mit dem negativ geprägten Lobbyismus verbunden und nicht als Interessenvertretung positiv konnotiert. Woran liegt das?
In der Vergangenheit hat man weder von den Industrieverbänden noch von der Industrie gehört, dass Probleme erkannt und verstanden wurden. Für die Wirtschaft ist es eine große Herausforderung, anders zu agieren und sich der Problemlösungen zu stellen.
Wir führen viele Gespräche mit Interessenverbänden aus der Wirtschaft und haben bereits zwei Initiativen gemeinsam gestartet. Wenn wir gemeinsam auftreten, hat das eine andere Wirkkraft und es ist uns wichtig, das auch so darzustellen. Denn wir können einen gemeinsamen Weg finden, der einen Unterschied macht.
Vielen Dank Frau Vesper für das sehr interessante Gespräch.
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Über Heike Vesper:
Heike Vesper ist diplomierte Biologin mit dem Schwerpunkt Meeresbiologie. Nach ihrem Studium an den Universitäten Bremen und Amsterdam hat sie ihre berufliche Laufbahn im Jahr 1999 beim WWF Deutschland begonnen. Seit 2000 leitete sie das Meeresschutzprogramm des WWF Deutschland, wo sie sich für den Schutz gefährdeter Meerestiere und die Reduzierung von Plastikverpackungen einsetzte. Seit 2023 ist sie Mitglied des Vorstandes des WWF Deutschland und verantwortlich für die Bereiche Politik und Wirtschaftstransformation.
Über den WWF:
Der World Wide Fund for Nature (WWF) gehört zu den weltweit wichtigsten Umweltschutz-Organisationen. Dabei ist der WWF Deutschland selbständiger Teil der internationalen Naturschutzorganisation. Der WWF will die weltweite Zerstörung der Natur und Umwelt stoppen und eine Zukunft gestalten, in der Mensch und Natur in Einklang miteinander leben.