„Die spannendste Aufgabe für Nachwuchskräfte: Verwertung schon in der Produktion mitdenken“

Portrait Eleonore Eisath

© Eleonore Eisath

Die besten „Mitarbeiter“ und heimlichen Stars ihres Startup-Projekts sind winzige Würmer und Mikroben: Eleonore Eisath gehört zum Kreis der „Kunststoffverbesserer“ – und damit zu den Young Talents, die die Zukunft von Kunststoffverpackungen und eine funktionierende Kreislaufwirtschaft mitgestalten. Die 1992 geborene Südtirolerin ist nicht nur hauptberuflich Business Development Managerin sowie Leiterin des Innovation Labs der Frankfurter Verpackungsdesignagentur MILK. und damit Expertin für nachhaltige Verpackungslösungen sowie strukturelle Herausforderungen im Design. Sie ist auch Gründerin des Startup-Projekts „beworm“, das an der Entwicklung eines Recyclingverfahrens arbeitet, das mit der Kraft der Natur Kunststoffabfälle in Rohstoffe zersetzt.

Kleine Organismen als Anstoß der großen Idee

Eleonore Eisaths Einstieg in die Kunststoffbranche führte über Umwege: Nach ihrem Bachelorabschluss an der Università Iuav di Venezia (IUAV) stand der studierten Industriedesignerin erstmal der Sinn nach anderem. Sie reiste ein Jahr durch Neuseeland, Australien und Südostasien, bevor sie in München in der Produktentwicklung von Sportartikeln tätig war. Schnell wurde klar: die Sinnhaftigkeit fehlt, der Wunsch nach einer Tätigkeit mit einem Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit wurde größer. Diesen erfüllte sie sich im Masterstudium Industriedesign an der TU München mit Fokus auf der Entwicklung von nachhaltigen und gut durchdachten Lösungen.

Bereits zu Beginn des Studiums stieß sie auf Forschungen zu Mikroorganismen, die Kunststoffe abbauen konnten. „Dieses enzymatischen Recycling faszinierte mich sehr. Nachdem ich das Thema in mehreren Projekten und in meiner Masterarbeit tiefer beleuchtet hatte, entschloss ich mich schließlich, beworm zu gründen“, erinnert sie sich an den Stein des Anstoßes. Drei Jahre nach der Gründung zeigt sich, dass der Aufbau eines Startups im Biotechnologie-Bereich sehr kosten- und zeitintensiv ist. Doch es bietet sich die Chance, beworm als Forschungsprojekt am Lehrstuhl Funktionsmaterialien für Lebensmittelverpackungen der TU München weiterzuverfolgen. „Wissenschaft war allerdings nie mein Ziel. Ich wollte mich eher in Richtung Industrie weiterentwickeln, um noch mehr über die realen Probleme und potenziellen Stellschrauben zu lernen. Große Hoffnung habe ich auf das Design-for-Recycling-Prinzip gesetzt, weshalb ich im November 2023 begeistert den Lead des Innovation Labs der Frankfurter Verpackungsdesignagentur MILK. übernommen habe“, erzählt Eisath.

Frau Eisath, was begeistert Sie an Kunststoffen und was macht die Kunststoffbranche aus Ihrer Sicht für Nachwuchskräfte so interessant?

„Als Industriedesignerin schätze ich Kunststoffe als Werkstoffe für ihre Leichtigkeit, Stabilität und Vielfältigkeit. Bei aller Kritik an diesem Material vergessen wir oft, wie viele funktionale, hochperformante Kunststoffe uns das Leben erleichtern. Meiner Meinung nach sind nicht die Kunststoffe das Problem, sondern unser Umgang damit. Wir haben noch nicht gelernt, sie richtig im Kreislauf zu führen, weil es verhältnismäßig neue Materialien sind. Für mich ist das die spannendste Aufgabe für Nachwuchskräfte im Kunststoffbereich, die es zu knacken gilt: die Verwertung schon in der Produktion mitzudenken und Abfälle als Ressource zu sehen. Design for Recycling beispielsweise beginnt bereits mit der Produktion des Granulats. Wir müssen Kunststoffe schon in der Produktion für den späteren Abbau optimieren und somit das Problem von zwei Seiten angehen. Es gibt auf jeden Fall viel zu tun.“

Was hat Sie inspiriert, „beworm“ zu gründen, und welche Erfolge konnten Sie bereits feiern?

„Die Idee, natürliche Verdauungsmechanismen von Organismen wie Würmern oder Bakterien zu nutzen, um Kunststoffe abzubauen, erschien mir direkt logisch. Bei beworm analysieren wir, welche Organismen sich bereits an die Kunststoffe, mit denen wir die Umwelt belasten, angepasst haben, und wie wir ihre Abbaufähigkeiten beschleunigen können. Aus dem Magen-Darmtrakt der Würmer konnten wir bislang über 40 potentielle Kandidaten für den Abbau von Polyethlyen isolieren. Manche davon zeigen sehr gute Ergebnisse, manche weniger. Auch variiert die Performance einzelner Stämme oft stark. Wir hatten zum Beispiel einen Stamm gefunden, der sehr schnelles Wachstum auf PE zeigte und es auch gut ‚anzugreifen‘ schien. Das wollten wir patentieren, doch dann funktionierte es auf einmal gar nicht mehr. Deshalb haben wir auf weitere Quellen gesetzt, wie Stämme aus Abfallfraktionen und aus der Literatur. Aktuell haben wir wieder einen vielversprechenden Kandidaten im Blick, aber wir müssen noch abwarten, wie er sich entwickelt.

Da wir eines der ersten Teams waren, das sich an den Abbau von Polyethlyen gewagt hat, haben wir sehr viel Aufmerksamkeit bekommen. Wir haben einige Preise gewonnen, wurden vom Bund sowie dem EIT (European Institue of Innovation & Technology) gefördert und waren im japanischen, französischen und italienischen Fernsehen zu sehen. Ich durfte das Thema sogar bei der Europäischen Vizekommissarin in Kopenhagen vorstellen und einen TedX Talk darüber halten.“

Welches Potenzial birgt enzymatisches Kunststoffrecycling im Vergleich zu anderen Verfahren oder Technologien?

„Die Verfahren, die wir momentan nutzen um Kunststoffe zu verwerten, sind schlichtweg unzureichend für die Menge und Beschaffenheit des Abfalls. Ein Teil wird mechanisch recycelt, hochwertiges Rezyklat als Output erfordert jedoch reine Stoffströme, Vorsortierung und so weiter. Multilayer-Material, stark verschmutze Post-Consumer Abfälle oder Mischfraktionen eignen sich schlichtweg nicht für mechanisches Recycling. Die Verbrennung (thermische Verwertung) generiert zwar Energie, aber auch Schlacke und Abgase. Das ist als lineares Verfahren weit weg von der Idee der Kreislaufwirtschaft. Bleibt noch das chemische Recycling, bei dem Polymere durch chemische Reaktionen zu Pyrolyseöl oder auch zu Monomeren bzw. Oligomeren verarbeitet werden. Es ist ein vielversprechendes Verfahren, in das aktuell viel investiert wird, das aber leider auch sehr viel Energie benötigt.

Wie das chemische ist auch das enzymatische Recycling ein rohstoffliches Verwertungsverfahren, bei dem es um die Gewinnung hochqualitativer Rohstoffe geht. Aus diesen könnten Kunststoffe in Primärqualität hergestellt werden, die sogar für Lebensmittelverpackungen geeignet wären, die strengen Qualitätsanforderungen unterliegen. Im Vergleich zu chemischen Reaktionen laufen enzymatische Reaktionen unter wesentlich milderen Bedingungen ab, weshalb weniger Energie benötigt wird. Enzyme sind zudem substratspezifisch, das heißt, sie bauen nur das Material ab, was sie abbauen sollen. Das macht das Verfahren besonders interessant für Multilayer oder Mischfraktionen. Aktuell gibt es weltweit allerding nur wenige Anlagen im Pilotstadium, weshalb für einen fundierten Vergleich zu anderen Verfahren bislang noch zu wenige Erfahrungen und Daten vorliegen.“

Winzige Recyclinghelden

Laborbild Eleonore Eisath

© Eleonore Eisath

Beim sogenannten biotechnologischen, biotischen oder auch enzymatischen Recycling greift beworm auf natürliche Abbaumechanismen von Kleinstlebewesen zurück, um diese für das Recycling von Stoffen zu nutzen. Denn bestimmte Organismen und Mikroorganismen, wie zum Beispiel Bakterien, produzieren Enzyme, die Kunststoffe in ihre Grundchemikalien aufspalten können: Sie schneiden die langen Polymerketten von Polyestern, Polyolefinen und Polyurethan in kürzere Stücke, zu Monomeren oder Oligomeren. Diese können in der Industrie als Rohstoffe für die Kunststoffproduktion eingesetzt werden. So entsteht ein unendliches, geschlossenes Kreislaufsystem.

Während sich viele anderen Projekte auf Polyester fokussieren, für das bereits Pilotanlagen gebaut wurden, konzentriert sich beworm auf Polyethylen. Dieses weltweit am häufigsten verwendete Plastikmaterial lässt sich besonders schwer abbauen, da es nur begrenzt chemische Reaktionen eingeht und ein zusätzlicher Oxidationsschritt für den Abbau notwendig ist. beworms Forschungsschwerpunkt liegt zurzeit auf LDPE (Low Density Polyethylen bzw. Weich-Polyethylen), da es durch seine Molekülstruktur zugänglicher für die Enzyme ist als zum Beispiel HDPE (High Density Polyethylen bzw. Hart-Polyethylen).

Die bisherigen Forschungsergebnisse zeigen, dass vermutlich mehrere Enzyme in den Abbau involviert werden müssen. Das macht die Optimierung und Skalierung für die Industrie sehr komplex. Doch Eleonore Eisath ist optimistisch: „Während bei Polyolefinen und Polyurethan noch einiges an Grundlagenforschung notwendig ist, gehe ich davon aus, dass wir bei Polyestern in den nächsten Jahren schon relevante Mengen enzymatisch recyceln werden.“

Eine ähnliche Komplexität wie die, die Sie bei ihrer Forschung zur Kunststoffverwertung feststellen, begegnet Ihnen ja auch in der Verpackungsentwicklung. Und auch hier wird sie gerne unterschätzt. Was macht optimale Lebensmittelverpackungen aus?

„Eine Lebensmittelverpackung muss in erster Linie den Inhalt vor mechanischen, chemischen und thermischen Einflüssen schützen. Sie sollte einfach zu handhaben, ansprechend gestaltet und nachhaltig sein. Die Komplexität und Widersprüche, die diese Anforderungen mit sich bringen, werden oft unterschätzt. Bestes Beispiel ist die folienverpackte Salatgurke: Aus Produktschutzgründen ist das eine gute Verpackung, denn die Gurke ist vor Stößen und Mikroben geschützt und bleibt dadurch länger haltbar. Im Sinne der Abfallvermeidung sollte man die Folie jedoch besser weglassen. Ein anderes Beispiel: Will man den Fokus auf Design for Recycling setzen, geht das meist nur mit Abstrichen in der Ästhetik einher, da Farben und Drucke schlecht sind für das spätere Rezyklat. Es gibt also keine eierlegende Wollmilchsau. Man muss die Rahmenbedingungen und Vorstellungen der Hersteller abklopfen, um dann innerhalb dieses Rahmens das bestmögliche und nachhaltigste Ergebnis zu erzielen. Manchmal ist die größte Herausforderung auch der Endkonsument, der gerne nach gelernten Mustern kauft. Zum Beispiel gilt Papier per se als gut, Kunststoff als schlecht. Es fehlt einfach an Wissen und Aufklärungen, weshalb ich versuche, mich in diesem Bereich zu engagieren.“

Sie haben bereits in mehreren Ländern gelebt und gearbeitet. Gibt es Länder, die Ihrer Meinung nach vorbildlich im Umgang mit und bei der Entwicklung von Kunststoffverpackungen sind?

„Italien schneidet in diesem Ranking wahrscheinlich am besten ab. Die Recyclingquoten dort sind hoch und Mülltrennung ist sehr etabliert. Auch gibt es Kommunen, die Abfälle von Haushalten nach Gewicht besteuern –  meiner Meinung nach ein guter Hebel, um Überkonsum zu vermeiden. Aber auch in Deutschland, wo ich aktuell lebe, sehe ich positive Entwicklungen in der Gestaltung und im Umgang mit Kunststoffverpackungen. Dank der kommenden Packaging und Packaging Waste Regulation der EU gibt es europaweit einen großen Schritt hin zu Design for Recycling. Dies kann man zum Bespiel sehr deutlich im Trend hin zu Monomaterialien erkennen. Für uns als Designer und Entwickler ist die Herausforderung, die Standardisierung und Vereinfachung – die wir in den Produkten brauchen, um sie recyclingfähiger zu machen – mit Ästhetik und Attraktivität zu vereinen.“

Nur zusammen kann der Wandel gelingen

Um den Konsum und den Umgang mit Kunststoffverpackungen mit dem Ziel einer effizienten Kreislaufwirtschaft nachhaltiger zu gestalten, gibt es für Eleonore Eisath nur einen Weg: Alle müssen zusammenarbeiten, von der Politik über die Industrie bis hin zu Verbraucherinnen und Verbrauchern, damit der Wandel gelingt. Jeder von uns müsse seinen eigenen Konsum kritisch hinterfragen, denn vieles werde aus Bequemlichkeit gekauft und sofort entsorgt. „Ich glaube, wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher den Wert von Materialien und Ressourcen wieder mehr schätzen und monetär auch spüren könnten, käme die nachhaltige Umstellung von ganz allein“, resümiert Eleonore Eisath. Zusammen mit neuen, innovativen Recyclingverfahren kann der Weg in eine nachhaltige Zukunft gelingen.

15. August, 2024|
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