Seitdem die EU-Kommission am 30. November 2022 ihren Vorschlag für eine EU-Verpackungsverordnung (Packaging and Packaging Waste Regulation, PPWR) auf den Tisch gelegt hat, steht nicht nur in der Verpackungsindustrie kein Stein mehr auf dem anderen. Verschiedenste Sektoren der Industrie, des produzierenden Gewerbes und der Landwirtschaft stellen fest, wie grundlegend dieser Verordnungsentwurf die gesamte Wirtschaft betrifft. Die fast 3000 Änderungsvorschläge, die allein im federführenden Umweltausschuss des Europäischen Parlaments gelistet wurden, zeigen, wie intensiv und kontrovers dieser Gesetzesvorschlag derzeit in Europa diskutiert wird.

Worum geht es?

Der Vorschlag für eine EU-Verpackungsverordnung verfolgt das Ziel, die Transformation zu einer Circular Economy durch europaweit einheitliche Anforderungen an die Nachhaltigkeit und Kennzeichnung von Verpackungen zu fördern. So sollen unter anderem ab dem Jahr 2030 alle Verpackungen typspezifischen Design-for-Recycling Kriterien entsprechen. Für Kunststoffverpackungen soll ebenfalls ab dem Jahr 2030 ein Mindestgehalt an Post-Consumer-Rezyklaten (PCR) verbindlich werden, der je nach Verpackungsart zwischen 10 Prozent und 35 Prozent liegt. Einige Sektoren und Verpackungsarten erhalten zudem weitreichende Quoten für die Wiederverwendung, die bis zu 100 %-Vorgaben für bestimmte Transportverpackungen reichen. Außerdem enthält der Entwurf Vorgaben zur Reduktion des Verpackungsaufkommens, Mindestanforderungen an die erweiterte Herstellerverantwortung sowie die Sammlung und Verwertung von Verpackungsabfällen.

Eine gesamteuropäische Kreislaufwirtschaft

Als Verordnung gelten die Bestimmungen für alle Marktteilnehmer unmittelbar und EU-weit einheitlich. Dies wird im Sinne eines starken Europas von der Wirtschaft begrüßt, denn zu viele nationale Verpackungsvorschriften haben in den letzten Jahren zu einem Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen geführt. Einheitliche Verpackungsregelungen sind auch deshalb erforderlich, weil nur sie die notwendigen Skaleneffekte für die wirtschaftliche Transformation hin zu einer einzigen EU-weiten Circular Economy ermöglichen.

Als einer der ersten Wirtschaftsverbände hat die IK bereits Anfang Februar umfangreich zum Gesetzesentwurf Stellung genommen und eigene Änderungsvorschläge präsentiert. Bereits seit 2018 verfolgt der Verband eigene Ziele zur Kreislaufwirtschaft und begrüßt ausdrücklich die angestrebte Transformation zur Circular Economy. So sind Kunststoffverpackungen für den privaten Endverbraucher in Deutschland bereits zu 81 Prozent recycling- und mehrwegfähig, und der PCR-Einsatz konnte seit 2017 um mehr als Doppelte gesteigert werden. Dennoch gibt der aktuelle Entwurf der EU-Verpackungsverordnung, der an einigen Stellen nicht zu Ende gedacht wurde, Grund zur Sorge. Zwei Schwerpunkte der Interessenvertretung durch die IK sind der Schutz der Lieferketten vor den Risiken von Rezyklatmangel sowie die Beseitigung von Kunststoff diskriminierenden Regelungen. (Weiterführende Informationen)

Vorgeschlagene PCR-Einsatzquoten für Kunststoffverpackungen

Vorgeschlagene PCR Einsatzquoten Für Kunststoffverpackungen

Quelle: IK

Lieferketten vor Rezyklatmangel schützen

Als ein zentrales Element sieht der Entwurf der Verpackungsverordnung verbindliche Auflagen zum Einsatz von Post-Cosumer-Rezyklaten (PCR) vor. Zwar begrüßt die IK, dass die Maßnahme Investitionen in das Recycling fördert, jedoch warnt sie ausdrücklich vor den Risiken eines Rezyklatmangels, der Vermarktungsverbote für Verpackungen und damit schwerwiegende Folgen für die Lieferketten nach sich ziehen würde. Insgesamt fehlen der Verpackungsbranche in Deutschland zur Erfüllung der Quoten im Jahr 2030 über 700 kt PCR in geeigneten Qualitäten.

IK-Schätzung für Deutschland auf Basis von Stoffstrombild 2021,Conversio. Vereinfachende Annahmen: 50 % der Verarbeitungsmenge sind kontaktempfindliche Verpackungen und kein Unternehmen setzt mehr ein als gesetzlich erforderlich. Die Folgen der EU-Verpackungsverordnung.

Quelle: IK-Schätzung für Deutschland auf Basis des Stoffstrombild 2021, Conversio. Vereinfachende Annahmen: 50 % der Verarbeitungsmenge sind kontaktempfindliche Verpackungen und kein Unternehmen setzt mehr ein als gesetzlich erforderlich.

Vor allem bei den mengenmäßig bedeutenden Polyolefinen müsste die verarbeitete Menge an PCR um mehr als das Fünffache gesteigert werden. Dabei existieren für den Einsatz in Lebensmittelverpackungen derzeit mit Ausnahme von PET noch keine zugelassenen Rezyklate. In kürzester Zeit müssten Recyclingtechnologien fortentwickelt, Kapazitäten aufgebaut und die getrennte Abfallsammlung in ganz Europa angekurbelt werden, um die benötigten Mengen und Qualitäten an Recyclingkunststoffen für den Verpackungsmarkt bereitzustellen. Dabei steigt auch die Nachfrage nach Rezyklaten aus dem Verpackungsrecycling auch in anderen Sektoren, die zukünftig ebenfalls Rezyklateinsatzquoten erwarten, jedoch noch kaum eigene Recyclingstrukturen besitzen. Zum Schutz der Lieferketten setzt sich die IK deshalb gemeinsam mit weiteren Verbänden für ein Sicherheitsnetz und mehr Flexibilität beim Rezyklateinsatz ein. Solange eine ausreichende Rezyklatversorgung des Verpackungsmarkts nicht gewährleistet ist, sollten Unternehmen die Quoten durch den Kauf von Krediten ausgleichen können die belegen, dass die Rezyklate in anderen Anwendungen eingesetzt wurden.

Der Einsatz von recycelten Polyolefinen (PE, PP) in Verpackungen müsste sich bis 2030 VERFÜNFACHEN, um die vorgeschlagenen Quoten zu erfüllen.

Kunststoffdiskriminierung schadet der Transformation

Der Verordnungsvorschlag enthält Maßnahmen, die Verpackungen aus Kunststoff gegenüber Verpackungen aus anderen Materialien ohne Grund benachteiligen. So sollen einige Wiederverwendungsquoten nur eingehalten werden, wenn Verpackungen aus Kunststoff verwendet werden. Auch sollen nur bestimmte Einweg-Umverpackungen aus Kunststoff im Einzelhandel verboten werden, nicht aber solche aus anderen Materialien. Diese Schlupflöcher bewirken anstelle der beabsichtigten Reduktion von Einwegverpackungen lediglich ein Ausweichverhalten hin zu nicht reglementierten Einwegverpackungen aus anderen Materialien und gehen am Ziel der Mehrwegförderung vorbei. Dabei warnen auch schon Umweltverbände vor der bloßen Substitution von Kunststoffen durch andere Materialien. Das Plastiktütenverbot im Einzelhandel lässt grüßen!

Besorgnis erregen muss auch der Vorschlag der Berichterstatterin im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments, ein Sonderreduktionsziel für Kunststoffe in Höhe von minus 10 Prozent bis 2030 und minus 20 Prozent bis 2040 einzuführen. Diese Maßnahme steht im klaren Widerspruch zum Ziel, das Verpackungsaufkommen insgesamt zu reduzieren, wie die GVM Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung in einer Untersuchung im Auftrag der IK feststellte. Denn der Ersatz von 10 Prozent leichten Kunststoffverpackungen durch schwerere Materialien hätte einen Anstieg des haushaltsnah anfallenden Verpackungsmülls um 10 bis 20 Prozent zur Folge. Auch würde das Sonderreduktionsziel für Kunststoff den Trend zu schlecht recyclingfähigen Papier-Kunststoff-Verbunden fördern, da diese mit weniger Kunststoffauskommen als Monomaterialverpackungen aus Kunststoff. Der Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen würde dies jedoch einen Bärendienst leisten, denn der Kunststoffanteil aus Faserverbunden kann leider nicht recycelt werden.

Verpackungen für Spaghetti

Verpackungen für Spaghetti

Quelle: IK

Verpackungen für Rotkohl

Verpackungen Für Rotkohl

Quelle: IK

Folgenabschätzung ergänzen

Noch erscheinen viele Maßnahmen des Verordnungsentwurfs zwar gut gemeint, aber nicht zu Ende gedacht. So sollen beispielsweise ab dem Jahr 2035 alle Verpackungen großmaßstäblich recycelt werden, was als erfüllt gelten soll, wenn 75 Prozent der EU-Bevölkerung abgedeckt werden. Dass ein solcher Vorschlag nicht praktikabel ist, zeigt sich schon daran, dass sich das Ausmaß des Recyclings von industriell und großgewerblich genutzten Verpackungen nicht sinnvoll anhand von Bevölkerungsanteilen bemessen lässt. Generell scheinen die Besonderheiten industrieller Verpackungen, die oftmals als Gefahrgutverpackungen internationalen Regularien unterliegen, wenig beachtet worden zu sein. Einige Vorschläge im Entwurf sind gar nicht im Rahmen der Folgenabschätzung bewertet worden beziehungsweise widersprechen den Empfehlungen sogar, wie z.B. Wiederverwendungsquoten nur für Verpackungen aus Kunststoff.

Wesentliche Nachhaltigkeitsanforderungen an Verpackungen, insbesondere bezüglich des Design-for-Recycling, werden zudem auf delegierte Rechtsakte verlagert, obwohl sie für die Marktfähigkeit von Verpackungen ab dem Jahr 2030 ausschlaggebend sind. Die Ungewissheit hemmt die dringend erforderlichen Entwicklungen und Investitionen zur Anpassung der Verpackungen an die Vorschriften.
Die IK setzt sich daher für eine enge zeitliche Terminierung der delegierten Rechtsakte und eine Mitsprache der Wirtschaft ein.

Zeitplan für EU-Verpackungsverordnung

Zeitplan Für EU-Verpackungsverordnung

Quelle: IK

Wie geht es weiter?

Bis Ende des Jahres werden sowohl das Parlament als auch der Europäische Rat ihre jeweiligen Positionen und Änderungswünsche beschließen. Der anschließende Trilog-Prozess, in dem beide Organe zusammen mit der Kommission um einen finalen Kompromiss ringen werden, muss vor der nächsten Europawahl am 9. Juni 2024 zu einem Ergebnis führen. Im Rat formiert sich bereits der Widerstand einiger Mitgliedsstaaten, die, wie Italien und Österreich, die Rückkehr zu einer Richtlinie fordern. Womit bereits eine potenzielle Konfliktlinie zwischen dem Rat und der Kommission beschrieben wäre, die das Gesetzesvorhaben zum Scheitern bringen könnte. Ob ein Kompromiss vor den Wahlen gelingt oder nicht, vermag daher noch niemand mit Gewissheit vorherzusagen.

Parallele Entwicklungen im deutschen Verpackungsrecht

In drei Stufen plant die Bundesregierung indes die Fortentwicklung des deutschen Verpackungsrechts noch in dieser Legislatur. Als ersten Schritt sollen in einem „Gesetz für weniger Verpackungsmüll“ die Angebotspflichten für Mehrwegverpackungen ausgeweitet und Einweg-Serviceverpackungen in der Gastronomie beschränkt werden. Als zweite Stufe sind finanzielle Anreize für die Recyclingfähigkeit von Verpackungen geplant, und als drittes sollen chemische Recyclingverfahren in das Verpackungsgesetz aufgenommen werden. Diese Maßnahmen waren bereits im Koalitionsvertrag beschlossen worden.

Finanzielle Anreize für ein recyclingfähiges Verpackungsdesign im Rahmen eines privat-rechtlichen Fondsmodells wurde von der IK gemeinsam mit den Verbänden des Handels, der Ernährungsindustrie und der Markenhersteller mehrfach gefordert und werden entsprechend begrüßt. Bezüglich der Aufnahme des chemischen Recyclings in das Verpackungsgesetz setzt sich die IK für eine eigene
Recyclingquote für das chemische Recycling ein, zusätzlich zur bestehenden werkstofflichen, um für beide Seiten des Recyclings Planungs- und Investitionssicherheit zu erlangen und die Recyclingquoten für Kunststoffverpackungen insgesamt signifikant zu erhöhen.