Nachhaltige Verpackungen – sie zu entwickeln, ist genauso vielfältig wie komplex. 80 Prozent der Entscheidungen am Anfang des Lebenszyklus, also in einer sehr frühen Designphase, sind maßgeblich dafür verantwortlich, welche Verpackung am Ende entsteht und welche Umweltauswirkungen sie hat. Genau dafür braucht es Verpackungsdesigner wie Uwe Melichar. Im ersten Teil unseres Interviews spricht der Experte über Herausforderungen, klare Prioritäten bei der Verpackungsentwicklung und Regulierungen, die Innovation fördern können.
Welche Weichen können Verpackungsentwickler und -designer in Sachen Recyclingfähigkeit stellen – und wer zählt auf Ihre Kompetenzen?
Langfristig orientierte Unternehmen mit nachhaltigen Strategien, die zum Beispiel im Sinne der PPWR (Packaging and Packaging Waste Regulation) ihre CO₂-Reduktionsziele erreichen wollen, sind diejenigen, die sich unsere Unterstützung und unsere Lösungen einholen. Steht eine nachhaltige Strategie für ein Produkt, eine Marke oder sogar ein ganzes System fest, ist es aus meiner Sicht essenziell, den Austausch mit denjenigen zu suchen, die die Umsetzung ermöglichen. Denn nur, wenn ein Unternehmen von Anfang an mit einer entsprechenden Agentur zusammenarbeitet, eröffnet sich die gesamte Bandbreite dessen, was in Sachen Nachhaltigkeit, Recyclingfähigkeit und Ästhetik möglich ist – nicht nur das, was ein Hersteller mit seinem Maschinenpark realisieren kann oder welche Materialien dort gerade im Fokus stehen.
Über Uwe Melichar:
Uwe Melichar, geboren 1968, ist seit April 2024 Partner Europe bei der Agentur für Structural Packaging Innovation Touch Design und führt das europäische Geschäft. Zuvor studierte er Kommunikationsdesign an der Kunsthochschule in Kiel und war 25 Jahre lang geschäftsführender Gesellschafter bei der Markenagentur FACTOR. Im Jahr 2020 gründete er sein Unternehmen MELICHAR Bros., das er über vier Jahre führte und das sich bis heute auf nachhaltige Verpackungslösungen konzentriert. Uwe Melichar hat bereits Projekte für adidas, Nestlé, Bosch, C&A, Gardena und Miele realisiert. Gemeinsam mit seinem Team entwickelt er heute Verpackungs- und Kommunikationsdesigns für Kunden in Asien, den USA und Europa. Darüber hinaus ist er Dozent an mehreren Universitäten, wie der Universität Augsburg und der CYUT in Taiwan. Er sitzt in der Jury des Red Dot und des Deutschen Verpackungspreises, ist Mitglied des Type Directors Club New York und Präsident der European Brand & Packaging Design Association (epda).

Portrait Uwe Melichar, Partner Europe bei der Agentur für Structural Packaging Innovation Touch Design
Copyright: Touch Design
Woher wissen Sie, welches die nachhaltigste Verpackung für ein Produkt ist?
Geht es um die Entwicklung nachhaltiger Verpackungen, sind die Gegebenheiten entscheidend. Wiederverwendbare Verpackungen sind beispielsweise ein Thema, das uns in der Praxis sehr häufig begegnet. Hier gilt es, sehr genau hinzuschauen: An vielen Stellen ergibt eine Mehrweglösung durchaus Sinn, an anderen wiederum überhaupt nicht. Die Entwicklung einer Sneaker-Verpackung bringt ganz andere Anforderungen mit sich als die einer Käseverpackung. Zudem unterscheiden sich die Erwartungen der Konsumentinnen und Konsumenten sowie das Kaufverhalten im internationalen Vergleich stark. Daher muss man in Entwicklungs- oder Schwellenländern andere Verpackungsmaterialien einsetzen und andere Konzepte entwickeln als in Westeuropa oder Deutschland mit hochentwickelten Systemen.
Welche Entscheidungskriterien gibt es dabei?
Nachhaltigkeit hängt von zahlreichen Faktoren ab: Um welches Produkt handelt es sich? Wo wird es gehandelt? Wie wird die Verpackung hergestellt, wie wird sie bedruckt und veredelt? Wie erfolgt der Transport, das Befüllen, die Lagerung? Wie steht das Produkt im Regal? Wie geht es nach dem Kauf weiter? Wo wird das Produkt zu Hause abgestellt? Wie wird es entnommen? Wie lassen sich die Verpackungen wieder verschließen? Und was passiert, nachdem die Verpackung nach Gebrauch in der Gelben Tonne oder im Gelben Sack gelandet ist? Erst wenn diese Parameter genau analysiert wurden, lässt sich eine Lösung finden, die tatsächlich nachhaltig ist.
Wie lassen sich Funktionalität und ästhetisches Design am besten mit Nachhaltigkeit verbinden?
Wichtig ist: Es dürfen keine Störfaktoren im gesamten Prozess verbleiben. In diesem Zusammenhang gilt für mich eine klare Priorität: Gesundheit, Sicherheit und Nachhaltigkeit – in genau dieser Reihenfolge. Zunächst muss sichergestellt sein, dass durch die Verpackung keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen entstehen, etwa durch Migration von Stoffen oder andere Risiken. Gerade bei Spielzeugen und Lebensmitteln gibt es hierzu strenge gesetzliche Vorgaben. Danach folgt die Produktsicherheit: Das verpackte Produkt muss unversehrt und frisch bei Verbraucherinnen und Verbrauchern ankommen. Erst, wenn diese beiden Punkte gewährleistet sind, kann man sich Gedanken zur Nachhaltigkeit machen.
Gibt es typische Kompromisse, die man dabei eingehen muss?
Wir dürfen keine schlechten Kompromisse eingehen. Nichtsdestotrotz gibt es bei der Verpackungsentwicklung mitunter Einschränkungen, die man akzeptieren muss. Ein Beispiel: Ersetzt man eine klassische Flow-Wrap-Kunststoffverpackung bei Schokolade durch Papier, kann das unter Umständen die Mindesthaltbarkeit verkürzen. Solche Veränderungen sind vertretbar, wenn sie gegenüber Handelspartnern und Konsumierenden transparent kommuniziert werden. Ob sie jedoch auch im größeren Zusammenhang, etwa hinsichtlich der Ökobilanz einer Verpackung, sinnvoll sind, muss man im Einzelfall beurteilen.
Welche Fehler machen Unternehmen, wenn es um die Recyclingfähigkeit von Verpackungen geht?
Viele Unternehmen setzen bei der Entwicklung recyclingfähiger Verpackungen vermehrt auf faserbasierte Lösungen – oft, weil diese als besonders nachhaltig gelten. Doch das ist nicht immer die beste Wahl. Faserbasierte Verpackungen können in bestimmten Fällen sinnvoll sein, in anderen schneiden jedoch Materialien wie Kunststoffe ökologisch besser ab. Als neutrale Experten beraten wir Unternehmen objektiv und zeigen mithilfe von Lebenszyklusanalysen auf, wann Alternativen wie Kunststoffe überlegen sind.
Generell stimmt es, dass Design for Recycling und Kompostierung wichtige Aspekte von Verpackungen sind – aber nicht die einzigen. Gemäß der Abfallhierarchie sollte zunächst geprüft werden, ob sich Verpackungsteile vermeiden lassen oder eine Wiederverwendung möglich ist. Ein kompletter Verzicht auf Verpackung ist allerdings meist nicht realistisch.
Gibt es bestimmte Verpackungskategorien oder Anwendungsbereiche, in denen die Umstellung auf nachhaltiges Design oder eine bessere Recyclingfähigkeit besonders schwierig ist – wenn ja, warum und was könnte eine Lösung sein?
Der Bereich Pharma ist spannend, denn dort gibt es strenge Anforderungen, die nicht einfach zu berücksichtigen sind. Auch der Bereich der Lebensmittelverpackungen kann herausfordernd sein. Hier begegnet mir häufig das Argument, dass man keine Rezyklate einsetzen könne. Das stimmt nicht, wenn man die Herkunft des Materials berücksichtigt. Dann ist der Einsatz von Rezyklaten sehr wohl realisierbar und es gibt hervorragende Recyclinglösungen mit Kunststoffen. Wichtig ist, dass man die Kreisläufe schließt. Das Problem ist jedoch auf der einen Seite der Preis des Materials, auf der anderen Seite die Verfügbarkeit. Beides ist stark an den Rohölpreis gekoppelt. Steigt dieser, werden Rezyklate plötzlich sehr gefragt. Sinkt er, verlieren sie an Attraktivität.
Bis 2030 müssen alle Verpackungen recyclingfähig sein. Wie bewerten Sie diese gesetzlichen Vorgaben zur Recyclingfähigkeit von Verpackungen in der PPWR?
Ich empfinde diese Regulierung nicht als Einschränkung, sondern als notwendige Maßnahme, die nicht komplett in Frage gestellt werden darf. Natürlich muss man Details diskutieren. Dass Unternehmen diesen Zeitrahmen beispielsweise im Hinblick auf die Verfügbarkeiten von Materialien einhalten können, halte ich für unwahrscheinlich. Für Verpackungsdesigner gibt es natürlich gewisse Rahmenbedingungen. Etwa, dass das Volumen und das Gewicht dem Produkt und seinem Schutz angemessen sein muss. Das bietet sicherlich einigen Spielraum. Aber man darf zukünftig eine Whiskey-Flasche nicht mehr mit einem zehn Zentimeter dicken Glasboden ausstatten. Das mag zwar hochästhetisch sein, aber aus nachhaltiger Sicht ist es gut, dass dies nicht mehr erlaubt ist. Wenn Designer die Herausforderung suchen, können sie ja genauso gut das Gegenteil extrem designen und die leichteste Flasche der Welt herstellen. Es gibt so viel Spielraum, so viele Möglichkeiten, dass man das als Designer durchaus als Challenge empfinden sollte, sich dabei im vorgegebenen Rahmen zu bewegen.
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Von Regulierungen und Entscheidungsfaktoren in die praktische Anwendung: Im zweiten Teil unseres Interviews sprechen wir mit Uwe Melichar über Best und Bad Practices verschiedener Unternehmen sowie aktuelle Verpackungstrends. Er erklärt, wieso es wichtig ist, Gewohnheiten von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu verstehen, wo Aufklärung ansetzen muss – und wieso es seitens der Unternehmen ganzheitliche Verpackungslösungen braucht, die Funktionalität, Nachhaltigkeit und Kundenbedürfnisse gleichermaßen berücksichtigen. Teil 2 finden Sie in Kürze hier im Newsroom.